Die agrarpolitischen Weichenstellungen im Koalitionsvertrag sind bestenfalls Flickwerk
von Eva L. Blum
Vor gut 20 Jahren stürzte die Rinderkrankheit BSE die damals amtierende rot-grüne Regierung in eine schwere Krise. Die neu eingesetzte Landwirtschaftsministerin Renate Künast von den Grünen, brachte in ihrer ersten Regierungserklärung am 8.Februar 2001 den bis dahin kaum bekannten Begriff «Agrarwende» in die politische Debatte.
Der BSE-Skandal markiere das Ende der Landwirtschaftspolitik alten Typs, erklärte sie. Der neue Maßstab müsse Klasse statt Masse sein. Auch sollten in Zukunft keine Überschüsse mehr produziert werden. Statt Tierquälerei und Raubbau werde die Politik den Schutz von Boden und Wasser finanzieren.
Den schönen Worten von damals sind keine Taten gefolgt; die «Agrarwende» von 2001 ist grundlegend gescheitert. Die aus Steuergeldern finanzierten Umweltschäden des produktivistischen Agrarmodells nehmen immer weiter zu.* Nicht überraschend konstatiert die Europäische Umweltagentur (EEA) in ihrem 2020 veröffentlichten Bericht über die «Umwelt in Europa: Zustand und Ausblick»: «Die von den Mitgliedstaaten am häufigsten gemeldeten Belastungen und Bedrohungen für alle terrestrischen Arten, Lebensräume und Ökosysteme stehen in Zusammenhang mit der Landwirtschaft.»
Neustart Agrarpolitik?
Nun beteuert die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP, die Landwirtschaft dabei unterstützen zu wollen, «einen nachhaltigen, umwelt- und naturverträglichen Pfad einzuschlagen». Was ist von dieser vollmundigen Absichtserklärung zu halten, die im übrigen einmal mehr die drängenden sozialen Fragen des Agrarbereichs unerwähnt lässt?
Ein sozial-ökologischer Umbau müsste zwei Mindestanforderungen erfüllen: Erstens müsste er endlich konkret an jenen Bereichen der Produktion ansetzen, denen im Hinblick auf ihre Umweltwirkung eine Schlüsselfunktion zukommt, also etwa der Tierhaltung. Zweitens wären Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft mit Maßnahmen in anderen zentralen Sektoren der Produktion, z.B. der Energieversorgung zu verknüpfen. Geschieht dies nicht, wie sich am wachsenden Widerstand gegen Megaparks für Solarzellen auf Ackerböden in Brandenburg zeigt, dann erreicht auch das neue «Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit» mit seinem «Umbau» vor allem, dass eine Agrarwende, die diesen Namen wirklich verdient, immer schwieriger wird, weil bereits zu viele falsche Fakten geschaffen wurden.
Tierhaltung und Erderhitzung
Die Landwirtschaft trägt maßgeblich zur Emission klimaschädlicher Gase bei. Verantwortlich hierfür sind vor allem Methanemissionen aus der Tierhaltung sowie Lachgasemissionen aus landwirtschaftlich genutzten Böden infolge der Stickstoffdüngung. Ein Großteil der Düngung und der damit verbundenen Emissionen dient der Erzeugung von Futtermitteln. Bezieht man die Futtermittelproduktion mit ein, lassen sich rund drei Viertel der Emissionen im Sektor Landwirtschaft auf die Tierhaltung zurückführen.
Um die selbst gesetzten Klimaziele zu erreichen, wäre also vor allem eine Maßnahme endlich konsequent durchzusetzen: Die Tierbestände müssten (auch) in Deutschland drastisch reduziert werden. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass die Tierbestände «entsprechend den Erfordernissen von Umwelt und Klimaschutz angepasst» werden sollen und eine «flächengebundene Tierhaltung angestrebt» wird – doch was das konkret bedeutet, bleibt unklar. Ebenso vage bleibt, wer die Kosten einer möglichst umweltschonenden Produktion mit hohen Tierhaltungsstandards (z.B. Weide- statt Stallhaltung) zu tragen hat: «Die Landwirte sollten auf dem Weg zur Klimaneutralität im Rahmen des Umbaus der Nutztierhaltung unterstützt werden», heißt es reichlich unpräzise.
