‹Bürgerbegehren oder direkte Verhandlungen?›
dokumentiert
Was ist der bessere Weg, eine Stadt mit Ökostrom zu versorgen? – eine Kölner Kontroverse
Die «Klimawende Köln» startete im September 2020 die Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren mit dem klaren Ziel: Die RheinEnergie AG verkauft 2030 ausschließlich Ökostrom. Zu hundert Prozent.
Nicht nur in Köln versuchen Bürger:innen, die Stadtwerke – oft fossile Dreckschleudern – auf eine ökologische Produktion von Strom und Wärme zu verpflichten. Ähnliche Initiativen, die ebenfalls mit dem Instrument des Bürgerbegehrens arbeiten, gab und gibt es in Kassel, Darmstadt, Bochum, Flensburg, Frankfurt a.M., Hannover, Heidelberg, Hildesheim, Konstanz, Mannheim und Rostock.
Im neuen Handbuch Klimawende von unten, das unter anderem vom Münchner Umweltinstitut herausgegeben wird, gilt Köln als löbliches Beispiel. «Es war ein total spannender Gruppenprozess, als wir gemeinsam recherchiert haben, wo in Köln wieviel emittiert wird», schreibt dort Anna Prieß, die an den Abbruchkanten der Braunkohletagebaue im im Rheinischen Revier protestiert hat, bevor sie sich bei der «Klimawende Köln» engagierte. «Wir haben uns den Geschäftsbericht der Rheinenergie angeschaut, viel im Ratsinformationssystem der Stadt Köln gelesen, nach Papieren und Zahlen geforscht.» Sie hätten Mut geschöpft, als sie gemerkt hätten, «da können wir konkret etwas machen!» Allein mit seinen vier Heizkraftwerken verursacht der mehrheitlich städtische Konzern ein Viertel der CO2-Emissionen der Millionenstadt.
Die notwendigen 30000 Unterschriften hatte die Initiative schon zusammen, entschied dann aber, das Bürgerbegehren nicht durchzuführen. Stattdessen ließ sich «Klimawende Köln» auf ein Mediationsverfahren mit der Rheinenergie und der Stadt Köln ein – die SoZ kommentierte dies in ihrer Ausgabe vom November 2021.
Lässt sich so eine Dekarbonisierung erreichen oder ist die durch die Mediation erzielte Vereinbarung nur ein Feigenblatt, mit dem sich die Stadt Köln und die Rheinenergie AG künftig auf die Klimabewegung berufen können?
Wir haben Kritiker:innen und Befürworter:innen befragt: War es richtig, eine Vereinbarung mit Rheinenergie über die Umstellung auf erneuerbare Energien zu erzielen und dafür das Bürgerbegehren abzublasen? Kann Köln Vorbild für andere Städte und Kommunen sein?
von gk
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Bürgerbegehren sind kein Selbstzweck
«Wir haben jetzt die Chance auf ein stadtweites Bündnis zur schnellen CO2-Reduzierung»
«Klimawende Köln» hat sich 2019 gegründet, um die Energiewende in Köln voranzubringen. Unsere Forderung «Köln klimaneutral bis 2030» haben wir zunächst an die RheinEnergie AG gerichtet, weil sie die größte Einzelemittentin von CO2 in Köln und zu 75,1 Prozent in kommunaler Hand ist.
Aus juristischen Gründen darf ein Bürgerbegehren nur eine einzige Forderung zum Inhalt haben. Deshalb haben wir uns auf «100 Prozent Ökostrom bis 2030» beschränken müssen – obwohl die Energiewende ebenfalls erneuerbare Wärme braucht.
Im Januar 2021 vermittelten die Grünen, nun stärkste Ratsfraktion, ein Mediationsverfahren zwischen RheinEnergie, Stadtverwaltung und uns. Wir haben dieses Angebot innerhalb der «Klimawende» besprochen und uns dafür entschieden. Sechs Vertreter:innen der «Klimawende» nahmen an den Gesprächen teil. Nach sehr hartem Ringen und intensiven Beratungen wurde ein gemeinsames Maßnahmenpapier formuliert. Kurz gefasst: die RheinEnergie sagt Klimaneutralität erst für 2035 zu, aber dann auch für die Wärme, nicht nur für den Strom.
