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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2022

Lasst sie im Boden!
von Mohssen Massarrat

Beträchtliche Anstrengungen der Klimapolitik laufen ins Leere, weil die globalen Anbieter fossiler Energiequellen die Welt mit billigem Erdöl, Erdgas und Kohle beliefern. Solange das so weitergeht, bleibt die Wirtschaft im Würgegriff der fossilen Energieträger.

Dafür sorgt der Wettbewerb unter den Marktakteuren. Doch diese Binsenwahrheit wird in allen bisherigen Vereinbarungen, im Protokoll von Kyoto wie im Pariser Klimaabkommen, aber auch bei allen politischen Anstrengungen und nicht zuletzt in der Fachwelt hartnäckig ignoriert und missachtet.

Es ist durchaus möglich, die CO2-Ausstoßmenge lange vor 2050, ja sogar bis 2040 auf null zu reduzieren. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass die Weltgemeinschaft mit den Produzenten von fossilen Energien, den Staaten und Konzernen, in einer völkerrechtlichen Konvention ein solches Ziel vereinbart und dafür einen globalen Aktionsplan erstellt.
Nur auf den ersten Blick mag eine solche Perspektive als unrealistisch erscheinen. Es handelt sich auch um eine Herkulesaufgabe. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch dieser Weg um ein Mehrfaches wirkungsvoller als die bisherigen Sisyphus-Programme und selektiven Maßnahmen, die viel Geld und Zeit kosten, und lediglich die Illusion des Klimaschutzes beschwören.
Der Klimawandel ist ein globales Problem. Er erfordert daher eine globale Klimaschutzstrategie, die auch diesen Namen verdient.

CO2-Abgaben belasten nur die Ärmeren
Die bisherige Klimaschutzpolitik widerspricht dem rationalen Denken. Mit vollem Bewusstsein über die toxische Wirkung fossiler Energien lassen wir zunächst zu, dass diese erst einmal ungezügelt aus dem Boden geholt werden, um sie dann mit gigantischem Aufwand wieder einzusammeln. Das ist doch ein Irrsinn, oder?
Mit Maßnahmen wie der CO2-Abgabe oder dem Emissionshandel können die Klimaschutzziele niemals erreicht werden. Eine CO2-Abgabe von 25 Euro pro Tonne, wie sie seit dem 1.Januar 2021 in Deutschland eingeführt wurde, ist ein Witz. Selbst eine Abgabe von 195 Euro pro Tonne CO2, wie sie das Bundesamt für Umweltschutz für notwendig erachtet, verteuert das Benzin lediglich um 46 Cent pro Liter.
Darüber lachen sich die Reichen ins Fäustchen, sie würden munter weiter mit ihren SUVs fahren und auch auf ihre Flugreisen nicht verzichten. So blieben einkommensstarke Konsumenten mit ihrem deutlich höheren CO2-Anteil von Klimaschutzverpflichtungen entlastet, während einkommensschwachen Menschen die Hauptlast eines Klimaschutzes aufgebürdet würde, der dazu noch halbherzig ist und letztlich auch nicht funktioniert.

Verteuern durch Verknappen
Preisaufschläge auf den Verbrauch fossiler Energien sind End-of-Pipe-Maßnahmen, daher ungenau und sehr kostspielig. Klimaschutz braucht Begin-of-Pipe-Maßnahmen.
Überdies erzeugen solch selektive Maßnahmen auf der Nachfrageseite Rebound-Effekte. Denn Produzenten fossiler Energien sind – Marktgesetzen folgend – gezwungen, auf den sinkenden Energieverbrauch mit Produktionssteigerung und Preissenkung zu reagieren. Was ein Land durch Verbrauchssenkung an fossilen Energien spart, wird durch den höheren Verbrauch in einem anderen Land als Folge sinkender Preise mehr als wettgemacht.
Umsatz, Gewinn, Wettbewerb lassen den Produzenten fossiler Energien ohnehin keine andere Wahl als die Weltmärkte mit Öl, Kohle und Gas zu überfluten. Und genau dieses – wohlgemerkt betriebswirtschaftlich durchaus rationale – Marktverhalten der Produzenten ist auch der wahre Grund für das Scheitern eines Teils der enorm aufwendigen Klimaschutzmaßnahmen und der faktischen Blockade einer global flächendeckenden Energiewende.
Solange Öl, Gas und Kohle im Überfluss und zu niedrigen Preisen auf den Weltmärkten angeboten werden, solange werden betriebswirtschaftlich rational handelnde und Energie verbrauchende Unternehmen nicht in alternative Energietechnologien investieren. Solange werden auch die gigantischen Subventions- und Anreizsysteme wie Luftblasen verpuffen. Umso weniger ist es auch verwunderlich, dass die Energiekonzerne munter die fossile Energieproduktion sogar noch ausweiten und dafür in den nächsten Jahren über 50 Milliarden Dollar zusätzlich investieren wollen.

