Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2021

Autonomes Fahren löst die Verkehrsprobleme nicht, es verschärft sie
von Klaus Meier*

Der Automarkt in den entwickelten kapitalistischen Ländern ist tendenziell übersättigt. In den Städten wird immer mehr Menschen bewusst, dass der allgegenwärtige Autoverkehr, die Staus, der Lärm und die Luftverschmutzung ihre Bewegungsfreiheit und ihre Gesundheit beeinträchtigen. Den großen Fahrzeugkonzernen droht dadurch auf Dauer der Verlust von Märkten und Profiten. Aber sie haben eine Gegenstrategie. Sie heißt Digitalisierung und Autonomisierung der Fahrzeuge.

Die Bosse von VW, Daimler und BMW hoffen, dass sie mit dem autonomen Fahren neue Begeisterung für ihre zuletzt schwer kritisierten Karossen auslösen können. Das Vorbild dürfte der Apple-Konzern sein, dem eine Zeitlang die neuen i-phones regelrecht aus den Händen gerissen wurden. Die Fahrzeugkonzerne versuchen also, ihre Autos umzuinterpretieren: Sie sollen nicht länger nur ein Transportmittel sein, um von A nach B zu kommen, sondern sollen zu einem mobilen Endgerät und einer Schnittstelle des digitalen Lebens werden.

Neue Geschäftsmodelle
Bei den autonomen Autos werden fünf Entwicklungsstufen unterschieden. Heute kann technisch bestenfalls die erste Stufe erreicht werden. Erst ab der Autonomiestufe 3 kann ein Fahrzeug eigenständig die Spur wechseln und Überholmanöver ausführen. Doch sogar dann muss bei Bedarf immer noch der Mensch die Steuerung übernehmen.
Doch von der Stufe 3 sind die heute verfügbaren Fahrzeugtechnologien noch Lichtjahre entfernt. Erst recht von der Stufe 5, bei der die Autos vollständig autonom agieren sollen. Ernsthafte Stimmen gehen davon aus, dass eine umfassende Autonomie der Fahrzeuge erst nach 2040 möglich sein wird.
Trotzdem arbeiten die Konzerne an digitalen Zwischenschritten, sog. Fahrerassistenzsystemen. Damit sollen Autos z.B. in Parkhäuser und Garagen autonom ein- und ausfahren oder schwierige Parkmanöver ausführen können. Oder sie sollen in überschaubaren Situationen bei niedrigen Geschwindigkeiten Sicherheitsabstände und die Spur halten können. Das ist technologisch in absehbarer Zeit durchaus erreichbar.
Die Konzerne versprechen sich davon vor allem ein Anfixen von technikaffinen Autofans. Ihnen soll immer wieder neuer Gesprächsstoff über die Fähigkeiten ihrer Karossen geliefert werden. BMW, Daimler oder VW wollen damit die Autotechnik nach Dieselbetrug, CO2 und Feinstaub wieder positiv besetzen. Das könnte durchaus funktionieren. Real betrachtet sind das aber alles unnütze Spielereien, die niemand wirklich braucht. Erst recht nicht in Zeiten von drohender Klimakatastrophe und knapper werdenden Ressourcen.
Neben den Autonomieassistenzsystemen arbeiten die Autokonzerne auch an der digitalen Anbindung ihrer Karossen an das Internet. Damit soll es möglich sein, im Auto Musik zu streamen, Videos aufzuzeichnen oder ortsbezogene Werbung zu schalten. Viel wichtiger dürfte aber sein, dass Autobesitzer zukünftig auch Updates herunterladen können, mit denen gegen Cash neue Autofunktionen freigeschaltet werden. Das könnten z.B. verbesserte Spurhalteassistenten oder Einparkfunktionen sein.
Dem Beispiel der großen Softwarekonzerne folgend, wollen VW, Daimler oder BMW künftig nicht nur vom direkten Verkauf ihrer Hardware profitieren, sie wollen auch ein neues Geschäftsfeld als Softwarehersteller aufbauen. Es winkt doppelter Profit und dafür sind die Autokonzerne bereit, hunderte Milliarden in digitale Systeme zu investieren.

Nur mit viel Ressourcen
Von kapitalistischen Ideologen wird behauptet, digitale Geschäftsmodelle würden hohes Wachstum bei gleichzeitiger Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs ermöglichen. Im Bereich der Automobile zeigt sich, dass dies eine Geschichte aus dem kapitalistischen Märchenbuch ist. In der Realität werden digitale Funktionen und autonome Assistenzsysteme nur durch extrem aufwendigen Hardwareeinsatz möglich. Moderne Fahrzeuge werden regelrecht vollgestopft mit Mikrocontrollern, Touch-Panels, Bordnetzen, Funksystemen, Sensoren und Kameras. Die Elektro-Golfs, die VW seit 2019 auf einer offiziellen Teststrecke in Hamburg fahren lässt, sind mit über elf Laserscannern, sieben Radarsensoren und 14 Kameras ausgestattet. Im Kofferraum steckt zusätzlich eine Rechnerleistung, die der von 15 Laptops entspricht.

