Befragungen geben Aufschluss
von Angela Klein und Lorenz Küppers
Querdenken – ist das nicht eine Tugend, die Linke tagtäglich einüben, um sich im Gewirr des vom Marktgeschehen hervorgebrachten, falschen Bewusstseins zurechtzufinden? Im Fall der Pandemie ist dies nicht so. Hier wird ein bislang eher positiv besetzter Begriff von Rechten, Corona-Leugnern und Impfgegnern gekapert.
Die Bewegung der «Schwurbler» nimmt zu, radikalisiert sich und schien monatelang die einzige Stimme zu sein, die sich gegen die Corona-Politik der politisch Verantwortlichen stellt. Die Linke wurde auf kaltem Fuß erwischt: Eingeklemmt zwischen einer Regierungspolitik, die auch von ihr zumindest in Teilen scharf kritisiert wird, und einer im Kern rechten Gegenbewegung ist sie immer noch gelähmt. Als erste hat die Antifa mobilisiert; sie klammert jedoch in aller Regel die offizielle Corona-Politik aus und läuft damit Gefahr, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Befriedigend ist das nicht, finden sich doch auch etliche Linke bei Schwurbler-Demos ein.
Ein differenzierter Umgang scheint deshalb angebracht. Doch: Wer sind die «Querdenker:innen»?
Eine erschöpfende Antwort gibt es bisher darauf nicht, regionale Besonderheiten spielen bei ihrer Zusammensetzung eine große Rolle. Eine Studie der Uni Basel* hat versucht, etwas Licht ins Dunkel zu bringen – mit einer ungewöhnlichen Methode: Die Befragung wurde online auf der Social-Media-Plattform Telegram durchgeführt; der regionale Schwerpunkt liegt auf Baden-Württemberg. Die Studie wurde im Zeitraum vom 18.11.2020 bis 24.11.2020 durchgeführt, an ihr nahmen 1152 Personen teil – es ist eine freiwillige Stichprobe. Die Autor:innen betonen deshalb, dass die Studie nicht repräsentativ sei – dennoch ist sie aufschlussreich und zerstört auch so manches Vorurteil. Etwa folgende:
Vorurteile
Zu den Schwurblern gehen die weniger gebildeten und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die am meisten unter der Pandemie leiden? Falsch. 69 Prozent haben mindestens Abitur bis Doktortitel, 21 Prozent wenigstens Realschulabschluss.
Die Mehrzahl ist in Lohn und Brot: 25 Prozent in Vollzeit, 22 Prozent in Teilzeit. Mit 25 Prozent machen die Selbständigen einen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich hohen Anteil aus. Zwei Drittel ordnen sich selbst der unteren bis oberen Mittelschicht zu, nur 4,6 Prozent der Arbeiterschicht, 2,2 Prozent der Unterschicht.
Die meisten sind zwar politisch nicht organisiert, aber sehr wohl politisch interessiert und punktuell auch aktiv.
In der Hauptsache Männer? Falsch. 60 Prozent der Befragten sind Frauen.
In der Hauptsache Junge? Falsch. Die Verteilung der Altersgruppen ist fast normalverteilt – um einen Median von 48 Jahren.
Die Schwurbler sind alles Rechte? Hängt davon ab, wie man rechts definiert. Wenn rechts die Kategorie ist für: Anti-Migranten, Frauenfeinde, Holocaust- und Klimawandelleugner und Menschen mit autoritärem Weltbild, dann stimmt die Zuordnung nicht:
– Über 60 Prozent halten den Klimawandel für real, 24 Prozent machen dazu allerdings keine Angaben.
– Dass zuviel Rücksicht auf Minderheiten genommen wird, sieht die Mehrzahl nicht; auch nicht, dass es zuviele Muslime im Land gebe oder man sie zurückschicken solle, wenn die Arbeitsplätze knapp werden (12 Prozent machen keine Angaben).
– 88 Prozent wollen, dass Menschen aus anderen Ländern hier arbeiten dürfen.
