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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2021

Tarifeinheitsgesetz bei der Deutschen Bahn
Gespräch mit GDL-Mitglied

Nach dem Streik der GDL geht die Auseinandersetzung bei der Bahn weiter
Bei der Bahn soll nun zum ersten Mal das Tarifeinheitsgesetz angewandt werden. Damit gilt in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft. Wie wird das umgesetzt? Darüber sprachen wir mit dem aktiven GDL-Mitglied Lukas (Name von der Red.geändert), der seit 2012 als Lokführer bei der Bahn arbeitet.

Der Streik war eine sehr harte Auseinandersetzung. Wie ist bei euch das Ergebnis angekommen?

Es sind nicht alle zufrieden, weil die Inflation sehr spürbar ist. Das Ergebnis an sich ist aber gut. Wir hatten zwei Urabstimmungen, einmal mit über 95 Prozent für die Einleitung des Streiks und ein zweites Mal mit 96,6 Prozent Zustimmung zum Ergebnis und für die Beendigung des Streiks. Das ist sehr eindeutig.

Wie geht es jetzt weiter?

Erstmal wird der Tarifvertrag nur in den 16 Betrieben angewandt, in denen der Arbeitgeber eine Mehrheit der GDL annimmt. Das ist auch im Einklang mit dem Tarifeinheitsgesetz. Bei den anderen Betrieben nimmt der Arbeitgeber die EVG als mitgliederstärkste Gewerkschaft an. Das ist insgesamt sehr willkürlich. Deswegen müssen wir nun die Mehrheiten in den Betrieben darstellen. dafür ist eine Auszählung notwendig.
«Wie» das geschehen soll, ist noch schwierig zu beantworten. Die EVG möchte gerne, dass sofort ausgezählt wird, wir wollen den 1.1.22 als Stichtag. Wir wollten die Auszälung noch nicht, denn du brauchst ja erst zwei gültige Tarifverträge. Ein Großteil der Kollegen ist in keiner Gewerkschaft. Das verurteile ich nicht, das muss jeder für sich entscheiden, aber weder EVG, noch Bahn, noch wir wissen, wieviele unorganisiert sind. Die EVG drückt aufs Tempo, weil sie sehr viele Austritte hat, die aber erst zum Quartalsende, also dem 31.12. wirksam werden.
Wir beobachten gerade eine Wanderbewegung. Von denen, die jetzt zu uns kommen, sind gefühlt 25 Prozent von der anderen Gewerkschaft und 75 Prozent bisher Unorganisierte. Auf das Auszählverfahren müssen sich jedoch die drei Parteien – Bahn, EVG und GDL – einigen. Dafür muss sich erstmal ein Notar in die Materie einlesen, und auch auf den muss man sich erstmal einigen. Er muss genau wissen, was, wo, wie. Dann bekommt er Einsicht in die Listen. Das ist also eine sehr schwierige Sache, etwa bei den Arbeitszeit- oder Pausenregelungen.
Das Problem ist also der Flickenteppich. Bei langen Strecken kann es also sein, dass du durch verschiedene Bereiche fährst und mit Kollegen arbeitest, für die ganz unterschiedliche Pausenregelungen gelten. Wir wollen ja Tarifpluralität. Wettbewerbsunternehmen fragen dich zum Teil, nach welchem Tarifvertrag du bezahlt werden möchtest.
Deutschlandweit gibt es drei verschiedene Schichtmodelle: einmal ein Ruhetagsplan – da sagst du, dass du einmal früh oder spät fahren willst, dann sind die Ruhetage fest und die Schichten nicht. Beim Rollenplan weißt du schon am 1.1., was du nächstes Jahr Weihnachten für eine Schicht hast. Und dann gibt es den Jahresschichtenrasterplan, der Zeitrahmen hat. Dann hast du Freitag um 18 Uhr Feierabend und fängst am Montag um 5 Uhr wieder an. Das Modell forcieren wir in der GDL, weil das Planungssicherheit gibt.

Es hieß nach dem Streik, die Bahn übernimmt viel von dem Abschluss auch für die EVG. Was ist denn jetzt noch der Unterschied?

Die Bahn hat einen großen Fehler gemacht bei der Pressekonferenz und gesagt, dass das Ergebnis der GDL auf alle Eisenbahner angewandt wird, um Mitgliederwechsel zu verhindern.
Die EVG hat die 1,5 Prozent mehr Lohn zum 1.1.22 und wir haben die 1,5 Prozent zum 1.12.21. Das ist auch zukünftig noch so. Die andere Sache ist der Erhalt der kleinen Betriebsrente – er wird auf alle Beschäftigten angewandt, die bis zum 31.12.21 bei der Bahn angefangen haben. Zusätzlich haben wir die zwei Corona-Prämien: 600 Euro steuerfrei im Dezember, im März sind es bei uns 400 Euro, bei der EVG 500 Euro, das haben sie im Nachgang verhandelt. Man versucht eben, sich gegenseitig hochzuschaukeln. Es wird aber auch schon auf die nächsten Tarifrunden geschaut.

Die Ampelkoalition hat kurz über die Trennung von Netz und Betrieb diskutiert. Was wünscht du dir denn für die Zukunft der Bahn?

Man bräuchte eine Bahnreform. In Deutschland müssen die Investitionen drastisch steigen. Die Schweiz investiert mehr als das Dreifache pro Kopf in das Eisenbahnsystem. Das Netz muss ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Zugkilometer, gerade im Güterverkehr. Es ist ein Problem, wenn Gleise mehrfach und damit in einem sehr engen Takt genutzt werden. Die Güterzüge sind langsam, 60–100 km/h, und dann hast du einen ICE mit 200–300 km/h, und dazwischen eine S-Bahn, die 140 km/h fahren kann. Da sind unterschiedliche Schienen notwendig.
Die Forderung unserer Gewerkschaft und des Fahrgastverbands ProBahn ist die Trennung von Netz und Betrieb, nicht die Privatisierung. Wir wollen eine gemeinnützige GmbH, die dem Bund gehört und von ihm finanziert wird – ohne Gewinnabführungsverträge. Gleichzeitig könnte man im Netz Unternehmensfelder wie Energie, Station & Service und DB Netz zusammenführen und damit auch Aufsichtsrats- und Vorstandsposten einsparen. Statt Milliardeninvestitionen wegen ein paar Minuten Zeitersparnis in Stuttgart 21 oder demnächst in Frankfurt brauchen wir viel mehr Personal, gerade mit Blick auf die nächsten Jahre.

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