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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2022

Abmahnung wegen Antisemitismusvorwurf muss aus der Akte entfernt werden
von Violetta Bock

Amazon ist bekannt dafür, neben Waren allerlei Tricks auf Lager zu haben, um gegen Betriebsräte und Gewerkschaften vorzugehen. Diesmal hat das Unternehmen versucht, den Ruf eines Beschäftigten mit dem Vorwurf des Antisemitismus zu beschädigen.

Anis Zitoun arbeitet seit 19 Jahren als Packer bei Amazon. Er ist langjähriges Betriebsratsmitglied, Schwerbehindertenvertreter und bekannter Verdianer am Standort in Bad Hersfeld. Im Sommer letzten Jahres erhielt er eine Abmahnung mit dem Vorwurf, sich antisemitisch geäußert zu haben.
Nicht bei jeder Abmahnung lohnt sich der Weg vor Gericht, manchmal reicht eine Gegendarstellung. Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt jedoch schwer. Anis Zitoun hat sich daher entschieden zu klagen, damit die Abmahnung aus der Personalakte entfernt wird.
Hintergrund für den Vorwurf war ein Gespräch unter Kolleg:innen im Pausenraum im Juli 2021. Zitoun hatte von seinem Impftermin und vom Gespräch mit dem Arzt erzählt. Sie hatten sich über ihre Herkunft unterhalten und dass sie beide aus dem arabischem Raum seien, Anis aus Tunesien, sein Arzt Jude und aus Palästina. Die Impfung habe prima geklappt, auch wenn die Arztpraxis einen etwas unordentlichen Eindruck gemacht habe. Ein Gespräch im Pausenraum eben.
Eine Managerin, die in der Nähe telefonierte, verstand es jedoch so, als seien Herkunft und Unordentlichkeit von ihm in Zusammenhang genannt worden und informierte die Personalabteilung. Die erteilte Anis Zitoun daraufhin eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen den Ehrenkodex und Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen. Darin übernahm die Geschäftsleitung die Darstellung der Kollegin. Sie hielt sie auch aufrecht, als Anis Zitoun den Sachverhalt aus seiner Sicht darstellte und mit mehreren Zeugenaussagen von Kolleg:innen, die am Tisch saßen, untermauern konnte.
Da Amazon sich weigerte, die Abmahnung zu entfernen oder auch nur die gegensätzlichen Zeugenaussagen anzuerkennen und ernsthaft zu prüfen, zog Anis Zitoun vor Gericht.
In einem Gütetermin im November schlug der Richter einen Vergleich vor, der die ausdrückliche Distanzierung von Antisemitismus auf beiden Seiten und das Entfernen der Abmahnung aus der Personalakte vorsah. Amazon bestand jedoch darauf, dass die Abmahnung aktenkundig bleibt. So traf man sich am 14.Januar 2022 in Fulda erneut vor Gericht.
Trotz der Versuche des Richters, einen Kompromiss zu finden und Amazon deutlich zu machen, dass eine arbeitsvertragliche Verletzung nicht vorhanden sei, blieb der Konzern stur. Das Versandunternehmen wollte selbst nach zahlreichen Zeugenaussagen die Abmahnung aufrechterhalten statt den Sachverhalt aufzuklären.
Das zeigt, dass es dem Unternehmen wahrscheinlich nicht um den Kampf gegen Antisemitismus im Betrieb ging, sondern vielmehr darum, ein engagiertes Betriebsratsmitglied kurz vor der in diesem Jahr anstehenden Betriebsratswahl in ein schlechtes Licht zu rücken. Dem berechtigen Kampf gegen Antisemitismus im Betrieb ist mit solch einem Vorgehen kein Gefallen getan.
Zum Glück schloss sich das Arbeitsgericht dem US-Unternehmen nicht an. Bei Redaktionsschluss lag das rechtskräftige Urteil noch nicht schriftlich vor. Nach unseren Informationen erhielt Anis Zitoun jedoch Recht und die Abmahnung muss entfernt werden.

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