Erdgas verdient das grüne Label nicht, das die EU ihm anheftet – als Brückentechnologie kommt es zu spät
von Wolfgang Pomrehn
Eines muss man den Regierenden in Paris und Berlin lassen: Der Deal wurde gut eingefädelt. Macron bekommt für seine Atomkraftwerke das Etikett «nachhaltig», Scholz für die Erdgasinfrastruktur.
Eine sogenannte Taxonomie der EU soll künftig die Bewertung verschiedener Branchen festlegen. Wer das grüne Label bekommt, kann auf bessere Förderbedingungen und größere Attraktivität am Kapitalmarkt hoffen.
Ein besonders raffinierter Aspekt an dieser Arbeitsteilung ist die Behandlung des Themas in der hiesigen Öffentlichkeit. Während sich alles darüber empört, dass die Atomkraft nun als nachhaltig gelten soll, spricht kaum jemand über das Erdgas, das auf deutschen Wunsch Aufnahme in den Katalog fand.
Es ist müßig zu fragen, ob dies von vornherein geplant war – auf den deutschen Mainstreamjournalismus ist auf jeden Fall Verlass. Kritische Nachfragen verkneift man sich meist, besonders in außenpolitischen Fragen. Damit das auch so bleibt, werden zur rechten Zeit die richtigen Leute an die entscheidenden Stellen gesetzt, wie die Personalie Christine Strobl zeigt. Die Tochter von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Gattin des baden-württembergischen Innenministers, beide CDU, ist seit Mai 2021 ARD-Programmdirektorin (Jahresgehalt 285000 Euro).
Investition in Klimakiller
Nun soll es also sozusagen höchste EU-Weihen für den weiteren Ausbau der Gasinfrastruktur in Deutschland geben: für weitere Gaspipelines, für die Inbetriebnahme der Nord Stream 2 aus Russland, für neue Gaskraftwerke und – hierüber spricht man nicht so gern – für Flüssiggasterminals an der Nordseeküste. Das grüne Label für Erdgas hat nicht nur für die interessierten Unternehmen die erwähnten Vorteile. Auch für die Bundesregierung ergibt sich ein gewisser politischer Mehrwert in der Auseinandersetzung um die von einigen EU-Staaten, und vor allem von den USA, heftig kritisierte Nord-Stream-2-Pipeline.
Letzteres zeigt, wie kompliziert die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Erdgasinfrastruktur ist. Zum einen wird das Erdgasgeschäft mit Russland von außenpolitischen Scharfmachern stark angegriffen, wodurch eine bedenkliche Nähe von Klimaschützern und Kriegstreibern entsteht. Zum anderen ist Erdgas wie Kohle oder Erdöl ein fossiler Rohstoff, bei dessen Verbrennung oder Verarbeitung durch die chemische Industrie das Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass sein Hauptbestandteil Methan ist, das, wenn es entweicht, ebenfalls als Treibhausgas wirkt.
Allerdings emittieren moderne Gaskraftwerke deutlich weniger Kohlendioxid je erzeugte Kilowattstunde Strom als Kohlekraftwerke, insbesondere als Braunkohlekraftwerke. Hätte man also in den 1990er Jahren, als der Klimawandel längst bekannt und die Klimarahmenkonvention bereits ratifiziert war, statt Kohlekraftwerke Gaskraftwerke gebaut, hätte das noch einen gewissen Sinn gemacht. Diese wären dann demnächst abgeschrieben und stünden auch im ökonomischen Sinne zur Disposition.
Doch nun soll weiter viel Geld in eine Technik gesteckt werden, die die Klimakrise befeuert, obwohl längst klar ist, dass Deutschland 2030, aller spätestens 2035 klimaneutral wirtschaften muss, um das Schlimmste zu verhindern. Jeder Euro, der heutzutage noch in die Erdgasinfrastruktur fließt, wird in zehn oder zwanzig Jahren als Argument genutzt werden, weshalb die klimaschädigende fossile Industrie noch nicht abgeschaltet werden kann. Nur bei dem einen oder anderen neuen Kraftwerk ist das nicht ganz so eindeutig, sofern es wirklich, wie im Koalitionsvertrag versprochen, auf Wasserstoff umstellbar und seine Abwärme für industrielle Prozesse oder Fernwärmenetze nutzbar ist.
