Katalysator für die Erwirtschaftung von noch mehr Profiten
von Lorenz Küppers
Die neue Ampel-Regierung will die Digitalisierung unserer Arbeits- und Lebenswelt zu einem Herzstück ihrer Regierungstätigkeit machen. Dabei werden die Auswirkungen auf die kapitalistische Ordnung verschieden interpretiert: Manche sehen in der Digitalisierung den sich abzeichnenden Kollaps des kapitalistischen Systems, für andere wirkt es so, als ob der Kapitalismus sich lediglich einem Wandel unterzieht.
Folgt man der Argumentationslinie von Marx, so führen die technischen Revolutionen in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu einer Transformation des Kapitalismus, nicht aber zu seiner Hinterfragung.
Im Kapitalismus ist das oberste Ziel, Geld zu machen. An dieser Tatsache wird die Digitalisierung nichts ändern. Im Gegenteil, die technologischen Errungenschaften und Fortschritte dienen als Katalysator für die Erwirtschaftung von noch mehr Profiten. Was sich ändert, sind die Möglichkeiten und Umstände. Die allgegenwärtige Einsatz digitaler Techniken und die globale Vernetzung durch das Internet verändern nicht nur die bestehenden Möglichkeiten der Profitgewinnung, sie schaffen auch gänzlich neue.
Die Digitalisierung ermöglicht die konstante Sammlung, Übermittlung und Verarbeitung von Daten. Im digitalen Sektor sind daher Plattformen entstanden, die innerhalb kürzester Zeit ein immenses Marktvolumen an sich gerissen haben. Der digitale Raum hat den Weg für neue Geschäftsmodelle geebnet.
Manche Plattformen machen Geld mit Werbeanzeigen und bieten im Gegenzug vermeintlich kostenfreie Dienste an, so etwa Google oder Facebook. Cloud-Dienste vermieten digitale Infrastruktur, und wieder andere Plattformen wie etwa Uber oder Fiverr fungieren als Vermittler zwischen Anbietenden von Leistungen und denen, die sie in Anspruch nehmen.
Was sie verbindet ist die Grundlage, auf der sie arbeiten: die Verarbeitung von Daten. Durch statistische Analyseverfahren werden Unmengen an Daten gesammelt. Jeder Schritt, jeder Klick, jedes gepostete Bild wird, falls es relevant ist, analysiert. Was schaut man sich an, was interessiert einen, wo hält man sich auf, wie alt ist man und so weiter. Das Verhalten der Endnutzer:innen von digitalen Angeboten wird konstant analysiert und verwertet.
Für die Verarbeitung dieser Daten werden Programme verwendet, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. Diese lernfähigen Programme können, sofern sie mit Daten gefüttert werden, selbstständig bestimmte Aufgaben bewältigen. Mit jedem Datensatz, den solche Algorithmen erhalten, werden sie leistungsfähiger. Für diesen Prozess ist bisher noch menschliche Arbeitskraft notwendig, denn die Datensätze müssen vorstrukturiert werden. Sogenannte Click-Worker sortieren bspw. Bilder nach bestimmten Merkmalen, damit diese anschließend für den Lernprozess des Algorithmus verwendet werden können.
Die Anwendungsmöglichkeiten für Programme dieser Art sind äußerst vielfältig: personalisierte Werbeanzeigen, Netzwerkexpansion, Gesichtserkennungssoftware und so weiter. Die entstandene Möglichkeit, Nachfrage und Angebot optimal zusammenzuführen, eröffnet Unternehmen präzise Wege, ihren Umsatz zu steigern.
Die Digitalisierung hat bereits zu einer Vielzahl neuer Ausbeutungsmöglichkeiten geführt. Click-Worker:innen werden teilweise mit lächerlichen Beträgen pro Stück bzw. Datensatz entlohnt; Menschen, die auf Dienstleistungsplattformen selbständig Arbeit anbieten, unterbieten sich gegenseitig und arbeiten im Endeffekt oft für miserable Bezahlung. Diesen Arbeiter:innen fehlt die materielle Basis für gewerkschaftliche Organisation und somit auch das benötigte Mittel für einen Kampf um gerechte Bezahlung. Und auch diejenigen, die nicht direkt in diesem Sektor arbeiten, sind Opfer von Ausbeutung.
