Kommentar von Angela Klein, «Impfpflicht: Jagd nach den Bösewichten», SoZ 12/21, S.4
von Ingo Schmidt
In der Dezember-Ausgabe der SoZ hat sich Angela Klein kritisch mit dem Thema Impfpflicht auseinandergesetzt. «Uninformierte» und «Unentschlossene» würden mit «unerreichbar Verbohrten in denselben Topf gesteckt» und dadurch «in die Ecke getrieben,» ihre «Abwehrhaltung wird verstärkt … aus Missmut wird Trotz».
In einem «Polizeistaat» könne eine Impfpflicht durch «Denunziation» und «Zwang» durchgesetzt werden. «Will die Bekämpfung der Pandemie» in einer Demokratie erfolgreich sein, muss sie «die Menschen mitnehmen … das heißt: auf die sozialen Umstände eingehen, unter denen sie leben».
So weit, so gut. Aber einseitig auf die Problemgruppe der «Uninformierten» und «Unentschlossenen» ausgerichtet. Daneben gibt es die große Mehrheit der Geimpften, unter denen sich der Missmut über die Ungeimpften ausbreitet. Sei es, weil sie glauben, die Pandemie sei längst vorbei, wenn sich alle so schnell wie möglich hätten impfen lassen. Oder den Egoismus des «Sollen sich doch andere impfen lassen» vieler Impfgegner satthaben. Oder, etwas spezieller, weil sie im Gesundheitssektor arbeiten und nichts mehr mit Patienten zu tun haben wollen, die gleichzeitig Corona leugnen und Vorzugsbehandlung erwarten und obendrein das medizinische Personal als Handlanger eines autoritären Systems beschimpfen. Oder Patienten, deren Behandlung wieder mal verschoben wurde, weil alle verfügbaren Kräfte sich um Corona-Patienten kümmern. Oder Beschäftigte im Dienstleistungssektor, die sich nicht mehr anpöbeln lassen wollen, weil sie Kunden bitten, eine Maske aufzusetzen. Der Trotz der ungeimpften Minderheit ist nicht die einzige Herausforderung an einen demokratischen Umgang mit der Pandemie. Die wachsende Ungeduld der geimpften Mehrheit ist eine zweite. Eine dritte sind die «unerreichbar Verbohrten».
Nicht alle Ungeimpften mit denen in einen Topf zu stecken, ist ja richtig. Aber man sollte auch einen Blick in diesen Topf werfen, um zu verstehen, weshalb Verbohrtheit so ansteckend ist wie das Corona-Virus. Da wird es dann richtig kompliziert.
Erstens in Sachen Demokratie und Polizeistaat. Der harte Kern der Coronaleugner und Impfgegner präsentiert sich als Freiheitskämpfer gegen die Diktatur von Virologen und Kanzleramt. Und spricht damit alle an, die sich in ihren Freiheiten eingeschränkt fühlen, vor allem wohl jene, die sich zu Unrecht eingeschränkt fühlen. Wer Masken, Impfausweise oder Impfpflicht als unzumutbar ansieht, hat wahrscheinlich keine Vorstellung von den Einschränkungen, die Menschen weiter unten auf der sozialen Leiter zugemutet werden. Oder ist von der Ungewissheit überfordert, die seit langem von der sozialen Lage, wirtschaftlichen und ökologischen Krisen hervorgebracht und durch die Pandemie weiter verstärkt wird.
Das ist der zweite Punkt, an dem es kompliziert wird. Es gibt keine strikte Unterscheidung zwischen Uninformierten und Durchblickern, sondern bestenfalls unterschiedliche Grade des Wissens oder Nichtwissens. Was man wissen kann: Masken, Abstandhalten und Impfungen verringern die Ansteckungsgefahr. Wenn es trotz Impfung zu einer Infektion kommt, ist der Krankheitsverlauf wahrscheinlich milder als bei Ungeimpften. Über künftige Mutanten des Corona-Virus und deren Eigenschaften weiß niemand etwas. Genau das macht das Mitnehmen der Unentschlossenen so schwierig. Der leiseste Verdacht, dass die Mitnehmer sich für besonders schlau halten, obwohl auch die Bestinformierten vieles nicht wissen können, führt bei den Unentschlossenen schnell dazu, dass sie auch das bisschen, das man wissen kann, nicht mehr wissen wollen. Oft genug führt der Weg in die selbstgewählte Verbohrtheit über das mehr oder minder begründete Gefühl, von oben herab behandelt worden zu sein.
Angela hat recht: Eine Impfpflicht lässt sich kaum durchsetzen. Selbst «echte» Polizeistaaten dürften dabei an die Grenzen ihrer Durchsetzungsmacht stoßen. Auch wenn man hinzufügen sollte, dass harte Recht-&-Ordnung-Politiker eher im Lager der Impfgegner als der Impfverpflichter zu finden sind. Aber auch jede andere Maßnahme zur Einschränkung der Pandemie führt zu Abwehrreaktionen, ob es sich um wohlmeinende Mitnehmbemühungen handelt, Maskenpflicht und Abstandsregeln oder einen Lockdown. Wie diese Abwehr zu überwinden ist? Wir wissen es nicht.
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