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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2022

Der ökologische Umbau ist machbar, sagt eine Studie britischer Gewerkschafter:innen
von Paul Michel

Die Autor:innen der Studie sind Teil einer Gruppe namens Campaign against Climate Change. Das ist ein Zusammenschluss von Gewerkschafter:innen für Klimaschutz, der von acht britischen Gewerkschaften unterstützt wird.

Sie wollen nachweisen, dass ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft nicht auf Kosten der Arbeitsplätze gehen muss.
www.cacctu.org.uk/climatejobs

Demnächst gibt es eine ausführlichere Präsentation der Studie auf der Webseite des Netzwerks Ökosozialismus, https://netzwerk-oekosozialismus.de/.

«Wir können eine Million sichere Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien schaffen, die Energieeffizienz steigern, indem wir Häuser und öffentliche Gebäude kostenlos isolieren, bezahlbaren öffentlichen Verkehr enorm ausbauen, um Menschen und Fracht auf sauberere Verkehrsmittel zu bringen, und die ‹grünen Skills›, die wir brauchen, durch Aus- und Weiterbildung entwickeln.» So schrieben die Autoren der Gewerkschaftergruppe Campaign against Climate Change 2014 anlässlich der Veröffentlichung ihres Berichts mit dem Titel «One Million Climate Jobs». Im Oktober 2021 legten die Autoren eine Überarbeitung vor: «Climate Jobs: Building a Workforce for the Climate Emergency».
Es könnten sogar mehr als eine Million zusätzlicher, gut bezahlter und qualifizierter Jobs geschaffen werden, wenn wir es mit dem Kampf gegen den Klimawandel ernst meinen. Dazu, so schreiben die Verfasser:innen, «müssen wir uns jedoch von der gescheiterten Abhängigkeit vom Markt lösen und stattdessen in eine enorme Ausweitung der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor in allen Bereichen investieren – vom Verkehr, Energie und Ernährung bis hin zu Haushalten, Bildung und mehr –, die für die Bekämpfung des Klimas von entscheidender Bedeutung sind.»
Es geht um den Umbau des Stromleitungsnetzes, des Verkehrssystems, die Nachrüstung unserer Häuser, der öffentlichen Gebäude und der Industriegebäude, oder um besonders verschmutzende Industriesektoren wie die Stahl- oder die Zementindustrie.

Der Umbau nach Sektoren
Energiesektor: Beim Ausbau von erneuerbaren Energien wie Windkraft, Solarenergie, dem Bau von Wellen- oder Gezeitenkraftwerken ist das Potenzial für neue Arbeitsplätze groß. Dazu kommt der notwendige Umbau bzw. Ausbau des Stromnetzes. Für die Menschen, die bisher in der Erzeugung fossiler Energie tätig sind, gibt es die Möglichkeit umzuschulen. Darüberhinaus würden hunderttausende zusätzliche neue Arbeitsplätze geschaffen
Baubranche: Für die notwendige ökologische Umrüstung von Wohnhäusern, Büro- und Verwaltungs- sowie gewerblich genutzten Gebäuden sehen die Autoren einen riesigen Arbeitskräftebedarf. Vier Millionen Arbeiter:innen würden dafür gebraucht. Dazu kämen 20000 Energiegutachter:innen, 20000 Retrofit-Designer und Projektmanager und 20000 Support-Mitarbeiter, die bei Planung und Verwaltung helfen.
Verkehrssektor: Das durch die Thatchersche Privatisierung von British Rail zugrunde gerichtete Zugnetz verlangt sehr hohe Investitionen in die Netzstruktur und das Personal. Die Zahl der dabei neu entstehenden Arbeitsplätze wird mit 400000 deutlich höher sein als der Minderbedarf, der durch die Schrumpfung der Autoindustrie (165000 Arbeitsplätze) und die drastische Reduzierung des Flugverkehrs (110000 Arbeitsplätze) entstehen.
Umbau CO2-lastiger Industriestrukturen: Viele industrielle Prozesse sind sehr energieintensiv. Insbesondere die Zementindustrie und Stahlindustrie gehören zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen. Angesichts der Tatsache, dass es momentan noch kein weniger umweltschädliches Verfahren zur Herstellung von Zement gibt, sprechen sich die Autoren dafür aus, deutlich weniger zu bauen. Beim Thema Stahl schlagen sie vor, den Anteil von recyceltem Schrottstahl zu erhöhen und möglichst schnell die Decarbonisierung voranzutreiben, indem statt Koks Wasserstoff bei der Stahlerzeugung eingesetzt wird.
Ernährung und Landwirtschaft: Hier werden viele Probleme angerissen. Vieles bleibt dabei allerdings Stückwerk. Es gelingt hier nicht, eine in sich stimmige Alternative herauszuarbeiten.

Fazit
Bemerkenswert an dem Report ist, dass er auch das Thema Wegwerfprodukte anspricht – die im modernen Kapitalismus dominierende Form der Produktion. Die Autoren schlagen als Alternative eine Kreislaufwirtschaft vor. Praktisch heißt das: Produktion langlebiger Produkte, die Reparaturen möglich machen. Sie sehen hier ein enormes Potenzial für anspruchsvolle Tätigkeiten an komplexen Waren von der Elektronik über digitale Güter und Maschinen bis hin zu Stoffen und Möbelrenovierung. Das wird allerdings nicht mit Zahlen unterlegt.
Auch für deutsche Gewerkschafter:innen ist die Lektüre der britischen Studie ein lohnendes Unterfangen. Es wird auch deutlich, dass der Schritt in Richtung Nachhaltigkeit nur zu machen ist, wenn diese Sektoren dem Zugriff des Kapitals entzogen und in öffentliche Hand überführt werden. Bezeichnenderweise gibt es in der BRD zu alldem kaum eine Debatte. Allen Linken, denen der ökologische Umbau ein Anliegen ist, bietet die britische Studie zahlreiche wertvolle Anregungen.

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