Daten stellen im wirtschaftlichen Wettbewerb mitunter die wertvollste Ressource dar und werden teils unwissentlich, teils freiwillig, aber in den meisten Fällen kampflos preisgegeben. Denn jede Person steigert durch ihre Teilnahme am digitalen Angebot die Menge an Daten, die gesammelt wird, und somit auch die wirtschaftliche Stärke der entsprechenden Plattformen und Konzerne. Ein gigantischer Teil der Menschheit ist in diesen Prozess einbezogen, und viele sind sich dessen nicht einmal bewusst. Der Kapitalismus durchdringt mit der Digitalisierung sämtliche Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens und besetzt das menschliche Leben mehr als je zuvor.
In «konventionellen» Sektoren der Arbeitswelt bringt die Digitalisierung ebenfalls einen enormen Wandel mit sich. Bestehende Arbeitsprozesse verändern sich kontinuierlich durch den Einsatz neuer Technologien. In verschiedenen Bereichen finden Formen der Künstlichen Intelligenz Anwendung, sei es bei industriellen Fertigungsprozessen oder beim Einsatz von KI-gesteuerten Robotern in der Logistik. Künstliche Intelligenz ermöglicht es Unternehmen, nicht nur die Produktionszeiten von Waren zu verkürzen, sondern auch, sie schneller an die Konsument:innen zu bringen und somit Arbeiter:innen stärker auszubeuten.
In bestimmten Bereichen bietet der Einsatz künstlicher Intelligenz bereits eine Alternative zu menschlicher Arbeitskraft. Aus kapitalistischer Sicht geht es hier um eine Kosten-Nutzen Rechnung. Besteht aufgrund technischer Errungenschaften eine Alternative zu Arbeiter:innen, werden diese, sofern es sich rentiert, ersetzt. Das führt zum Abbau von überflüssigen Stellen und offene oder versteckte Massenarbeitslosigkeit.
Auf der anderen Seite muss natürlich jemand die notwendige Hardware bauen, die Maschinen überwachen, warten und die passende Software entwickeln, dafür braucht es Arbeitskräfte. In vielen Fällen wird eine Um- bzw. Weiterbildung der Arbeitskräfte notwendig sein. Doch selbst wenn die Anzahl an Arbeitsplätzen insgesamt auf einem vergleichbaren Niveau bleibt, so ist es utopisch, von einem nahtlosen Übergang von abgebauten Stellen zu neu entstehenden auszugehen. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen geht zusätzlich mit einer Dequalifizierung bestimmter Arbeitskräfte einher. Auch wenn die Vorstellung, dass Maschinen dem Menschen körperlich belastende Tätigkeiten abnehmen, verlockend sind, werfen diese Entwicklungen allerhand Fragen der sozialen Gerechtigkeit auf.
Die Digitalisierung hat wie alle anderen Entwicklungen der Menschheit Licht und Schattenseiten. Wer kann schon behaupten, dass es nicht schön ist, jeden Mensch beinahe überall auf der Welt auf direktem Weg erreichen zu können? Man kann die Alben seiner Lieblingsband hören, ohne sich eine CD kaufen zu müssen, und man kann jedes noch so spezifische Produkt zu sich nach Hause bestellen.
Die Vorzüge der Digitalisierung sind komfortabel und nützlich, aber der Preis dafür ist der gläserne Mensch. Man gibt seine persönlichen Daten gigantischen Konzernen, und das birgt ein verheerendes Potenzial.
Auf den ersten Blick wird das nicht unbedingt deutlich – was ist schon schlimm daran, Werbung für etwas zu bekommen, das man eventuell sogar kaufen möchte? Allerdings darf man auch die Bereitschaft der Konzerne nicht unterschätzen, die Daten, die sie sammeln, Staaten und anderen Akteuren zu überlassen, die sie zu Zwecken der Überwachung und Kontrolle nutzen können (und wollen). Immerhin können Regierungen den Konzernen im Gegenzug durch Regulierungen die Verwertungsbedingungen verbessern.
Aus diesem Verhältnis entsteht eine gefährliche Wechselwirkung, die massiv ins politische Geschehen eingreifen kann. Micro-Targeting in Wahlkämpfen, Social-Credit-Scores oder sonstige Überwachungsformen sind die potenzielle Konsequenz. Die Kapitalakkumulation hat schon immer stark den Gang der Weltgeschichte diktiert – mit der Digitalisierung erreicht diese Dynamik neue Ausmaße.
Quelle: https://sozialismus.ch/arbeit/2020/oekonomie-wie-funktioniert-der-digitale-kapitalismus/
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