Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2021

Wer schlägt wen?
von Angela Klein

Die Ampel-Koalition ist Ausdruck einer neuen Phase der bürgerlichen Herrschaft, durch die Dreierkonstellation wird die Regierung instabiler.

Bis zuletzt haben viele darauf gehofft bzw. befürchtet, FDP und Grüne würden doch noch mit der Union zusammengehen. Diese Option ist fürs erste vom Tisch. Nicht nur wegen des verpatzten Wahlkampfs und eines traurigen Kanzlerkandidaten: Auch die Hauptpartei des Bürgertums muss sich angesichts der Klimakatastrophe und der damit notwendigen Erfindung einer Produktionsweise, die sich von der fossilen Basis des Kapitalismus verabschiedet, wirtschaftlich wie politisch neu aufstellen – und gleichzeitig immer nach dem Machterhalt schielen. Es geht eben diesmal nicht nur darum, eine Wahlniederlage aufzuarbeiten. Da die Vorschläge in verschiedene Richtungen gehen, werden die Turbulenzen in der Partei nicht so schnell enden.
Zum anderen geben die Grünen derzeit der Ampel vor Jamaika den Vorzug. Sie ist deshalb für das Bürgertum die einzige realistische Option.

Wer schlägt wen?
In der Dreierkoalition ist die Gefahr groß, jeweils von zwei verschiedenen Partnern und in wechselnden Konstellationen über den Tisch gezogen zu werden. Jeder muss sich profilieren. Dabei sieht die Rollenverteilung derzeit so aus, dass die Stabilität der Regierung davon abhängt, dass FDP und Grüne sich einigen und die SPD den Dompteur spielt. Nicht nur die Grünen sind da zu allerlei Volten fähig, auch die Wandlungsfähigkeit der FDP darf man nicht unterschätzen: Diese Partei war schon mal nationalliberal, bevor sie sozialliberal wurde, um danach stramm wirtschaftsliberal zu werden. Auch ihre Klientel hat den Klimawandel und die Bedrohungen, die von ihm ausgehen, mitbekommen, schließlich waren es deren Häuser, die im Ahrtal weggeschwemmt wurden – die Kasinostadt Bad Neuenahr ist FDP-Hochburg.
Die FDP brüstet sich damit, die Sondierungsgespräche würden ihre Handschrift tragen. Damit hat sie recht, es ist aber auch keine Überraschung. Schließlich haben FDP und Grüne große, gemeinsame liberale Schnittmengen, bei Bürgerrechten wie in der Sozialpolitik. Da muss die SPD aufpassen, dass sie mit ihren Wahlversprechen und den Hoffnungen, die die Gewerkschaftsführungen in sie setzen, nicht untergeht, Grüne und FDP haben zusammen mehr Abgeordneten als die SPD. Aller Voraussicht nach wird Lindner das Finanzministerium besetzen, mit dem er viele sinnvolle Maßnahmen blockieren kann. Das muss aber nicht den Durchmarsch der FDP bedeuten, das Ministerium kann auch anders zugeschnitten werden.
In der Steuerfrage sind der Partei bereits Grenzen aufgezeigt worden, sie hat da nur einen Stillstand aushandeln können: Sie kriegt keine Steuersenkungen für Unternehmer, SPD und Grüne kriegen keine Steuererhöhungen für den ökologischen Umbau (von mehr sozialer Gerechtigkeit ist ja kaum die Rede). In allen anderen Fragen ist sie flexibel und für kreative Lösungen zu haben, einschließlich der Schuldenbremse – da sind nicht nur Schattenhaushalte möglich (die die FDP ausgeschlossen hat), sondern etwa auch die stärkere Inanspruchnahme der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Schließlich verlangt das Kapital nicht nur mehr Staatsknete für den (reichlich unökologischen) Umstieg auf E-Mobilität; es verlangt auch direkte staatliche Investitionen in Infrastruktur, die es selber nicht bezahlen will, wie etwa flächendeckende Ladesäulen oder im Bereich der Digitalisierung.