Die Zustimmung zu dem Kompromiss haben wir uns nicht leicht gemacht. Da «Klimawende» konsensbasiert arbeitet, wollten wir zu einer einvernehmlichen Haltung kommen. Dies ist letztlich auch gelungen. Trotzdem gab und gibt es immer noch Stimmen, die sich zu wenig gehört fühlen und dies auch auf die Gestaltung des Entscheidungsprozesses zurückführen. Aktuell sind wir dabei, diesen Prozess für zukünftige Entscheidungen aufzuarbeiten.
Für die Gruppe war letztlich ausschlaggebend, dass durch konkrete Maßnahmen, zu denen sich RheinEnergie und Stadt Köln mittlerweile verpflichtet haben, schnell CO2-Emissionen reduziert werden. Denn selbst bei einem positiven Bürgerentscheid besteht die Gefahr, dass die nötigen Schritte verzögert oder gar nicht umgesetzt werden, wenn die notwendige Bereitschaft bei den Beteiligten nicht gegeben ist.
Tatsächlich ist es nicht unüblich, dass Bürgerbegehren in Kompromissvereinbarungen münden (z.B. in Hannover und Kassel). Wir sind der Meinung, dass die meisten Menschen unterschrieben haben, weil sie wollen, dass der Klimaschutz in Köln vorangebracht wird – unabhängig vom dafür eingesetzten Mittel. Bürgerbegehren sind kein Selbstzweck.
Am 14.12.2021 wurde das gemeinsam ausgehandelte, 25seitige Eckpunktepapier im Stadtrat mit breiter Zustimmung beschlossen. Es enthält zahlreiche, bereits mit der Verwaltung abgestimmte Einzelmaßnahmen. Ohne die vielen Unterschriften hätten wir den dafür nötigen Druck nicht aufbauen können.
Das ist natürlich nur der Anfang des Weges, den wir weiter kritisch begleiten werden. Die Unterschriften für das Bürgerbegehren behalten übrigens ihre Gültigkeit. Wir können sie einreichen, wenn wir den Eindruck haben, dass das Mediationsergebnis nicht hinreichend umgesetzt wird.
An unserer Forderung «Köln klimaneutral bis 2030!» halten wir fest und machen weiter Druck – gemeinsam mit anderen Klimagruppen und interessierten Kölner:innen. Mit unserer neuen Kampagne und dem «Rheinland-Appell» fordern wir von den Stadtwerken mit RheinEnergie-Beteiligung, bis spätestens 2030 nur noch Ökostrom zu verkaufen und bis dahin so viele Erneuerbare-Energie-Anlagen hinzuzubauen, dass sie den verkauften Strom auch selbst erzeugen können.
Das Presseteam der «Klimawende»
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Eine vertane Chance
«Die Klimawende Köln» (KWK) startete im September 2020 die Unterschriftensammlung für die Forderung, «ab 2030 wird zu 100 Prozent Ökostrom verkauft». Den Unterschreibenden wurde ein Instrument der direkten Demokratie versprochen. Jede Stimme zählt. Die Bürger:innen wurden aufgerufen, sich an dem Prozess der Dekarbonisierung der RE zu beteiligen.
Auf das Bürgerbegehren zu verzichten wäre denkbar gewesen, wenn:
1.Rheinenergie sich verpflichtet, das Ziel des Bürgerbegehrens umzusetzen; 2.die Stadt Köln als Mehrheitseignerin von Rheinenergie sich verpflichtet, das Ziel des Bürgerbegehrens umzusetzen.
