Haitianische Malerei zwischen Vodou und klassischer Moderne
von Angela Klein
Im Jahr 2018 fand in Basel eine Ausstellung über «Kunst aus Haiti 1970–2000» statt. Der daraus entstandene Katalog*, auf dem der vorliegende Artikel mitsamt Illustrationen beruht, ist weiterhin erhältlich.
Er enthält eine ausführliche Einleitung über die Geschichte Haitis, die künstlerische Entwicklung im 20.Jahrhundert, die Zuordnung der verschiedenen Maler (es ist nur eine Malerin aufgeführt) zu bestimmten Künstlergruppen und Stilrichtungen, ihr soziokultureller Hintergrund, ihre Biografien. Man erhält einen sehr guten Einblick in die geistige Entwicklung eines Landes, das zwischen archaischen Kulten und Anpassung an die Moderne hängt.
Haiti ist ein bitterarmes Land, im Länderranking nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopfe nimmt es Platz 177 von 193 Ländern ein. Besser gesagt: es wurde arm gemacht. Erst durch die Plantagenwirtschaft der französischen Kolonisatoren (Zuckerrohr, Kakao, Kaffee – heute noch Exportprodukte) – die Insel war im 18.Jahrhundert die reichste Kolonie Frankreichs und deckte ein Drittel der französischen Staatseinnahmen.
Durch Entwaldung und Erosion sind große Flächen für den Ackerbau verloren gegangen – im Jahr 2000 waren noch 2 Prozent des ursprünglichen Baumbestands übrig, nur ein Drittel des Landes ist heute noch landwirtschaftlich nutzbar, dennoch ist Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle. In den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts kam die Schuldendiktatur durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) dazu: Seitdem kann das Land die eigene Bevölkerung nicht mehr ernähren, weil alles in den Export geht; 80 Prozent der Einnahmen daraus werden für die Einfuhr von Lebensmitteln verwendet.
Der Import von Gebrauchtwaren aus den USA hat überdies den handwerklichen Sektor kaputt gemacht. 75 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, wobei es ein starkes Gefälle zwischen der Hauptstadt Port-au-Prince und dem Rest des Landes gibt.
Auch ethnisch ist das Land geteilt: Im Süden leben die mutattischen Eliten, im Norden die schwarzen Bauern.
In diesem armen Land blüht die Malerei, sie ist Auftragsmalerei und Einkommensquelle in allen Schichten. Maler aus der Oberschicht stellen in Galerien aus; die ärmeren auf der Straße. Hier dominiert das (handgemalte) Serienprodukt, das an Touristen verkauft wird.
Vor 1930 ließen sich die Maler drei verschiedenen, klar getrennten Schichten zuordnen:
– der mulattischen Oberschicht, Offiziere und Politiker – sie wollen damit renommieren und orientieren sich am europäischen bzw. nordamerikanischen Geschmack;
– der bäuerlichen oder handwerklichen Mittelschicht, die über ein eigenes Haus oder ein Stück Land verfügt, auch über Schulbildung, aber der Besuch einer Akademie ist für sie ausgeschlossen, sie sind Autodidakten, immerhin kommen sie an Vorbilder ran – in ihren Bildern werden Geschichten erzählt;
– der schwarzen haitianischen Landbevölkerung, die analphabetisch, sozial verachtet, ohne Kommunikationsmittel und sich selbst überlassen ist. Hier stiftet der Vodou-Kult den Zusammenhang, eine Naturreligion, die die Schwarzen aus ihrer westafrikanischen Heimat mitgebracht haben. Die Bildersprache hat hier den Vorzug, dass sie von allen verstanden wird. Die Bilder können rein kultischen Zwecken dienen, sie können aber auch darüber hinaus gehen und künstlerische Ansprüche zum Ausdruck bringen.
Ab 1930, noch unter der US-Besatzung (1915–1937), beginnen die Grenzen zwischen diesen Strömungen durchlässig zu werden.
In Reaktion auf die demonstrative Verachtung der Schwarzen durch die US-Besatzer ergreift die urbane Intelligenz Partei für sie, prägt die Bewegung des Indigenismus und entwickelt dabei ein neues Verständnis der Identität der kolonialisierten Oberschicht. Treibende Kraft dieser Bewegung war die Kommunistische Partei, aus ihr entstand der Begriff der art nègre. Die neuen Sujets der Malerei sind nun Szenen aus dem Landleben. Rund um diese Bewegung entsteht erstmals so etwas wie eine haitianische Öffentlichkeit, die alle Schichten der Bevölkerung im Blick hat, und ein haitianisches Publikum. Als Begründer dieser Bewegung gilt der haitianische Jurist Pétion Savain.
Zehn Jahre später, Mitte der 40er Jahre, konnte ein haitianisches Kunstzentrum, das Centre d’art, gegründet werden, das haitianische Malerei mit Kunst und Kultur im übrigen karibischen Raum zusammenführen sollte. Europäische Maler wie Picasso, Modigliani oder die Surrealisten begannen, Interesse dafür zu entwickeln. Mit der Öffnung zur internationalen Öffentlichkeit differenzierte sich das, was sich als haitianische Malerei verstand, jedoch; neue Strömungen gründeten neue Zentren. Einer dieser Wege war der Versuch, Anschluss an die moderne internationale Malerei zu finden und selber mit Kunstformen zu experimentieren – was ihn teilweise in Gegensatz zur «primitiven Malerei» brachte.
Eine andere Linie führte zur Künstlerkolonie Saint Soleil. Sie wurde 1972 vom haitianischen Maler Jean-Claude Graute, genannt TIGA, gegründet mit dem Ziel, Maler aus dem Stumpfsinn der Serienproduktion für den Straßenverkauf herauszuholen und der vodouesken Kultur künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten. Er stellte den Malern Pinsel, Farbpigmente, Trommeln, Ton und Leinwand zur Verfügung. So konnten sie nach der Feldarbeit kreativ arbeiten, mit Gesang, Tanz oder eben Malerei. Diese sollte von kommerziellen Zwängen befreit sein, was sich nicht ganz durchhalten ließ, weil einige von ihnen doch in den internationalen Handel gelangten – vor allem nachdem die Gruppe Kontakt zum französischen Kulturminister André Malraux bekommen hatte. Darüber ging die Gruppe 1978 auseinander, es bildeten sich danach neue Malergruppen.
Es sind aus dieser Kolonie Malerinnen und Maler hervorgegangen, die internationale Bekanntheit erlangt haben. Was sie verbindet ist der Versuch, aus der Vodou-Tradition Impulse aufzunehmen, die künstlerisch weiterentwickelt werden.
Mittlerweile ist haitianische Kunst zu einem wichtigen Devisenbringer des Landes geworden. Die meisten Bilder werden von Galerien verkauft. Auch für die Maler selbst verbindet sich damit ein sozialer Aufstieg.
*Heinrich Thommen: «Bitter und bezaubernd». Kunst aus Haiti 1970–2000. Sammlungskatalog. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2018. 272 S., www.imhof-verlag.com.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.