Grüner Klimaturbo führt zu Ökokolonialismus
von Moritz Binzer
Achtzig Prozent Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 will Robert Habeck mit seinem Klima-Turbo erzielen, eine Verdoppelung gegenüber heute. Doch der Maßnahmenkatalog ist kein Grund für die Klimabewegung, die Sektkorken knallen zu lassen.
Die Skepsis gegenüber den Grünen ist nach wie vor berechtigt: Der Turbo ist eine wichtige Komponente des von der Partei verfolgten Green New Deal, also von der Mär, kapitalistische Akkumulation wäre auch ohne Zerstörung des Ökosystems zu haben.
Kapitalismus ist per Definition ein expansives Modell und auch der «Green New Deal» sieht vor, dass grüne Technologien einen Wachstumsschub einleiten. Es gibt aber keine kapitalistische Markterweiterung ohne ansteigenden Ressourcen- und Energieverbrauch. Der menschengemachte Klimawandel ist eng verknüpft mit der Geschichte des Kapitalismus. Die Grünen behaupten trotzdem, Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln zu können. Dagegen spricht bspw. der «Rebound-Effekt», gut zu beobachten etwa im Automobilsektor. Er führt dazu, dass Einsparungen von Energie oder Ressourcen wieder zunichte gemacht werden. Das eingesparte Geld wird aber aufgrund des Wachstumszwangs wieder reinvestiert und damit für mehr Produktion – um beim Beispiel zu bleiben: leistungsstärkere Autos – aufgewendet.
Auch Habeck geht von einem steigenden Energieverbrauch aus. Doch die Ressourcen, die für den Bau von Windrädern und Solarzellen benötigt werden, z.B. seltene Metalle und Erden, tragen vor allem im globalen Süden zur Zerstörung der Umwelt und brutalen Formen der Ausbeutung bei. Während bei uns also vermeintlich eine Ökologisierung der Produktionsweise stattfindet, werden die negativen Auswirkungen zum Problem anderer Gesellschaften gemacht und damit aus unserem Blickfeld gerückt. Im globalen Süden ist deshalb zunehmend vom Ökokolonialismus die Rede.
In einem Taz-podcast wurde Habeck bescheinigt, er gehe das politisch Mögliche an. Tatsächlich ist sein Handlungsspielraum begrenzt. Heute einen Wachstumsrückgang einzuleiten würde direkt in die Rezession führen, die wiederum zahlreiche soziale Verwerfungen zur Folge hätte. Auf den nächsten Krisenschub zu hoffen, wäre ebenfalls fatal. Das zeigt sich an der Corona-Krise. Zwar gingen in der ersten Hälfte des Jahres 2020 die CO2-Emissionen stark zurück, aber gleichzeitig hat menschliches Leid überall auf der Welt zugenommen. Es braucht also eine starke Bewegung, die den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Kapitalismus sichtbar macht.
Die Klimabewegung hat den Grünen den Weg in die Regierung bereitet. Jetzt ist es an ihr, die grüne Beruhigungspille nicht einfach zu schlucken, sondern dieses menschenverachtenden System zu delegitimieren und Alternativen denkbar zu machen.
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