Die schöne Welt der «Smart City»
Die Autokonzerne arbeiten daraufhin, dass der Staat hohe Summen für Infrastrukturmaßnahmen zur Absicherung ihrer Autonomiespielereien aufwendet. Im Blick steht dabei die Digitalisierung der städtischen Straßeninfrastruktur. Konzernstrategen bezeichnen das als «Smart City». Dadurch werden die Funktionen der semi- oder vollautonomen Autos insbesondere bei Regen, Dunkelheit oder Schnee erst sicher und funktionsfähig. Externe Sensoren an Ampeln und Verkehrsschildern würden z.B. Fahrzeugen per Funk die Verkehrsbelastung auf schwierigen Kreuzungen mitteilen.
Für die Kommunikation der Autos mit ihrer Umgebung wurden bereits Standards entwickelt. Dazu gehört die V2X-Schnittstelle, die für «Vehicle to everything» steht. Damit entstehen künftig insbesondere in den Städten rund um die Uhr und zu jedem Zeitpunkt tausende von einzelnen Verkehrsinformationen.
Eine gebündelte kapitalistische Interessengemeinschaft aus Auto-, Digital- und Elektronikkonzernen stellt sich das so vor, dass die Kommunen und der Staat die Umrüstung und Überwachung der Verkehrsinfrastruktur übernehmen und natürlich auch bezahlen. Die Konzerne sehen hier bereits einen milliardenschweren Zukunftsmarkt für Sensor- und Steuerungstechnik.

Wer soll zahlen?
Eine weitere Voraussetzung für autonomes Fahren ist die Entwicklung eines schnellen und zuverlässigen Kommunikationsnetzes. Denn die Sensoren und die Kamerasysteme in den Fahrzeugen haben den Nachteil, dass sie nicht um die Ecke oder über einen Berg schauen können. Dadurch ist die Funktion selbstfahrender Autos eingeschränkt, insbesondere höhere Geschwindigkeiten sind mit einem solchen System auf absehbare Zeit nicht erreichbar.
Ein neues, schnelles Kommunikationsnetz, konkret das 5G-Netz, soll hier Abhilfe schaffen. Propagiert wird die Vision von Autos, die mittels 5G miteinander kommunizieren können. So könnte ein Auto auf der Gegenfahrbahn ein entgegenkommendes Auto warnen, dass sich Fußgänger hinter einem Bus befinden oder dass ein Fahrzeug an der Straße liegen geblieben ist.
Der Bitkom-Verband, die Lobbyorganisation der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, sieht den Staat in der Pflicht, dafür den 5G-Ausbau zu garantieren. Die dafür aufzuwendenden Kosten und Ressourcen stehen auch hier konträr zu Maßnahmen für den Klimaschutz und eines reduzierten Rohstoffverbrauchs.

Hoher Verbrauch von seltenen Erden und Halbleitermaterialien
Die automobile Digitalisierung und die Einführung autonomer Fahrzeugfunktionen sind untrennbar mit dem Verbrauch von knappen Halbleitermaterialien, seltenen Erden und anderen kritischen Metallen verbunden. Sie sind für die Sensoren, Aktoren, Datenspeicher, Rechnersysteme und Datenübertragungsgeräte unabdingbar.
Diese Entwicklung wird von einer Studie des Ökoinstituts unterstrichen, die davon ausgeht, dass sich in den kommenden 15–20 Jahren die Menge an kritischen Metallen in Altautos um den Faktor 2 erhöhen wird. Generell gilt, dass die im Rahmen der Digitalisierung verbauten, kritischen Materialien fast überhaupt nicht recycelt werden. Der Grund: Das Recycling ist technologisch aufwendig und und für die Konzerne teurer als die Beschaffung neuer Rohstoffe. Nicht zuletzt deswegen hat die Mehrheit des EU-Parlaments im Herbst 2021 für eine verstärkte Entwicklung von europäischen Bergbauprojekten votiert. Auch Naturschutzgebiete sollen nicht ausgespart werden.

Ohne gesellschaftlichen Nutzwert
Die großen Automobilkonzerne versprechen der Gesellschaft, dass mit der Digitalisierung und mit autonomen Autos eine bessere Zeit anbricht. Man könne stressfrei im Auto sitzen und sich gemütlich zum Ziel bringen lassen. Gleichzeitig würden alle Verkehrsprobleme gelöst, denn intelligente Rechner, die alles durchplanen, würden die Straßennutzung optimieren. Insbesondere würde es zu weniger Unfällen kommen.
Wer den Versprechungen Glauben schenkt, könnte allerdings böse enttäuscht werden. Selbst konservative Studien gehen davon aus, dass sich durch die Einführung autonomer Fahrzeuge das Verkehrsaufkommen weiter erhöhen wird.
Wer bspw. in der Innenstadt keinen Parkplatz findet oder wem die Parkgebühren schlicht zu teuer sind, der könnte sein Fahrzeug alleine in der Gegend herumfahren lassen, bis etwa alle Einkäufe erledigt sind. Oder wenn ein Schulkind zu Hause Schulmaterialien oder eine Jacke vergessen hat, dann wird das Problem so gelöst, dass ein autonomes Fahrzeug hinterhergeschickt wird. Und wenn es keinen Platz in einer Kneipe gibt, um mit Freunden ein Bier zu trinken, warum sollte man dann nicht gemeinsam einfach etwas durch die Gegend fahren und die Theke in das Auto verlegen?
Diese Betrachtungen zeigen, dass sich mit autonomen Autos die Verkehrsprobleme nicht lösen lassen, sie haben sogar das Potenzial, sie deutlich zu verschlimmern.
Die Klimabewegung und die Linke sollten daher klar Position gegen die Visionen einer «Smart City» und von autonomen Autos beziehen. Die wirkliche Alternative ist der Ausstieg aus dem Autoindividualverkehr.

*Der Autor ist Ingenieur und Mitglied im Netzwerk Ökosozialismus.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.