Beides ist nicht geschehen. Die KWK hat in einem Mediationsverfahren mit Rheinenergie und der Stadt ein ganz anderes Ergebnis ausgehandelt:
Bis 2035 soll eine komplette Dekarbonisierung aller Bereiche (Strom und Wärme) erfolgen, so die Zusage. Verhandelt wurde allerdings lediglich eine Absichtserklärung. Statt konkreter Umsetzungspläne ist in dem Papier nur die Rede von: «…inwieweit möglich und umsetzbar», «die RheinEnergie plant…», «nach Verfügbarkeit und Marktsituation», «sofern Szenario 2 eintritt», usw.
Die einzigen wirklich konkreten Zusagen sind: Es gibt 1,5 Millionen Euro für die Solaroffensive Köln; Privat- und Geschäftskunden (15 Prozent des verkauften Stroms) erhalten ab 2022 Ökostrom (was schon vorher klar war).
Das reicht nicht! Akteure der KWK sehen das auch so und hoffen, durch öffentlichen Druck noch mehr zu erreichen.
– Die KWK erkennt in dem Papier, das mit den Parteien der Stadt abgestimmt ist und von ihnen unterstützt wird, die Profitinteressen von Rheinenergie an, die auch die Interessen der Stadt Köln sind.
– Die KWK akzeptiert reine Absichtserklärungen. Konsequenzen oder Sanktionen im Falle der Nichtumsetzung der einzelnen Punkte werden nicht benannt.
– Die KWK legt sich darauf fest, eine Wasserstoffstrategie zu unterstützen, die höchst umstritten ist, weil sie lediglich auf Annahmen beruht und dem Weg folgt, den die Gaslobby seit Jahren geht: Locken mit grünem Wasserstoff, Ausbau einer Infrastruktur für Gas als Übergangstechnologie und damit die Festlegung auf Gas für die nächsten 30 Jahre (siehe Northstream 2).
Das Ziel «100 Prozent Ökostrom bis 2030» wird jetzt von der KWK im Rahmen des «Rheinlandappells» angestrebt – einem Versuch, alle Großkunden (z.B. die Stadtwerke) zum Kauf von 100 Prozent Ökostrom zu bewegen. Das genau war das Ziel des abgesetzten Bürgerbegehrens.
Und was ist, wenn Rheinenergie das alles nicht umsetzt?
Es gibt keinen Klageweg, um das Unternehmen oder die Stadt zur Einhaltung der Vereinbarung zu zwingen.
Ein Verhandlungsergebnis, das selbst die FDP gut findet, kann im ökologischen Bereich nicht wirklich gut sein!
Der endgültige Entscheidungsprozess, den die KWK initiiert hat, hat andere Klimagruppen selbst in beratender oder meinungsbildender Form ausgeschlossen. Eine Diskussion mit anderen Klimagruppen kurz vor der Entscheidung wurde abgesagt, wohl wissend, dass viele dieser Gruppen (auch bereits so formuliert) für die Durchführung des Bürgerbegehrens stehen.
Lediglich elf Personen haben durch ihr Votum entschieden, dass die Stimmen von 30000 Menschen für das Bürgerbegehren nicht zählen. Dabei war die Stimmung innerhalb der KWK nicht so einheitlich, wie das Ergebnis nahelegt. Eine klare Mehrheit hat auf einem mehrteiligen, als Entscheidungstreffen deklarierten Plenum bei einem Stimmungsbild für die Durchführung des Bürgerbegehrens gestimmt. Nur durch weitere, immer aufwändigere Treffen hat sich die Zahl der Teilnehmer:innen so reduziert, dass nur noch wenige an der endgültigen Abstimmung teilnehmen konnten.
Wirkliche Veränderungen können nur durch außerparlamentarischen Druck der Zivilgesellschaft erkämpft werden. Das Bürgerbegehren wäre hier ein Anfang gewesen – mit der Stärkung direkter Demokratie. Zum ersten Mal hätten Kölner Bürger:innen über eine wichtige ökologische Frage selbst abstimmen können. Eine vertane Chance.
Christoph Schulenkorf (ehemaliger Mitarbeiter bei der KWK),
Peter Weissenfeld (Attac Köln)
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