‹Unterlassen Sie das Demonstrieren, es könnte strafrechtliche Konsequenzen haben›
Gespräch mit Lisa Poettinger
Lisa Poettinger ist 25 Jahre alt, studiert Lehramt und Schulpsychologie.
Sie war ursprünglich im Geflüchtetenbereich aktiv und engagiert sich seit zwei Jahren im Klima- und Umweltbereich.
Seither ist sie Mitglied bei Extinction Rebellion München. Sie war Sprecherin des Bündnisses #noIAA, hat sich aber auch bei Waldbesetzungen, bei «Sand im Getriebe» und im Wahlkampf der LINKEN eingebracht. In die Partei ist sie nach der Wahl eingetreten.
Das Gespräch führte Angela Klein
Wovor Juristen im Zusammenhang mit dem verschärften Versammlungsgesetz gewarnt haben – die Anwendung des Polizeirechts auf Versammlungen – nimmt jetzt im Alltag des politischen Protests Gestalt an.
Du hast im vergangenen Herbst Besuch vom Staatsschutz bekommen. Wer kam da genau und was wollten die?
Im Juli 2020 habe ich mit einem abwischbaren Whiteboardmarker die Metallfassade der CSU-Landesleitung mit einem Fahrrad bemalt und «Verkehrswende» dazu geschrieben. Dafür habe ich einen Strafbefehl in der Höhe von fast 2000 Euro erhalten. Ich habe mich dann an die Presse gewandt und mit einem sehr guten Anwalt gewehrt, der letztendlich die Einstellung erwirkt hat.
Am 13.Juli stand die Kriminalpolizei vor meiner Wohnungstür wegen einer Aktion von Extinction Rebellion München (XR) am nächsten Tag. Die Aktion war bereits seit fünf Wochen angekündigt und XR hat eine E-Mail-Adresse. Aber der Staatsschutz hielt es für notwendig, einen Tag vor der Aktion bei mir als Pressesprecherin aufzuschlagen. Sie kamen zu zweit und haben eine Gefährderansprache angekündigt, in der sie mir gesagt haben, dass Großaktionen zur Gefährdung von Menschen führen können und wir das unterlassen sollen, weil es sonst zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen kann.
Ich habe mich dummerweise auf eine Diskussion eingelassen, weil mein Temperament mich dann ein bisschen hitzig gemacht hat, und habe darauf hingewiesen, dass XR München immer als oberstes Gebot auf die Sicherheit der Beteiligten und Dritten achtet. Außerdem habe ich gefragt, ob solche Gefährderansprachen auch bei Unternehmern und Politiker:innen gemacht werden, die mit ihrer Umweltzerstörung wirklich unser Überleben gefährden. Daraufhin hieß es, das könnte ich mir ja denken und dafür wären wir Aktivist:innen ja quasi da. Das fand ich unglaublich unverschämt und habe auf die sehr unterschiedliche Ausgangslage von staatlich legitimierten Institutionen und kriminalisierten Aktivistinnen hingewiesen. Letztlich war das ganze vermutlich nur ein Einschüchterungsversuch.
In der Woche der IAA habe ich eine Gefährderansprache für das Mitführen von Flyern und einem Banner in meiner Tasche erhalten. Dafür wurde ich eineinhalb Stunden in der Gefangenensammelstelle festgehalten. Den Zettel dazu habe ich dir geschickt. Das ist eine unglaubliche Frechheit. Eigentlich hat die Polizei meine Grundrechte zu schützen, letztendlich scheint es aber doch immer nur um Kapitalinteressen zu gehen. Jedenfalls hat das alles mein Rechtsstaatsempfinden und Demokratieverständnis tief erschüttert.
Gibt es eine Rechtsgrundlage für das, was sie getan haben?
Es gibt das Polizeiaufgabengesetz. Grundsätzlich dürfen sie damit alles Mögliche machen, z.B. mich eineinhalb Stunden festhalten, weil ich Flyer mit mir führe. Laut Polizeiaufgabengesetz geht das. Aber die Polizei ist ja trotzdem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Und das war überhaupt nicht verhältnismäßig und ich überlege auch dagegen zu klagen. Ich habe auch schon mit einem Anwalt darüber gesprochen, der meinte, dass es nicht so schlecht aussieht, dass ich das gewinnen könnte. Allerdings wird das dann wieder als Einzelfall behandelt und nicht als allgemeines Polizeiproblem.
Aber im Zuge von so einer Klage könnte man halt auch noch Transparenz für andere Sachen schaffen. Und das ist politisch vielleicht sinnvoll für die nächste IAA.
Ist Gefährder eine Dauereinstufung oder gilt der Status nur für den Zeitpunkt des Geschehens?
