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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2021

Was passiert nach dem Abzug der französischen Truppen?
von Bernard Schmid

Die Übergangsregierung versucht, die Jihadisten in eine Lösung einzubinden
Emanuel Macron hat im Juni angekündigt, die französische Militärpräsenz in der westlichen und zentralen Sahelzone (genauer gesagt in den Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad) nach und nach reduzieren zu wollen. Die Sahelzone ist seit rund zehn Jahren Kampfzone jihadistischer Gruppen.

Die Folge von Macrons Entscheidung ist ein politisches Vakuum. Im September klagte Malis Premierminister Maïga auf der UN-Vollversammlung in New York, das Land würde damit im Stich gelassen.
Nach dem Abzug der USA aus Afghanistan zeichnet sich also auch auf diesem zweiten Operationsschauplatz internationaler Truppen ein erheblicher Perspektivenwechsel ab. Dessen genaue Konturen und weitere Aussichten sind jedoch vorläufig ziemlich unscharf. Wie in Afghanistan wurden auch hier die radikalislamistischen Kräfte durch den jahrelangen Einsatz nicht geschwächt – im Gegenteil, sie gehen politisch gestärkt aus der Konfrontation hervor. Ein Grund dafür ist, dass sie sich aus der Sicht eines Teils der Bevölkerung zu vermeintlichen Widerstandskämpfern aufschwingen konnten, und nicht als die Verteidiger eines ultrareaktionären Programms für das gesellschaftliche Leben wahrgenommen werden, die sie tatsächlich sind.

Takuba statt Barkhane
Dem französischen militärischen Engagement, auch bekannt als Operation Barkhane, sollte idealerweise eine EU-Truppe unter der Bezeichnung Takuba folgen – wobei sich die meisten europäischen Staaten nicht unbedingt um ein solches militärisches Engagement reißen. Der von Macron angekündigte Rückzug französischer Truppen bedeutet nicht, dass es nicht auch weiterhin Lufteinsätze von Militärbasen außerhalb der Region geben kann.
Während eines sog. G5-Gipfels – Frankreich mit den oben genannten Sahelstaaten – verkündete Macron Anfang Juli, dass die Kommandozentrale der geplanten neuen Einsatztruppe im Niger liegen soll. Drei Militärbasen im Norden Malis, die die Franzosen nutzen, sollen bis Ende 2021, spätestens Anfang 2022 geschlossen bzw. an örtliche Kräfte übergeben werden. Die Anzahl französischer Truppen soll von mehr als 5000 auf etwa 2500–3000 Soldaten verringert werden. Laut Le Monde soll das Augenmerk künftig darauf liegen, das Vordringen jihadistischer Kräfte in Richtung Golf von Guinea zu verhindern. In den Küstenländern gibt es wichtigere französische Interessen, das küstenferne Hinterland will man hingegen sich selbst bzw. örtlichen Armeen überlassen.
In Mali wächst der Unmut über die französische Militärpräsenz. Man hatte sich zwar nie Illusionen über den Charakter der neokolonialen Interessen Frankreichs in Afrika gemacht, jedoch hatte man gehofft, dass sie dem 2012 begonnenen Treiben der Jihadisten in Nordmali ein rasches Ende setzen könnten. Die Hoffnung auf einen raschen Sieg der ehemaligen Kolonialmacht sind seither zerstoben, daher nimmt auch die Befürwortung des französischen Militäreinsatzes ab. Hinzu kommt, dass Frankreich nicht nur militärisch erfolglos war. Die Sicherung von Ressourcen und französischen Interessen stand immer im Vordergrund und so wurden auch entwicklungspolitische Maßnahmen oft ohne Absprache mit den Betroffenen und ohne vorherige Abschätzung der Folgen durchgeführt.