– Frauen sollen überwiegend nicht an den Herd zurückgeschickt werden.
– Einen starken Führer wünschen über drei Viertel nicht.
– Derselbe Anteil verwahrt sich dagegen, es gebe wertes und unwertes Leben.
– Eine große Mehrheit will den Nationalsozialismus nicht verharmlosen; hält den Einfluss von Juden in der Politik nicht für zu groß (allerdings wollen 30 Prozent dazu keine Angaben machen); lehnt autoritäre Erziehung ab.
Der gemeinsame Nenner
Eine große Übereinstimmung gibt es unter ihnen bei folgenden Aussagen:
«Die Corona-Proteste werden gezielt abgewertet und verzerrt; die falschen Experten geben den Ton an; die Regierung dramatisiert die Pandemie und schürt unnötig Angst; sie verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit, hintergeht das Volk; ihre Maßnahmen sind willkürlich und überwiegend unwirksam; der Staat hat für die wirtschaftlich Betroffenen nicht effektive finanzielle Hilfen zur Verfügung gestellt» (aber 60 Prozent sagen, sie seien in ihrer wirtschaftlichen Existenz deshalb nicht bedroht); «Banken und Konzerne sind die großen Profiteure.»
Und natürlich: «Die Corona-Maßnahmen bedrohen Meinungsfreiheit und Demokratie; sie setzen Kinder unzumutbaren Belastungen aus; der Staat bevormundet immer mehr; Corona ist nicht gefährlicher als eine schwere Grippe; es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben; Politiker sind nur Marionetten; die BRD ist kein souveräner Staat; Bill Gates will uns alle zwangsimpfen.»
Interessant ist, dass gleichzeitig eine Mehrheit gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ist.
Obwohl politisch interessiert, gebildet, existenziell gesichert fühlt sich diese Schicht von den politischen Entscheidungsprozessen abgekoppelt, tritt Medien und politischen Institutionen mit großen Misstrauen gegenüber und sieht keine Möglichkeiten, die politischen Entscheidungen zu beeinflussen.
Letzteres zeigt sich u.a. in ihrem politischen Wahlverhalten:
Die AfD wollen die meisten als normale Partei sehen. Tatsächlich haben bei der letzten Bundestagswahl 2017 62 Prozent die Grünen, Die LINKE und andere gewählt, 15 Prozent die AfD. Gefragt, welche Partei sie heute wählen würden, antworten 27 Prozent AfD; FDP und LINKE landen bei 6 bzw. 5 Prozent, 61 Prozent: andere.
Die «Anderen» schlüsseln sich wie folgt auf: 18 Prozent für Die Basis; 4 Prozent für Wir; 2 Prozent für Die Partei; 2 Prozent für die O?DP.
Über 90 Prozent zeigen eine Affinität zu anthroposophischem Denken. Das äußert sich dann in der Zustimmung zu solchen Sätzen:
«Unsere natürlichen Selbstheilungskräfte sind stark genug, um das Virus zu bekämpfen; mehr spirituelles und ganzheitliches Denken tut der Gesellschaft gut; Alternativmedizin sollte mit Schulmedizin gleichgestellt werden; die Krise zeigt, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben.»
Die Mehrheit will beim Impfen das Für und Wider sorgfältig abwägen, hat Angst vor einem Impfzwang, würde sich aber auch dann nicht impfen lassen, wenn es nachweislich keine Nebenwirkungen gäbe.
Vielleicht liegt ein Teil der Ursachen für diese durchaus widersprüchlichen Ansichten in diesem Satz, dem 75 Prozent zustimmen:
«Wir brauchen klare Lösungen für die vielen komplizierten Probleme der Welt.»
*Oliver Nachtwey, Robert Schäfer, Nadine Frei: Politische Soziologie der Corona-Proteste. Grundauswertung, 17.12.2020, Universität Basel.
2021 wurde sie von den Autor:innen ergänzt durch eine Studie im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung: «Quellen des ‹Querdenkertums›. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Wu?rttemberg.»
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