Das Desaster der LINKEN bei der Bundestagswahl
von Helmut Born
Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl tobt in der Linkspartei die Debatte über deren Ursachen und die notwendigen Schlussfolgerungen. Dabei wird je nach Lager- oder Strömungszugehörigkeit dem jeweils anderen die Hauptschuld am Wahlergebnis gegeben.
Am deutlichsten haben das noch in der Wahlnacht Sahra Wagenknecht und in der Folge Matthias Höhn ausgesprochen, wobei die eine ihre seit langer Zeit vorgetragene Kritik an der Linie der Partei wiederholte und der andere einer weiteren Räumung von Positionen, vor allem in der Frage von Krieg und Frieden das Wort redete.
Die Aufarbeitung der eigenen Fehler im Wahlkampf bleibt häufig außer Betracht. Stattdessen wird auf die «Fehler» der letzten Jahre verwiesen. Diese können aber nur zum Teil das schlechte Wahlergebnis erklären, es muss auch über die Wahlkampfstrategie und deren Umsetzung gesprochen werden.
Meiner Meinung nach hat dieses Debakel mehrere Ursachen:
– Die wiederholten Angriffe von Sahra Wagenknecht und ihrem Umfeld gegen die eigene Partei, noch verstärkt durch ihr Buch Die Selbstgerechten, haben den Eindruck erweckt, dass die Partei sich nicht mehr für die «kleinen» Leute einsetzt und nur noch für Themen der «Lifestyle»-Linken interessiert – Identitätspolitik, Klima, Pandemie, Migration, Demokratie. Wegen des Bekanntheitsgrads von Wagenknecht und ihrer hohen Medienaufmerksamkeit erreichte dies eine breite Öffentlichkeit. Sämtliche Beschlüsse der Partei, sowohl zum Wahlprogramm wie auch sonstige vom Parteivorstand, verkündeten genau das Gegenteil, konnten aber selten transportiert werden.
Die Gegner der Wagenknecht-Positionen wollten ihre Kandidatur in NRW nicht unterstützen, ihre Unterstützer:innen fanden ihre Positionen im Wahlprogramm nicht wieder. De facto haben wir es mit einer realen Spaltung der Partei zu tun.
– Im Vorfeld der heißen Phase des Wahlkampfs fand die Abstimmung im Bundestag zum letzten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan statt, in der die Fraktion ein gespaltenes Bild abgab. Die Mehrheit enthielt sich, zehn Abgeordnete stimmten dagegen und drei sogar mit CDU, SPD, Grünen und FDP dafür. Es setzte ein öffentlicher Shitstorm ein, dem kaum etwas entgegengesetzt werden konnte. Danach strickten Baerbock und Scholz ihre Argumentation gegen eine Regierungsbeteiligung der LINKEN und verlangten eine bedingungslose Loyalität gegenüber der NATO. Anstatt die Mehrheitsmeinung der Fraktion und den Beschluss des Parteivorstandes zu verteidigen, blieb die Reaktion der Parteiführung und der beiden Spitzenkandidat:innen unklar. Das kam in der Friedensbewegung nicht gut an.
– Mit dem Erscheinen des Sofortprogramms etwa vier Wochen vor der Wahl wurde der Eindruck erweckt, die Partei räume ihre Positionen und sehe ihre Hauptaufgabe darin, die wesentlichen Forderungen aus den Wahlprogrammen von SPD und Grünen (12 Euro Mindestlohn, Kohleausstieg bis 2030, Rentenstabilisierung, Abschaffung von Hartz IV) zu verwirklichen, um Regierungsbeteiligung zu erreichen. Selbst Auslandeinsätze der Bundeswehr seien verhandelbar. Das Sofortprogramm wurde in der linken Öffentlichkeit als Anbiederei an SPD und Grünen verstanden und auch in der Partei kritisiert.
Stephan Hebel gab seinem Kommentar in der Frankfurter Rundschau dazu die Überschrift «Die Linke macht es SPD und Grünen zu leicht». Nach der Veröffentlichung des Sofortprogramms sackte die Partei in allen Meinungsumfragen von 7 bis 8 auf 6 Prozent ab. Bei der Wahl gaben die Wähler:innen ihre Stimme dann gleich der SPD oder den Grünen.
Die Fraktion
Wegen der drei Direktmandate und des Wahlergebnisses von 4,9 Prozent kommt Die LINKE weiterhin in den Genuss des Fraktionsstatus, wenn ihre Fraktion auch mit nun 39 Mitgliedern um mehr als die Hälfte geschrumpft ist. Darin gibt es Vertreter:innen des Forums demokratischer Sozialismus (FdS), des Wagenknecht-Flügels und der Bewegungslinken. Aus der Antikapitalistischen Linken (AKL) ist niemand mehr dabei, da verschiedene ihrer Mitglieder ausgeschieden sind (Niema Movassat, Hubertus Zdebel, Ulla Jelpke) bzw. das Lager gewechselt haben (Andrej Hunko).
In der Fraktion wird es wahrscheinlich weiterhin ein Bündnis zwischen dem FdS und dem Wagenknecht-Flügel geben. Wie sich die Vertreter:innen der Bewegungslinken (Janine Wissler, Bernd Riexinger usw.) einbringen werden, bleibt abzuwarten. Eine Vorentscheidung wird es sicherlich die Neuwahl des Fraktionsvorstands bringen. Davon wird auch abhängen, ob der Beschluss des Parteivorstands, die Fraktion soll sich an dessen Beschlüsse halten, von der Fraktion anerkannt und umgesetzt wird.