Wie weiter?
Als Reaktion auf die abnehmende Zustimmung gibt es zwei Strömungen in der öffentlichen Meinung in Mali: Einerseits gibt es Hoffnungen auf eine äußere Unterstützung von Russland. In der Vergangenheit verwendete man sowjetisches Kriegsmaterial, in der «sozialistischen» Phase in den 60er Jahren war Mali mit der UdSSR verbündet und auch später nach dem Rechtsputsch 1968 blieben die Verträge in Kraft. Russland verwahrt sich allerdings gegen den Vorwurf Frankreichs und der USA, Söldner der russischen «Wagner-Gruppe» in die Sahelzone entsenden zu wollen, und streitet eine potenzielle Beteiligung der Gruppe offiziell ab. Dennoch hat Russland versichert, Mali in Zukunft weiter militärisch zu unterstützen. Es liefert Ausrüstung und Munition und unterstützt malische Offiziere durch Ausbildungsprogramme.
Die andere Strömung strebt danach, die Jihadisten, wenn man sie schon nicht besiegen kann, durch Vereinbarungen einzubinden, um so auch Teile der Bevölkerung, die sich ihnen aufgrund örtlicher Gegebenheiten zuwenden, wieder zurückzugewinnen.
Die amtierende Militärregierung scheint diesen Weg einzuschlagen. Was ihre Vorgänger noch auf informeller Ebene versuchten, geschieht nun offiziell: Mitte Oktober wurde bekannt, dass die Regierung dem Hohen Islamischen Rat unter Vorsitz des Predigers Mamadou Docke, der salafistischen Ideen nahesteht, den Auftrag gab, mit den im Norden Malis agierenden Islamisten, zu verhandeln, die al-Qaeda nahestehen. Konkret wird mit der Gruppe zur Verteidigung des Islam und der Muslime (GSIM) verhandelt, die aus mehreren jihadistischen Vereinigungen hervorgegangen ist. Gesprochen wird vor allem mit den Anführern der GSIM, ­Iyad Ag Ghali und Amadou Koufa, sowie Vertretern der Kampfgruppe Katiba Macina (Massina-Befreiungsfront), die der GSIM angegliedert ist.

Die Forderungen der Islamisten
Iyad Ag Ghali formulierte postwendend seine Forderungen: Eine davon ist der Abzug französischer Truppen, ein Wunsch, der im Land zunehmend populärer wird. Eine andere Forderung ist die Einführung der Sharia. Dies kann die Regierung jedoch nur schwerlich zum Verhandlungsgegenstand erheben, obwohl der Verhüllungszwang für Frauen in Zentralmali aufgrund lokaler Abkommen mit GISM-Ablegern akzeptiert wurde – als Zugeständnis an die Ideologie der Islamisten. Auf nationaler Ebene wird man diese Ideologie unmöglich vorschreiben können – sie wäre inakzeptabel für die Bevölkerung.
Die Menschen wollen ein Ende des Blutvergießens, ein militärischer Sieg über die Islamisten steht jedoch in weiter Ferne. Die Regierung hat im Kampf mit ihnen keine Geländegewinne vorzuweisen. Bislang versuchen Regierung und Bevölkerung noch die Quadratur des Kreises. Für Frankreich gibt es für den Leitartikler von Le Monde nur die Wahl zwischen einer schlechten und nicht ganz so schlechten Lösung. Das gleiche scheint für die Regierung zu gelten. So richtete die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch Ende Oktober Vorwürfe an die Regierung von Mali, es habe außergerichtliche Hinrichtungen und Fälle von «Verschwinden lassen» gegeben.

Eine neue Regierung
Die Situation in Mali zeigt, dass die Agenda der internationalen Gemeinschaft nicht unbedingt mit dem Willen des Volkes in Mali übereinstimmt. Ein Beispiel hierfür ist der Druck, den die EU zusammen mit der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und den USA auf die Übergangsregierung ausübt, die nach dem Doppelputsch (2020/2021) ins Amt gelangt ist. Die EU drängt: Spätestens Anfang 2022 sollen Wahlen abgehalten werden. Die von der internationalen Gemeinschaft angesetzte Übergangszeit entspricht aber nicht den Wünschen der Bevölkerung. Eine deutliche Mehrheit ist der Meinung, dass die Übergangszeit verlängert werden sollte. Die Bildung der Regierung stellt einen potenziellen Neuanfang dar, diese Möglichkeit könnte durch die hastige Erzwingung eines Ergebnisses zunichte gemacht werden.

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