Hier liegt der Teufel oft im Detail. Im Berliner Westen soll zum Beispiel ein neues Gaskraftwerk entstehen. Ein Konsortium um Vattenfall will dafür auch eine Gaspipeline verlegen lassen und verspricht, dass alles später auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Das Berliner Bündnis «Kohleausstieg» ist allerdings skeptisch und befürchtet, dass Kohle «einfach eins zu eins durch fossiles Erdgas und Biomasse ersetzt werden soll. Damit ist dem Klima kein Stück geholfen, stattdessen macht sich Berlin vom nächsten fossilen Energieträger langfristig abhängig», sagt die Bündnissprecherin Lisa Kadel. Es gebe kein plausibles Szenario, wo grüner Wasserstoff in ausreichender Menge und zu bezahlbaren Preisen herkommen soll.
Frackinggas aus Übersee
Vollkommen eindeutig ist der Fall hingegen bei den geplanten Flüssiggas- oder LNG-Terminals. Mehrere sind geplant: im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel an der Unterelbe, in Stade und in Wilhelmshaven (beide Niedersachsen). Mitunter wird argumentiert, die Anlagen seien auch für Biogas geeignet und sollen unter anderem auch dem Betanken von Schiffen dienen. Im wesentlichen wird es aber um die Anlandung von verflüssigtem Erdgas aus Übersee, vor allem aus den USA gehen.
Dem dort gewonnen Erdgas haftet allerdings der Makel besonderer Klimaschädlichkeit an. Es wird nämlich per Fracking gewonnen, da es im Untergrund in Gesteinsporen eingeschlossen ist. Diese werden mit hohem Druck und einem Gemisch aus Wasser, Sand und diversen Chemikalien aufgebrochen. Das Verfahren belastet nicht nur Grundwasser und die Nachbarschaft der Förderanlagen. Es lässt offensichtlich auch einen Teil des Gases unkontrolliert entweichen und zwar im großen Maßstab. Das lässt sich schon daran sehen, dass die zeitweise stabile Methan-Konzentration in der Atmosphäre seit dem Beginn des US-Fracking-Booms wieder ansteigt.
Aus gutem Grund sind die LNG-Terminals also in den Fokus von Umwelt- und Klimabewegungen gerückt. Auch ein Teil der örtlichen Bevölkerung wehrt sich, und die Kampagne «Ende Gelände» hat in Brunsbüttel bereits erste Sitzblockaden durchgeführt.
Chemie und Wärme
Neben diesen großen Kristallisationspunkten gibt es rund ums Erdgas einige wichtige, aber sehr kleinteilige Fragen. So wird ein nicht kleiner Teil des Erdgases bisher in der chemischen Industrie verbraucht, die vor allem an dem in ihm enthaltenen Wasserstoff interessiert ist. Man könnte hier natürlich nach dem Gebrauchswert der produzierten Güter fragen: Wird tatsächlich soviel Kunstdünger benötigt? Haben wir nicht ohnehin ein gewaltiges Problem mit dem Plastikmüll?
Außerdem lässt sich Erdgas an dieser Stelle relativ einfach ersetzen. Wasserstoff kann per Elektrolyse aus Wasser gewonnen werden. Tatsächlich ist dieser Ansatz seit neuestem ein prominenter Entwicklungspfad für die Industrie, in den viel Kapital und staatliche Förderung fließen soll. Allerdings wird sich damit der Strombedarf deutlich erhöhen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Elektrolyse schon bald als Argument gegen den raschen Kohleausstieg aufgeführt werden wird. Eine komplizierte Lage für die Klimaschutzbewegung. Da hilft nur Aufklärungsarbeit.
Ebenso kompliziert wird es auf dem Wärmesektor. Viele Wohn- und Bürohäuser werden mit Erdgas beheizt. Es müssten also in den nächsten 10–15 Jahren alle entsprechenden Gebäudeheizungen ersetzt werden. Die Antwort heißt: Gebäudesanierung, um den Energiebedarf zu senken, Fern- und Nahwärmenetze, Solar- und Erdwärme. Dafür bräuchte es staatliche Förderprogramme und eine engagierte Kommunalpolitik. Auch das ein äußerst komplexes Feld für soziale Bewegungen.
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