Zu teuer, zu gefährlich, zu spät
von Wolfgang Pomrehn
Alle Jahre wieder. Immer, wenn es auf die herbstliche UN-Klimakonferenz zugeht, werden die Reste der deutschen Atomlobby aktiv, um die Trommeln für ihre alten Meiler zu rühren.
Und mit ziemlicher Regelmäßigkeit finden sie in den Redaktionsstuben jemanden, der aus purer Lust an der gedankenlosen Provokation versucht, deren immergleichen Sermon von der vermeintlichen Sicherheit der klimarettenden Atomkraft als brandneue Einsicht und Ausgeburt von Rationalität zu verkaufen, während alle anderen natürlich Ideologen oder Naivlinge sind. Ganz so, als schrieben wir das Jahr 1997 und die Umweltministerin und spätere «Klimakanzlerin» würde noch immer den Propaganda-Unsinn von RWE nachplappern, demzufolge die erneuerbaren Energieträger nie viel mehr als 2 Prozent der Stromversorgung würden abdecken können. Tatsächlich sind es in Deutschland inzwischen fast 50 Prozent und in anderen EU-Ländern sogar noch mehr.
Hierzulande nahm in den letzten Jahren kaum noch jemand dieses Märchen von der sauberen Atomkraft ernst, doch hinter den Kulissen ist die Lobby offenbar noch immer einflussreicher, als man denken mag. Das liegt vor allem auch daran, dass zwar viele EU-Mitglieder wie Deutschland in den nächsten Jahren die letzten AKWs stilllegen werden oder gar keine besitzen, andere aber weiter am Bau neuer interessiert sind: vor allem Finnland, Frankreich, die Tschechische Republik und die Slowakei.
Und so kommt es, dass die EU kurz davor ist, die Atomkraft in ihren Werkzeugkasten für nachhaltige Entwicklung aufzunehmen, was ihr besondere Förderung zu kommen lassen würde. Das führte kürzlich zu einem internationalen Aufschrei bei den Umweltverbänden, die sich mit einem Appell zum Eingreifen an den voraussichtlich nächsten Kanzler Olaf Scholz wandten.
Wie man hört, hatte die nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel es nämlich unterlassen, bei der letzten Sitzung des Europäischen Rats gegen den Griff der Atomlobby nach den EU-Fördertöpfen zu intervenieren. Aber das kann eigentlich nur jene erstaunen, die vergessen haben, wie die «Klimakanzlerin» einst gerne zur Einweihung der neuen Braunkohlekraftwerke von RWE anreiste und 2010 zusammen mit der FDP den Atomausstieg kippte. Freilich nur, um ein halbes Jahr später nach der dreifachen Havarie im japanischen Fukushima unter dem öffentlichem Druck einen Rückzieher zu machen.
Doch nun sollen die altersschwachen AKWs auf einmal Klimaretter sein und sogar der Neubau gefördert werden.
Nachteile der AKWs
Deshalb ist es vielleicht Zeit, an ein paar einfache Fakten zu erinnern: Erstens ist der Abbau von Uran mit erheblichen Gesundheitsproblemen in den betroffenen Regionen verbunden und der Rohstoff zudem inzwischen sehr knapp. Zweitens sind Unfälle zwar selten, aber möglich und dann extrem zerstörerisch. Siehe Tschernobyl oder Fukushima.
Drittens braucht es aktuell in Europa über zehn Jahre, ein neues AKW zu bauen. Viertens gibt es noch immer kein sicheres Endlager für den Strahlenmüll, der für 100.000 Jahre oder mehr verwahrt werden muss. Fünftens sind AKWs sehr schwerfällig und passen nicht zur ungleichmäßigen Stromerzeugung der Erneuerbaren. Sechstens ist Atomstrom deutlich teurer als Solar- oder Windstrom.
Und schließlich ist die AKW-Technologie wegen des großen Material- und Kapitalaufwands ein sehr zentralistischer Ansatz und konnte zudem bisher in den meisten Ländern nur mit massiver Polizeigewalt durchgesetzt werden. Mit einer demokratisch kontrollierten, kommunalen Energieversorgung ist sie nicht vereinbar.
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