Die kapitalistische Wirtschaftsweise erstickt an ihrer eigenen Produktion
von Angela Klein
«Ein sehr schlimmes Weihnachtsfest» prophezeit der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieder, wenn die Impfquote nicht deutlich steigt und Hotspots wie Discos und Weihnachtsmärkte geschlossen werden. Traurige Weihnachten unken auch die Wirtschaftsverbände – aus anderen Gründen:
Wegen der Unterbrechung der Lieferketten liegt zum diesjährigen Fest womöglich nicht für alle Kinder das begehrte Plastikspielzeug aus China unterm Baum. Und für die großen Kinder könnten Smartphones und Spielconsolen fehlen. Mandeln, Pistazien und Walnüsse könnten die Backwut bremsen – ausgerechnet jetzt, wo wieder mit Lockdown, Zwangs-Homeoffice und Quarantäne gedroht wird. Die kommen aber nicht aus China, sondern aus Kalifornien.
Gibt es Schlimmeres auf dieser Welt?
Mangel. Vielleicht. Da ist das Gejammer der Autoindustrie, der die Chips fehlen. Die Panik der Textilindustrie, dass die Baumwolllieferungen nicht nachkommen. IKEA fehlt das Holz für seine Möbelproduktion. Und der Druckerei der SoZ das richtige Papier. Über all dem schwebt die allgemeine Preissteigerung. Das Statistische Bundesamt gibt für den Monat Oktober eine durchschnittliche Steigerungsrate von 4,5 Prozent bekannt; die Nahrungsmittelpreise sollen um dieselbe Rate gestiegen sein, die Energiepreise allerdings um 18,6 Prozent. Da mögen vor allem Benzin und Diesel eine Rolle spielen, aber auch die Stromanbieter erhöhen schon fleißig, die Heizkostenabrechnung kommt erst im nächsten Jahr. Die Preissteigerung bei Gas und Öl hat allerdings ganz eigene Ursachen und Logiken.
Preise. Klar: Wenn das Angebot knapp wird, steigen die Preise. Warum aber wird das Angebot knapp, wenn die Wirtschaft doch wieder brummt? Das Kieler Institut für Weltwirtschaft etwa beziffert das Wachstum der Weltwirtschaft auf knapp 6 Prozent, die Weltbank kommt für die chinesische Wirtschaft – mittlerweile die Lokomotive der Weltwirtschaft – für 2021 auf ein Plus von 8,5 Prozent. Von der Erholung der chinesischen Wirtschaft profitieren auch deutsche Konzerne. Viele Unternehmen, die in China tätig sind, konnten sich im vergangenen halben Jahr über üppige Gewinne freuen. Laut einer im Juni veröffentlichten Umfrage der EU-Handelskammer profitierten die Firmen davon, dass China schneller als andere Weltregionen die Pandemie überwinden konnte und die Wirtschaft bereits im vergangenen Jahr wieder Fahrt aufnahm. Auch der weltweite Warenhandel ist nach Angaben der Welthandelsorganisation (WTO) auf Höchstmarken geklettert und hat im ersten Halbjahr 2021 das Niveau von vor der Pandemie übertroffen.
Container. An der Produktion und am Handel liegt es also nicht, wenn Waren, Vorprodukte und Rohstoffe knapp werden. Es liegt am Transport. Vor den wichtigsten Häfen der Weltwirtschaft, Shenzhen und Ningbo, Los Angeles und Long Beach staut sich der Verkehr: Ende Oktober lagen zum Teil bis zu hundert Schiffen pro Tag in einem Hafen oder vor Anker und warteten darauf, abgefertigt zu werden (allein in China Ende Oktober über 12000). Es fehlt aber nicht an Schiffen, es fehlt an Containern.
Viele Logistikfirmen klagen, dass sie manchmal nicht wissen, wo ihre Schiffe gerade sind, einen Überblick über die Transportketten gibt es nicht. Soweit es möglich ist, den Stau zu überschauen, hat er zwei Ursachen:
– Zum einen der plötzliche und unerwartet steile Anstieg der Nachfrage zu Anfang dieses Jahres, nachdem die vorübergehende Unterbrechung des Welthandels im vergangenen Jahr und die nachfolgende Rezession die Lager geleert hatte. Im März hatte es dann den Unfall im Suezkanal gegeben, im Juli/August wurde erst der Hafen von Yantian vor Shenzhen, dann der Hafen von Ningbo an der Ostküste Chinas stillgelegt, weil ein Fall von Corona aufgetaucht war.