Eine globale Win-Win-Konvention
Es kann nicht bestritten werden: Die einzige der Menschheit verbleibende Alternative, um den Klimawandel gerade noch abzuwenden, ist die Reduktion der Produktion fossiler Energien. Eine solche Strategie bedeutet nämlich, das Übel an der Wurzel zu packen.
Die Produzenten, ob im Mittleren Osten oder in Australien, ob Staaten oder Konzerne, werden jedoch kaum geneigt sein, die Ressourcen freiwillig im Boden zu lassen. Diese Erkenntnis scheint allmählich auch ins öffentliche Bewusstsein zu dringen. So zogen Umweltverbände Ende November 2020 gegen den Ölkonzern Shell/BP in Den Haag vor Gericht, um ihn zur Senkung seines CO2-Anteils, sprich zur Produktionssenkung, zu zwingen.
Sind aber solche Versuche nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Haben sich die Umweltverbände nicht an die falschen Adressaten gewandt? Denn die Erzeugung und Vermarktung fossiler Energien ist für Konzerne, sogar für viele Staaten existentiell.
Letztlich sind es aber die Regierungen, die den Rahmen für die Wirtschaft bestimmen. Sie sind es auch, die das Protokoll von Kyoto und das Pariser Klimaabkommen im Menschheitsinteresse unterschrieben haben. Daher sind auch nur die Regierungen aller Staaten legitimiert, gemeinsam in einer Konvention zu vereinbaren, dass die fossilen Ressourcen im Boden bleiben. Und die Produzentenstaaten und die Energiekonzerne können dabei am Ende des Tages nicht zu den Verlierern, sondern zu den Mitgewinnern gehören.
Eine Win-Win-Strategie für eine globale Konvention ist tatsächlich möglich. Durch eine sukzessive Senkung der Produktion fossiler Energien nach einem ausgehandelten Masterplan wären alle Staaten klimapolitische Gewinner. Und durch steigende Weltmarktpreise für fossile Energien im vereinbarten Zeitrahmen wären auch die Produzentenstaaten und Konzerne Mitgewinner des globalen Klimadeals.

Null fossile Produktion bis 2040
Es müssten lediglich etwa hundert große Produzenten, Staaten und Energiekonzerne in einer Konvention zur systematischen Senkung der Produktion verpflichtet werden. Eine solche Konvention wäre eine Ergänzung zum Pariser Klimaabkommen und zu dessen Umsetzung. Folgende Punkte müssten darin aufgenommen werden:
– die flexible Aufteilung der Produktion fossiler Energien nach Energieart (Öl, Erdgas, Kohle) und Herkunft (Staaten und Konzernen) unter den Anbietern nach Maßgabe der vom IPCC ermittelten zulässigen CO2-Gesamtmenge, damit das Ziel 1,5-Grad-Erderwärmung nicht überschritten wird;
– dazu empfiehlt es sich, zuallererst die Produktion in sämtlichen ökologisch sensiblen Gebieten (Seen/Weltmeeren, Regenwäldern, Antarktis etc.) grundsätzlich zu untersagen;
– die Schaffung eines Facility-Fonds zur Entschädigung aller benachteiligten armen Staaten und Milliarden ärmerer Bevölkerungsschichten. Dieses Finanzinstrument stellt die Grundvoraussetzung für den globalen Konsens dar. In diesen Fonds fließen sämtliche überflüssig gewordenen Subventionen sowie Mittel aus allen Industriestaaten (etwa aus Gründen der Klimagerechtigkeit) nach Maßgabe ihres bisher insgesamt in die Atmosphäre geblasenen CO2-Anteils.
Anfänglich werden die Energiepreise drastisch steigen. In dem Maße aber, wie die Rentabilität erneuerbarer Technologien zunimmt, sinken auch die Energiepreise auf ein moderates Niveau.
Die Politik lenkt im Menschheitsinteresse und mit harter Hand die Marktkräfte und die Richtung des Wettbewerbs hin zu einer radikalen Energiewende. Und die Marktkräfte folgen dem, was sie am besten können: Sie wetteifern fortan um die wirkungsvollsten, klimaschutzfreundlichsten und sozial verträglichsten Energietechnologien und Systeme.

Auszüge aus dem Offenen Brief von Mohssen Massarrat an Angela Merkel vom Januar 2021.

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