Auf die lange Bank geschoben
von David Stein, Angela Klein
57,6 Prozent der Berliner Wähler:innen haben im September für die Vergesellschaftung der Bestände aller Wohnungsunternehmen mit über 3000 Wohnungen, eine gemeinwirtschaftliche Verwaltung der Wohnungsbestände und eine Entschädigung deutlich unter dem Verkehrswert gestimmt. Doch der Berliner Senat ist weit davon entfernt, die nötigen Maßnahmen einzuleiten.
SPD, Grüne und Linke, derzeit in Koalitionsverhandlungen, geloben zwar in einem aktuellen Sondierungspapier, die neue Regierung werde «das Ergebnis des Volksentscheids respektieren» und «verantwortungsvoll damit umgehen». Auf viel mehr als auf die Einsetzung einer Expertenkommission konnte sie sich allerdings nicht einigen. Dafür enthält das Papier genug Stellschrauben, mit denen der Vergesellschaftung der Garaus gemacht werden kann.
Die Kommission soll innerhalb eines Jahres Handlungsempfehlungen für den Berliner Senat erarbeiten und folgende Fragen beantworten: Kann die Vergesellschaftung verfassungskonform umgesetzt werden? Wie wirkt sie sich auf Wohnungsmarkt, Gesellschaft und Finanzen des Landes aus? Die Zusammensetzung der Kommission lässt ein wenig hoffen – der Senat setzt auf «externe fachliche Expertise», die auch Vertreter der Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen einschließt – auf die Auswahl der externen Fachexperten wird die Initiative ansonsten jedoch keinen Einfluß haben. Erst 2023 sollen «gegebenenfalls» Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorliegen, über die der Senat dann abschließend entscheiden will.
Das Papier trägt die Handschrift der zukünftigen SPD-Bürgermeistern Giffey, die sich noch vor den Wahlen klar gegen eine Vergesellschaftung ausgesprochen hatte und stattdessen für ein «Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen» wirbt. Vonovia und die von ihr übernommene Deutsche Wohnen sind Partner des Bündnisses. Giffey steht damit in bester Tradition ihrer Partei: Die SPD war im Nachkriegsberlin schon immer mit der Immobilien- und Baulobby eng verbandelt.
Und Die Linke? Sie hätte in einer neuen Koalition kein Leuchtturmprojekt mehr. Den Posten des Bausenators muss sie ohne an die SPD abgeben. Verlorene Prozesse wegen des Mietendeckels bzw. von Vorkaufsrechten lassen sie als Verlierer dastehen. Was nicht allein ihre Schuld ist. Wenn Wähler mehrheitlich für eine Vergesellschaftung stimmen, das Votum sich aber für die einzige Partei im Abgeordnetenhaus, die dafür eingetreten ist, nicht auszahlt, wirft dies auch Fragen über das Bewusstsein der Wählerinnen und Wähler auf. Vergesellschaftungen werden nicht allein durch ein politisches Votum, sondern durch eine höchst komplexes Gesetz umgesetzt, das im Parlament ausgearbeitet und verabschiedet wird.
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