Nein, ich glaube das ist temporär. Bei der Aktion von Extinction Rebellion da hat sich das auf die Aktion bezogen; bei der IAA hatten sie ein Extraformblatt für die IAA. Ich gehe aber davon aus, dass sie irgendwas über mich haben, nachdem das jetzt innerhalb von zwei Monaten meine zweite Gefährderansprache war. Ich habe deshalb einen Antrag auf Datenauskunft bei der Polizei und beim LKA gestellt, die lassen sich aber gerade gut Zeit.
Genau, ich nehme an, dass ein Register über dich geführt wird und diese diversen Ansprachen auch alle schön darin verzeichnet sind.
Irgendwann basteln sie vielleicht etwas Größeres daraus oder greifen darauf zurück, vielleicht auch vor Gericht, wenn dann gesagt wird, aber Frau Pöttinger, das ist ja schon die zwölfte Gefährderansprache, die Sie kriegen.
Hast du auch von anderen Leuten gehört, dass ihnen das passiert ist?
Ja, ich war bei der Gefährderansprache während der IAA nicht allein, es waren glaube ich fünf Leute von uns in der mobilen Gefangenensammelstelle, und die haben alle eine Gefährderansprache gekriegt. Ich hab das Gefühl, die haben das einfach mal inflationär rausgehauen. Bei meiner ersten Gefährderansprache hat mich das schon ziemlich erwischt, das hat mir total Angst gemacht. Aber als die das bei der IAA genauso gemacht haben, dachte ich mir: Ok, wenn ihr das wirklich so inflationär macht, dann bedeutet das einfach gar nichts. Dann ist mir das ehrlich jetzt auch wurst.
Der Begriff Gefährder, dieser Sprachgebrauch, kommt ja aus der Terroristenbekämpfung.
Ja, sicher.
Das ist dann vielleicht nicht mehr so lustig. Der Begriff legt ja nahe, dass man es hier mit potenziellen Terroristen zu tun hat…
Jein, das wird bei Fussballfans z.B. auch gemacht, wie jetzt bei den Ultras und bei den 1860er Fans, weil die Sorge da ist, Menschen könnten sich verprügeln. Aber ja, natürlich, Gefährder, wen gefährde ich denn, gefährde ich den Staat, gefährde ich die Menschen? Also das ist schon ziemlich lächerlich.
Mir wird aktuell weder ’ne Straftat noch ’ne Ordnungswidrigkeit vorgeworfen. Und ich bin bisher für nichts verklagt worden oder verurteilt worden. Aber wenn man mir so kommt, dann werde ich relativ stur, dann denke ich, ok, jetzt erst recht, also wenn ihr mir wirklich für so einen Blödsinn Steine in den Weg legen wollt, dann muss ich sagen, dann bekräftigt mich das eher darin, dass ich irgendwie doch eine Wirkung habe.
Du hast gesagt, du willst juristisch dagegen vorgehen, richtig?
Genau. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich gehe davon aus.
Was lässt dich zweifeln?
Es ist halt eine Ein- bis Zwei-Jahre-Sache, es dauert einfach, es frisst Kapazitäten und da frag ich mich, ob diese Kapazitäten derzeit im Kampf gegen die Polizei wirklich besser angelegt sind als auf der Straße, in den Wäldern und an den Abbruchkanten.
Ist dir das jetzt zum erstenmal passiert? Oder gab es solche Situationen bei Demonstrationen vorher auch schon?
Im Oktober vergangenen Jahres war ich auf einer Demonstration, die die Polizei aufgelöst hat. Die Menschen dort waren untergehakt, und ich wurde gefragt, ob ich vorbeikommen und einen Livestream machen kann. Dann bin ich dorthin, um das zu tun, ich war gar nicht Versammlungsteilnehmerin, sondern bin von außen gekommen, um zu filmen, was da gerade abgeht und die Presse zu alarmieren. Da hat mich ein Zivilpolizist namentlich angesprochen, in der Art: Aha, Frau Poettinger, Sie sind es schon wieder, und mich gefragt, wie es denn mit meinem Lehramtsstudium so läuft, wenn ich ständig solche Sachen mache.
Wann ist denn das bayrische Polizeigesetz verabschiedet worden?
Das Polizeiaufgabengesetz gibt es schon einige Jahre, 2017 wurde es verschärft. Und Anfang dieses Jahres noch einmal.
Dann steht das in der Tat in einem Zusammenhang. Ich habe den Eindruck, da werden so Präzedenzfälle geschaffen, die gucken, wie weit sie gehen können, ohne dass sich groß Widerstand dagegen regt. Das ist ja willkürlich, was sie da gemacht haben, da scheinen sie mit auszutesten, wie weit sie gehen können. Das ist auch für uns in NRW wichtig, denn bei uns muss ja das Versammlungsgesetz noch durchgesetzt werden, und die schreiben ja gern von den Bayern ab.
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