Wie aus der LINKEN vielleicht noch etwas werden könnte
von Hanno Raussendorf*
In den Monaten nach der Bundestagswahl hat es in der LINKEN an Stimmen nicht gefehlt, die sich zu den Ursachen des Wahldesasters geäußert haben. Die meisten taten sich dadurch hervor, dass sie klug herausarbeiteten, wie dies alles vermeidbar gewesen wäre, hätte die Partei nur rechtzeitig auf ihren politischen Rat gehört. Am Kern des Problems gingen sie alle vorbei, denn Die LINKE hat in erster Linie ein Problem mit ihrer politischen Kultur.
Sie ist der notwendige Kompromiss zwischen linkssozialdemokratischen Kräften und solchen, die aus einer stärker marxistisch-revolutionären Tradition kommen. Keiner dieser Teile wäre ohne die anderen in der Lage, die Art von politischer Wirksamkeit zu erzeugen, wie dies Die LINKE in einem Zusammenspiel von inner- und außerparlamentarischer Opposition vermag. Dabei gab es von Anfang an mehrere nie gelöste Grundkonflikte, insbesondere um die Frage nach Regierungsbeteiligungen und, vorgelagert, nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr. In den letzten Jahren ist noch eine zweite Konfliktlinie dazu gekommen, entlang der Frage, ob die Partei sich nun stärker auf eine traditionelle Arbeiter:innenschaft oder auf all die Themen konzentrieren soll, die von einer, nach Jahrzehnten weitgehender Apathie, wieder politisierten Jugend in die Partei getragen werden.
In den 15 Jahren ihres Bestehens hat die Partei allerdings keinen Weg gefunden, nicht auflösbare Grundkonflikte zu überbrücken und ihre politische Diversität politisch produktiv zu wenden. Dabei ist die politische Distanz zwischen den verschiedenen Enden des innerparteilichen Meinungsspektrums auch nicht größer als bei anderen Parteien auch. Aber anstatt bestehende Konflikte mit einer gewissen grundsätzlichen Solidarität und behutsamen Kompromissen zu begegnen, haben wir in den letzten Jahren erlebt, wie die Parteivorsitzende der Fraktionsvorsitzenden öffentlich bescheinigt, sie sei «AfD light», und die Fraktionsvorsitzende eine Bewegung in kaum bemäntelter Konkurrenz zur eigenen Partei ins Leben ruft.
Unterdessen ist der Umgang in der Partei an vielen Orten bis zur politischen Lähmung weiter verwildert. Beratungen aus nicht öffentlichen Gremiensitzungen wurden in meinem Landesverband systematisch an bürgerliche Medien durchgestochen; in den sozialen Netzwerken diffamieren, beschimpfen und beleidigen sich Genossinnen und Genossen gänzlich ungebremst. Damit gefährdet die Partei ihre eigene Existenz – und das ist eine Schande.
Nach der Wiedervereinigung hat es noch anderthalb Jahrzehnte gedauert, bis mit der LINKEN wieder eine in Ost- wie Westdeutschland wirksame linke Kraft entstehen konnte. Sollte sie sich selbst zerstören, würde lange nichts vergleichbares an ihre Stelle treten. Zu verhindern wird das nur sein, wenn die Partei endlich eine politische Kultur entwickelt, die ihren besonderen Gegebenheiten Rechnung trägt. Solange alle Seiten öffentlich deutlich machen, mit den jeweils anderen sei diese Partei nicht zu gebrauchen, muss sich niemand wundern, wenn Wähler:innen ihnen glauben.
*Der Autor ist Mitglied im Landesvorstand NRW.
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