In der ersten Sitzung der Fraktion gab es bereits den ersten Eklat, als der Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz, Alexander Ulrich aus dem Wagenknecht-Lager, den Rücktritt der beiden Parteivorsitzenden und des Bundesgeschäftsführers forderte und andernfalls mit seinem Austritt drohte. Die Fraktion muss nur drei Mitglieder verlieren, um auf den Status einer Gruppe herabgestuft zu werden. Dann könnte allerdings auch Wagenknecht nicht mehr die Rolle spielen, die sie seit mehren Jahren spielt: die Partei von innen zu zerstören.
Das Problem mit der Verankerung
Symptomatisch für die Debatte in der Partei ist eine Erklärung der BAG Betrieb und Gewerkschaft, sie mahnt an, die Partei müsse sich mehr in den Betrieben und Gewerkschaften verankern. Für das schlechte Wahlergebnis bei den abhängig Beschäftigten macht sie alles mögliche verantwortlich, aber kaum die eigene Veranwortung für die Nichtverankerung. Stattdessen verweist sie auf den beschlossenen Gewerkschaftsrat. Damit ist aber hauptsächlich der Austausch mit den Gewerkschaftsvorständen gemeint ist, was sie aber ganz normal findet.
Die fehlende Selbstkritik beim Thema Verankerung verweist allerdings auf ein Dilemma, das auch in anderen Strukturen der Partei existiert. Unter Verankerung versteht die Partei zumeist nur, die «richtigen» Forderungen zu stellen. Wie Mitglieder unter den Kolleg:innen im Betrieb Fuß fassen und gewerkschaftliche Positionen besetzen können, spielt keine Rolle. Es wird viel mehr Wert darauf gelegt, eine Hauptamtlichenstelle in den Gewerkschaften zu erlangen. Dass sie dort politisch eher behindert wird, merken sie offensichtlich nicht.
Ähnlich sieht es mit der Arbeit in den sozialen Bewegungen aus: Der Anspruch sich dort zu verankern und mitzuarbeiten ist durchaus vorhanden, aber Aktivitäten in und um die Partei haben dabei meist Vorrang. Deshalb werden Mitglieder von Parteien in den sozialen Bewegungen auch eher mit Skepsis gesehen.
Welche Schlussfolgerungen?
Seit Jahren entwickelt die Fraktion ein eigenständiges Leben neben der Partei. Das ist zum großen Teil dem öffentlichen Interesse an der Arbeit in und um das Parlament geschuldet, hat aber auch interne Ursachen. Eine linke Partei muss dafür sorgen, dass in allen wesentlichen Fragen die Positionen zwischen den Vorständen der Fraktion und der Partei abgestimmt werden und die Fraktion diese im Parlament umsetzt. Dass dies nicht gemacht wird, ist für die Partei inzwischen zu einem Riesenproblem geworden.
Die beiden ehemaligen Parteivorsitzenden, Kipping und Riexinger, sitzen beide im Bundestag, jetzt sind auch die beiden amtierenden Vorsitzenden, Wissler und Henning-Wellsow dabei. Für die Durchsetzbarkeit von Parteibeschlüssen ist das eher hinderlich, denn die Parteivorsitzenden fühlen sich dann auch der Fraktion gegenüber verpflichtet.
Inhaltlich muss die Partei in den nächsten Jahren ihr linkes Profil schärfen. Wenn sie wieder ein Gegengewicht zu SPD und Grünen bilden will, kann sie programmatisch nicht abrüsten, weder in der sozialen Frage, noch bei den Themen Klima, Migration oder Frieden. Und sie braucht neue Personen, die in der Öffentlichkeit für die Partei oder Fraktion sprechen.
Über die Regierungsbeteiligung muss kritisch nachgedacht werden. Auch wenn viele Wähler:innen es für richtig halten, sich an Regierungen zu beteiligen, bleibt die Frage: Warum wird dies nicht honoriert? Gibt es da nicht auch viele Vorbehalte, vor allem unter explizit linken Wähler:innen? Ist es nicht besser, sich andere Möglichkeiten der Mehrheitsfindung in Parlamenten offen zu halten wie etwa die Tolerierung? Oder reicht es nicht einfach zu sagen, wir werden uns Gesprächen nicht verschließen, wir stehen aber zu unserem Programm?
Die Verankerung in Betrieben und sozialen Bewegungen ist ein Dauerthema. Dafür braucht es vor allem mehr Transparenz über die Struktur der Mitgliedschaft, nicht nur über Alter und Geschlecht. Und über die Umsetzung dieses Ziels muss eine breite Debatte mit den Mitgliedern stattfinden. Unabwendbar ist vor allem die Frage, wieso die Partei so wenig Stimmen von Gewerkschafter:innen bekommen hat. Dies scheint auch nicht nur interne Ursachen zu haben. Offensichtlich hat Die LINKE für die Gewerkschaftsführungen ihren Zweck erfüllt: Druck auf die SPD auszuüben. Die betrachten sie wieder als ihre Partei. Eine Linke, die lammfromm im Apparat mitarbeitet und kaum Kritik an der Politik der Gewerkschaftsführung übt, bietet da kaum Alternativen an.
Schließlich muss die Partei dafür sorgen, dass sie einheitlicher nach außen auftritt. Sollte der jetzige Zustand anhalten, dass prominente Parteimitglieder in der Öffentlichkeit sich bewusst parteischädigend äußern, dann wird dies die Partei zerstören. Deswegen ist eine klare Grenze notwendig, auch wenn dies bedeutet, dass es im Bundestag nur noch ein Gruppe und keine Fraktion mehr gibt.
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