Etwas konkreter wird der folgende Absatz: Es soll ein «durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System» entwickelt werden, mit dessen Einnahmen «zweckgebunden die laufenden Kosten landwirtschaftlicher Betriebe ausgeglichen und Investitionen gefördert werden». Zu den «Marktteilnehmern» gehören neben der eigentlichen Primärproduktion (Nutztierhaltung mit Zucht, Aufzucht und Mast), die weiteren Glieder der Wertschöpfungskette Fleisch: der Viehhandel, die Schlacht- und Verarbeitungsunternehmen, der Handel (Großhandel, LEH, Gastronomie) sowie die Verbraucher:innen. Die Markt- und Verhandlungsmacht dieser «Teilnehmer» ist allerdings äußerst ungleich verteilt; Landwirt:innen (und Verbraucher:innen) haben im Vergleich zu den Giganten im Business nur sehr wenig davon.
Wer muss die Kosten tragen?
Wenn die Produzenten aus Wettbewerbsgründen möglichst zu schonen sind und die mächtigen Unternehmen der Schlachtbranche und des Handels ihre Margen verteidigen, bleiben die Verbraucher:innen, die zur Kasse gebeten werden können. So hat z.B. die noch von der Vorgängerregierung eingesetzte Borchert-Kommission eine «Verbrauchssteuer» zur Finanzierung von «Tierwohlprämien» vorgeschlagen. Sollten sich diese Ideen durchsetzen, würden vor allem Menschen mit geringen Einkommen zur Kasse gebeten.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden insgesamt kaum nennenswerte Wirkung erzielen. Das liegt vor allem daran, dass auch die neue Regierung eines der Grundprobleme des Agrarbereichs nicht angehen will: dessen Profit- und Exportorientierung. Dies gilt genauso für die gerade verabschiedete Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP). Damit aber werden nicht nur die Tierzahlen (zu) hoch bleiben; auch die (Quasi-)Marktmonopole von Unternehmen wie Tönnies gegenüber Schweinehaltern, dem Deutschen Milchkontor gegenüber Milchbäuerinnen und Wesjohann gegenüber Hühnerhaltern wird andauern – und ebenso die mit diesem System verbundene Ausbeutung der Arbeiter in den Schlachtbetrieben, die Umweltprobleme und das «Wachsen oder Weichen» tierhaltender Betriebe.
Solarpaneele auf Ackerland
Das hohe Tempo, das in der Energiewende vorgelegt werden soll, wird zunehmend zu neuen Nutzungskonflikten um die wertvolle Ressource Boden: Statt nachhaltiger Solarförderung und dezentraler Modelle entstehen vor allem im Osten immer mehr Megaparks für Solarzellen auf Ackerflächen.
Die Gewinnmargen der Solarenergie sind inzwischen beträchtlich, das weckt Begehrlichkeiten. Kommunen in Brandenburg berichten von einem regelrechten Run auf die Äcker. Laut dem Recherchezentrum Correctiv gibt es seit 2019 in Brandenburg mindestens 366 Anfragen für Projekte mit einer Gesamtfläche von mehr als 9600 Hektar. Während sich die Parteien in Brandenburg streiten, geht die Politik auf Bundesebene den Auseinandersetzungen aus dem Weg. Sie schreibt lediglich, sie wolle in Zukunft auch innovative Solarenergieprojekte wie Agri-PV stärken, die eine Doppelnutzung von landwirtschaftlicher Produktion und Energiegewinnung versprechen.
Derweil werden in Brandenburg bereits Fakten geschaffen. Der BUND vor Ort weisst zurecht darauf hin, dass eine nachhaltige Landwirtschaft mit extensiven Bewirtschaftungsformen mehr Fläche benötigt. Die zunehmende Flächenkonkurrenz durch die erneuerbaren Energien – auch der Anbau von Energiepflanzen wäre hier zu nennen – wird aber den Druck auf die verbliebenen Flächen erhöhen. Denn wenn weiteres Flächenwachstum zunehmend schwierig wird, bleibt nur eine Steigerung der Inputs (Dünger, Maschinen usw.), um die Produktivität pro Hektar zu steigern.
Der sozial-ökologische «Umbau» der neuen Bundesregierung wird eine grundlegende Agrarwende nicht nur weiter verzögern, sondern auch deutlich erschweren, weil er sich aus sektorbezogenen Einzelmaßnahmen zusammensetzt – ein bisschen Umbau der Tierhaltung hier, mehr Solaranlagen dort. Die wertvolle Ressource Boden aber ist endlich.
Die Autorin ist Geografin und Agrarwissenschaftlerin und aktiv in der BfS Zürich.
*Zahlen und Daten zu den Agrarsubventionen enthält der neue Agrarreport von foodwatch vom November 2021.
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