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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2021

Neoliberaler Aufbruch
von Daniel Kreutz

Vielfach wurde die Ampel dafür gelobt, was sie nicht beabsichtigt: keine weitere Anhebung des Rentenalters, keine Kürzungen der Rentenzahlbeträge, keine weitere Absenkung des Rentenniveaus. Doch genau daraus leitet die Ampel ihr Vorhaben her, die Abkehr von der umlagefinanzierten zugunsten der kapitalmarktbasierten Rente zu vertiefen.

Sie will «in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen» und dazu «in einem ersten Schritt» 10 Milliarden Euro an Steuermitteln für einen Fonds bereitstellen, der das Geld «global» anlegt. Ein Erfolg der FDP.
Manche Kommentator:innen zeigten sich erleichtert, dass dazu keine Beitragsmittel verwendet werden sollen und der Fonds – zunächst – klein bleibt (10 Milliarden entsprechen gerade mal 0,7 Prozentpunkten des Beitragssatzes). Angenommen, daraus ließe sich mit boomenden Aktien eine Nettorendite von 10 Prozent jährlich erwirtschaften, könnte eine Milliarde für Leistungen ausgezahlt werden – angesichts der jährlichen Ausgaben der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) von 332,7 Mrd. eine verschwindende Größe. Im Schnitt entfielen dann auf die etwa 17,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner je 4,87 Euro im Monat.
Allerdings will die Ampel auch, dass die GRV ihre Rücklage (früher: Schwankungsreserve) von zuletzt gut 37 Mrd. «reguliert» am Kapitalmarkt anlegt. Beide Vorhaben werden die GRV erstmals gleichsam systemisch an die internationalen Kapitalmärkte binden und sie auf die Jagd nach günstigen Renditen schicken – natürlich «reguliert», bei vermeintlich verantwortbaren Risiken.
Die Systemkonkurrenz zwischen Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung wird in den Träger der umlagefinanzierten Rente selbst implantiert. Neben das Interesse an einem hohen Beschäftigungsstand und guten Löhnen tritt das Interesse an guten Renditen. Solche werden nicht selten auf Kosten von Löhnen und Beschäftigung erzielt, von Klima und Umwelt mal zu schweigen. Aber das soll halt nicht jucken, solange die Renditen in Deutschland und die Schäden in anderen Teilen des Globus anfallen.
Zu alledem passt, dass die betriebliche und die private Altersvorsorge für Anlagen mit «höheren Renditen» – sprich: höheren Risiken – geöffnet werden soll. Und man will Druck machen für die Umsetzung des bislang eher ungeliebten Herzstück von Andrea Nahles’ «Betriebsrentenstärkungsgesetz», des «Sozialpartnermodells». Dies besteht darin, dass Tarifverträge über die Errichtung eines von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam verantworteten Betriebsrententrägers geschlossen werden. Dabei sind die Arbeitgeber weder verpflichtet, selbst substanziell zu den Beiträgen beizutragen, noch bestimmte Rentenhöhen zu garantieren – darüber entscheidet der Kapitalmarkt.
Wenn es wieder mal schiefgeht, sind die Gewerkschaften in der Mitverantwortung. Ihnen wird so das Interesse an florierenden Kapitalmärkten eingepflanzt. Ein neoliberaler Aufbruch in der Rentenpolitik ist angesagt.

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