– Zum anderen offenbart diese Transportkrise wieder einmal das Ungleichgewicht und die Krisenanfälligkeit des globalisierten Kapitalismus. «Die Fabriken in Asien produzieren zwar wie verrückt für die Läden in Europa, doch aus dem Westen müssen nicht annähernd soviel Waren zurück nach Osten. Die Folge: In den Häfen stapeln sich leere Container, die den Weg für die neuen, vollen Boxen blockieren. Gleichzeitig fehlen die leeren Kisten in Asien», schreibt die Wirtschaftswoche. Darauf reagieren Regierungen und Unternehmen nun in mehrfacher Weise:
- Die Hafenarbeiter müssen länger ranklotzen; US-Präsident Biden hat angeordnet, dass große Häfen und Logistikunternehmen rund um die Uhr zu arbeiten haben.
- Die Reedereien ordern neue Container wie verrückt, allein die dänische Firma Mærsk, ein Riese auf den Weltmeeren, hat 168000 neue Container bestellt, Hapag Lloyd 2020 und 2021 zusammen 600000.
- Große Versand- und Handelsunternehmen nehmen die Logistik jetzt selbst in die Hand: Ikea kauft Container und chartert Schiffe, Walmart chartert kleinere Schiffe, Coca-Cola hat Kohlefrachter gemietet, weil auch Schiffe knapp geworden sind. Amazon macht gleich die ganz große Nummer und hat seine Cargoflotte um elf Boeing767 auf 85 vergrößert, andere Unternehmen steigen auf Luftfracht um.
Gleichgewicht. Es ist aber nicht nur eine Frage von Containern. «Dem Welthandel fehlt das Gleichgewicht», sagt ein Vertreter von Hapag Lloyd gegenüber der Wirtschaftswoche. Und das liegt nicht an Corona, das war auch vorher schon so. Nichts verdeutlicht das besser, als wenn Schiffe mit leeren Containern zurückfahren, weil sie nicht an beiden Enden gleichermaßen beladen werden können.
Am meisten fällt dabei die massiv verzerrte Handelsbilanz mit China ins Gewicht: Die USA hatten da im vergangenen Jahr ein Defizit von 311 Mrd. Dollar; die BRD ein Defizit von 21 Mrd. Euro. Und da die Wirtschaft Chinas sich von Corona besser erholt hat als die der USA oder der EU, schießen die chinesischen Exporte in diesem Jahr durch die Decke. Elektrogeräte machen dabei rund zwei Drittel der Exporte aus.
Emissionen. Der Anteil des Transportsektors an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt 25 Prozent, er ist der zweitgrößte Verursacher überhaupt. Solange wir daran nicht rühren, kriegen wir auch die Emissionen nicht gesenkt. China hat für das Schaufenster UN-Klimagipfel einige Kohlekraftwerke geschlossen – dafür in der Inneren Mongolei neue aufgemacht. Der UN-Klimagipfel aber tanzte vergeblich um die Frage, wie die Emissionen gesenkt werden können, ohne das Wirtschaftswachstum zu bremsen. Sie können es nicht. Auch erneuerbare Energien sind endlich – nicht die Energiequelle, aber die Möglichkeiten, sie auszubeuten. Deutschland kann gar nicht soviel Windräder und Solaranlagen bauen, wie die Wirtschaft Hunger nach Energie hat – weil die Flächen fehlen.
Die Herrschenden wissen das – und sind bereit, es in Kauf zu nehmen. Sie fahren die Erde und die Lebensmöglichkeiten der Menschheit sehenden Auges an die Wand – nicht anders als bei Corona auch. Sie können nicht anders, weil ihr System ohne Wachstum zusammenbrechen würde. Für die Menschheit gilt das nicht – die hat Jahrtausende und Jahrzehntausende gelebt und dabei Hochkulturen hervorgebracht ohne den Wachstumszwang, der der kapitalistischen Akkumulation innewohnt. Das galt bis zur industriellen Revolution.
Den Stau vor den Häfen kann man auch als Zeichen lesen: Die kapitalistische Wirtschaftsweise erstickt an ihrer eigenen Produktion. Es gibt gar keine andere Alternative, als den Warenausstoß und die Arbeitszeiten drastisch zu senken – und damit auch den CO2-Ausstoß. Shrink or sink. Ein Scharlatan, wer uns weismachen will, ohne das viele Plastikzeug und Geblinke wäre das Leben nicht lebenswert. Im Gegenteil, damit finge es erst an.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.