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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2021

In Mannheim diskutieren Betroffene von Union Busting über Gegenstrategien
von Clemens Melzer

Bei der Konferenz «Betriebsräte im Visier – Bossing, Mobbing & Co.» am 16.Oktober im Gewerkschaftshaus Mannheim kochten die Emotionen hoch. Eingeladen wurde zum Austausch über effektive Gegenwehr gegen die systematische Bekämpfung engagierter Betriebsräte, für die Unternehmen immer häufiger auf die Dienste professioneller Agenturen wie die als «Fertigmacher» bekannt gewordene Kanzlei Schreiner + Partner zurückgreifen.

Die Methoden einiger Kanzleien, Betriebsräte und engagierte Mitarbeiter:innen loszuwerden und damit gewerkschaftliches Engagement insgesamt zu verhindern, sind vielfältig. Sie verschicken ganze Abmahnungspakete und setzen Detektive auf Belegschaftsvertreter:innen an, um ihr Privatleben auszuspionieren. Sie arbeiten mit Verleumdungen bis hin zu Vorwürfen von Sexualstraftaten, sie halten Lohnzahlungen zurück, sie isolieren Betriebsratsmitglieder gezielt, um den Kontakt zur Belegschaft zu verhindern.
«Mir wurden am Ende sogar 500000 Euro angeboten wenn ich gehe», berichtet ein ehemaliger Betriebsratsvorsitzender aus der Chemieindustrie. Es gebe Kollegen, die seien erst ausgegrenzt worden, dann sei der Lohn nicht mehr gekommen, unter dem Druck seien Familie und Beziehung kaputt gegangen. Gerade zu Beginn der Konferenz, die vom Solikomitee gegen BR-Mobbing eröffnet wird, überbieten sich die drastischen Schilderungen von ehemaligen und aktuell Betroffenen. Anwesend sind vor allem betriebliche Aktive von IG Metall, IG BCE und Ver.di, während einzig die IG Metall auch mit Gewerkschaftsekretär:innen und Vorstandmitgliedern vertreten ist.
Die Agenturen, die Unternehmen speziell im Union Busting beraten, werden mehr. Strukturen zur Verteidigung des Grundrechts auf unabhängige Betriebsratsarbeit und gewerkschaftliche Organisierung wachsen nur langsam nach – zu langsam, wie einige finden: «Wir brauchen Staranwälte!», ruft ein Kollege durch den Raum, Forderungen nach härteren Gesetzen werden laut, vereinzelt richten sich Vorwürfe auch gegen die IG Metall und «untätige Sekretäre». Vorübergehend scheint sich ein Graben zu öffnen zwischen der Betroffenenperspektive einerseits und den IG-Metall-Verantwortlichen andererseits. Letztere bemühen sich, die Diskussion um eine organisationssoziologische Perspektive zu erweitern und werfen die Frage auf, inwiefern Selbstorganisation und Organizing-Konzepte zum Schutz von Betriebsräten beitragen können. Andere Stimmen bemängeln den fehlenden Anspruch der Gewerkschaften, politische Bildung und ein grundlegendes Verständnis der kapitalistischen Ökonomie zu vermitteln und klingen dabei fast nostalgisch.

Das Beispiel Wikus
Trotz wut- und enttäuschungsgeladener Wortmeldungen richtet sich die Diskussion spätestens mit dem Bericht über den erfolgreichen Organisierungprozess beim Sägebandhersteller Wikus stärker an Zukunftsfragen aus: Wie lässt sich in Bereichen mit geringem Organisationsgrad und gewerkschaftsfeindlichem Klima überhaupt Fuß fassen? Wie lässt sich Stellvertreterpolitik überwinden? Inwiefern kann die IG Metall Vorreiter für offensivere Gewerkschaftspolitik innerhalb des DGB sein (oder auch nicht)?
Das Beispiel der Wikus-Sägenfabrik mit rund 600 Beschäftigten im nordhessischen Spangenberg ist gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Mitten in der Corona-Pandemie gelang es ausschließlich durch Kommunikation über Chatgruppen, Online-Konferenzen und einen Blog noch vor der Betriebsratsgründung eine Vertrauensleutestruktur aufzubauen – und das in einem Betrieb, in dem Betriebsratswahlen bereits mehrmals mit Union-Busting-Methoden zum Scheitern gebracht worden waren. Beim erfolgreichen Organizing hatte die Herstellung einer von Teilen der Vertrauensleute getragenen, betriebsinternen Öffentlichkeit eine wichtige Rolle gespielt.
Die Konferenz «Betriebsräte im Visier», die seit 2014 zum achten Mal in Mannheim tagte, endete mit dem an Justiz, Politik und Medien gerichteten Appell, Betriebsräte besser zu schützen. Das besondere Verdienst der Konferenz, die u.a. von den Initativen AKUWILL Oberhausen, dem überbetrieblichen Solidaritätskomitee Rhein-Neckar, Organisieren Kämpfen Gewinnen (OKG) und work-watch Köln organisiert wurde, liegt aber gerade darin, dass sie eine offene Diskussion ermöglicht, die gewerkschaftsinterne Kritik, Austausch über persönliche Erfahrungen und Fragen über die Reformfähigkeit der deutschen Gewerkschaften gleichermaßen einschließt.
Am 15.Oktober 2022 findet die nächste Konferenz in Mannheim statt.

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