Mehr Staat für wen?
Die Zeiten der schwarzen Null sind definitiv vorbei, die ist in der Finanzkrise 2008/2009 und dann nochmal während der Pandemie geschleift worden. Es gibt auch eine gute Entschuldigung dafür: außerökonomische Zwänge bringen die neoliberale Dogmatik durcheinander. Die Natur ist halt nicht mehr nur eine zu plündernde Ressource, ihre Unberechenbarkeit fängt an, richtig Geld zu kosten – Geld, das der Staat aufbringen soll. Auf einmal könnte Staatsintervention völlig anders diskutiert werden. Die strategische Fragestellung verschiebt sich, sie lautet nicht mehr: Markt oder Staat?, sondern: Für wen und was ist der Staat da? Da wird sich «mehr Staat» paaren mit mehr Infrastruktur und finanzielle Entlastung für das Kapital auf Kosten des Sozialstaats.
Sozial droht die Ampel noch hinter die Große Koalition zurückzufallen: Einen Mindestlohn von 12 Euro wird es geben, aber wann und wie dies den Inflationsraten angepasst wird, das steht in den Sternen; von der von den Grünen geforderten Anhebung des Regelsatzes bei Hartz IV um 50 Euro hört man nichts mehr, auch nicht von einer Milderung der Sanktionen; die Arbeitszeiten sollen weiter flexibilisiert werden; der Einstieg in die Aktienrente setzt die Privatisierung des Rentensystems fort, die Unternehmerverbände bringen weiter die Rente mit 70 ins Gespräch. Dem stehen auf der anderen Seite Superabschreibungen für die Unternehmer gegenüber; die Reichen sollen zwar noch den Soli zahlen, aber die FDP vertraut darauf, dass der per Gerichtsurteil gekippt werden wird. Vermögen- und Erbschaftsteuer sind passé. Von mehr sozialer Gerechtigkeit ist diese Regierung weiter entfernt denn je.
Sie wird auch ihre Klimaziele verfehlen. Sicher werden die erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden – damit lässt sich schließlich Geld verdienen. Von Energieeinsparung jedoch keine Spur, nicht einmal das armselige Tempolimit auf den Autobahnen – trotz der Verkehrstoten, und trotz der Emissionen, die hier mit Leichtigkeit einzusparen wären.

Das Spiel ist auf dem Platz
Diese Regierung hat so wenig Bindekraft wie noch keine vor ihr – und es gab selten so wenig Illusionen in eine neue Regierung.
Sie ist noch nicht im Amt, da gehen Fridays for Future schon in Opposition zu ihr. «Im Wahlkampf haben alle Parteien gezeigt, dass sie keine echte Antwort auf die Klimakrise liefern wollen», schreibt FfF im Aufruf zum Klimastreik vom 22.Oktober. Gewerkschafterseelen wärmt diese Regierung auch nicht – Gewerkschaftsmitglieder hätten mehrheitlich Rot-Rot-Grün gewählt. Und das Debakel der LINKEN verhindert, dass auch diese Partei Hoffnungen auf das parlamentarische Geschehen lenken kann.
Wo aber niemand auf das Heil von oben wartet, tut sich Druck von unten auf. Es ist die Zeit der außerparlamentarischen Opposition, und dass sie erfolgreich sein kann, das zeigen die Kampagnen der vergangenen Monate: «Deutsche Wohnen enteignen», der GDL-Streik, die Mobilisierungen gegen die IAA…
Wenn diese Opposition aber nicht nur punktuelle Erfolge haben, sondern dem Märchen dieser Regierung («Wir lösen die Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Mitteln») etwas entgegensetzen will, dann muss sie von verschiedenen Ecken aus zu einem gemeinsamen Thema kommen: «Ohne soziale Gerechtigkeit und ohne Energieeinsparung lässt sich die Klimakatastrophe nicht aufhalten.»
Das Kapital hat jedes Interesse daran, die Spaltung zwischen Klimaschützer:innen und Arbeitsplatzschützer:innen zu vertiefen. Die derzeitige Teuerung, insbesondere der Energiepreise, kommt zur rechten Zeit: Da können sich Unternehmer, denen der ökologische Umbau sowieso zu teuer ist, als Beschützer der Lohnabhängigen aufspielen; Atomkraftbefürworter können die Atomenergie wieder als die einzige Alternative anpreisen, die schnell und ausreichend nichtfossile Energie zur Verfügung stellen kann. Es wird ein großer Klassenkampf um den richtigen Weg gegen die Klimakatastrophe werden.

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