Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2022

Für linke Proteste gegen die Corona-Politik der Regierung
Interview mit Andreas Adrian

Andreas Adrian ist 22 Jahre alt, seit 2016 in verschiedenen Bewegungen aktiv, seit 2018 Mitglied der Partei Die LINKE und seit 2020 Vorsitzender ihres Kreisverbands Aschaffenburg.
Adrian ist einer der Gründer der Bewegung Mit Courage gegen Querdenker, die sich gegen die Coronapolitik der Bundesregierung und zugleich gegen die sog. Querdenker richtet.

Das Interview führte Angela Klein.

Ihr habt Anfang Januar eine Demonstration zum Thema Pandemie gemacht – gegen wen oder was hat sie sich gerichtet?
Die Demonstration hat sich mehr gegen die Querdenkerbewegung in unserer Region gerichtet, aber natürlich hat sie gleichzeitig Kritik an der Bundesregierung geäußert – wegen der Impfstoffverteilung, dem Umgang mit den Pflegekräften in der Pandemie usw. Das sind linke Kernthemen, die man auf die Straße tragen muss. Zwei Jahre lang haben wir die Straße den Querdenkern überlassen. Jetzt wollten wir zeigen, dass sie ihnen nicht allein gehört.

Was war eure Hauptforderung?
Die Forderungen waren sehr verschieden, weil unterschiedliche Organisationen auf der Demonstration gesprochen haben. Die meisten Redner:innen haben gefordert:
– 500 Euro mehr Grundgehalt für Pflegepersonal bei gleichzeitiger Absenkung der Arbeitszeit;
– eine massive Entlastung des Pflegepersonals;
– eine allgemeine Impfpflicht.
Unterschiedliche Maßnahmen, die die Freiheit von Personen beschneiden, führen ja nur dazu, dass Leute sich ungleich behandelt fühlen und weiter radikalisieren. Wenn aber sich alle impfen lassen müssen, gibt es vielleicht ein paar Wochen lang einen großen Aufschrei, am Ende aber sind alle geimpft und damit ist es gut.
Wir haben auch gefordert, nochmals mehrere Wochen lang einen weiteren, harten Lockdown zu verhängen, um die aktuelle Welle zu brechen.

Habt ihr auch was zur internationale Dimension gesagt?
Ja. Ein deutlicher Kritikpunkt war, dass die Bundesregierung nicht von Anfang die Impfpatente von Biontech freigegeben hat, dann hätte er auch massenhaft produziert werden können. Da der Hersteller aber keine Kapazitäten hatte, in Masse zu produzieren, hat es ewig gedauert, bis wir Impfstoff bekommen haben. Für den globalen Süden stellt sich die Lage noch viel dramatischer dar, da gibt es immer noch keine flächendeckende Impfversorgung. Wir fordern, dass die Patente freigegeben werden.

Was für Leute kamen zu eurer Demonstration?
Organisiert wurde die Demonstration vor allem von Leuten aus der LINKEN und aus dem Antifabereich. Aus dem Antifabereich gab es einige Leute, die die Allgemeinverfügung der Stadt für Demonstrationen bedenklich hielten, da sie befürchteten, dass sie genutzt wird, um Kundgebungen linker Gruppen aufzulösen. Wir haben diese Bedenken nicht geteilt, weil es in Aschaffenburg noch nie Fälle gab, wo unfair mit der linken Bewegung umgegangen worden wäre. Die Allgemeinverfügung besagt, dass Demonstrationen nur unter Auflagen stattfinden dürfen, die eigentlich ohnehin gelten sollten.
Die Teilnehmenden waren sehr breit gefächert, von 12 bis 85 war alles dabei, es gab viele Leute, die man vorher noch in keinem Zusammenhang wahrgenommen hat. Wir haben auch viel über Facebook mobilisiert und hatten viele Diskussionen im Vorfeld, sodass wir tatsächlich weit ins bürgerliche Milieu Leute ansprechen konnten – die haben bei unseren Forderungen mitgeklatscht.

150 Leute ist für Aschaffenburg nicht wenig.
Vor allem muss man auch sehen, dass von Anfang an sehr schlechtes Wetter war. Und wir hatten nur zwei Tage Vorlaufzeit, um das Ganze zu bewerben, weil wir erst kurzfristig mitgekriegt hatten, dass eine Aktion der Querdenker geplant war. Es ist großartig, dass das so geklappt hat. Wir haben auch eine gute Presse bekommen.

Da habt ihr offenkundig einen Nerv getroffen.
Ja, es ging wohl vielen so wie uns, dass es an den Nerven zerrt, die ganze Zeit zu Hause zu sitzen, während immer wieder tausende Querdenker demonstrieren, und man selbst kann nichts tun.

Was macht ihr jetzt mit diesem Erfolg?
Wir planen eine Aschaffenburger Erklärung, ähnlich wie die Schweinfurter Erklärung, aber mit dem Unterschied, dass wir explizitere Forderungen zur Pflege reinbringen. Da werden wir auch Unterstützung bekommen von einer sehr prominenten Pflegerin, zu der wir Kontakt haben. Wir wollen die Aschaffenburger Erklärung über Telegram verbreiten und damit deutlich machen: Wir gehen weiter auf die Straße.

Wie haben sich die bürgerlichen Parteien verhalten?
Die haben nicht Position bezogen. Eine Wählervereinigung, mit der wir enger zusammenarbeiten und die im Stadtrat sitzt, war bei der Kundgebung dabei. Ansonsten haben sich die Parteien nicht geäußert. Es gab wohl im Stadtrat Debatten über die Allgemeinverfügung, sie haben aber bisher noch zu keinem Ergebnis geführt.

Wie waren die Reaktionen in der Linkspartei?
Durchweg positiv. Sehr viele haben die Aktion befürwortet. Die meisten haben gesagt, das kann man aufgreifen, oder sie haben berichtet, dass es ähnliche Projekte auch bei ihnen vor Ort gibt. Im Landesvorstand und auch im Bundesvorstand soll nun darüber beraten werden, ob man künftig zu Aktionen aufruft oder nicht. Das ist eine sehr, sehr positive Entwicklung. Gerade Bewegung ist etwas, was der LINKEN sehr gut täte: dass wir es schaffen, wieder zu mobilisieren und auf die Straße zu gehen. Das hat uns die letzten zwei Jahre massiv gefehlt.

Habt ihr Kontakte zum Pflegepersonal?
In der Partei arbeiten einige in der Pflege. Es waren auch Ärzte und Pflegerinnen auf der Kundgebung, die mich teilweise nachher angesprochen haben.

Wie stark sind die Querdenker bei euch, wer ist das?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich will sie gar nicht über einen Kamm scheren, denn sie kommen aus den verschiedensten Richtungen. Es gibt Leute, die waren vorher in Friedensbewegungen aktiv, andere waren in der Antiatomkraftbewegung, wieder andere hatten sich sogar in unterschiedlichen Bündnissen gegen rechts engagiert. Viele kommen aus Hessen und demonstrieren in Aschaffenburg, weil sie es da können.
Bei einer nicht offiziellen Gegenaktion zu einer Kundgebung von Querdenkern haben wir ein Rechercheteam losgeschickt, das Fotos gemacht hat. Die Recherchen ergaben: Mitgelaufen ist u.a. der ehemalige stellvertretende Landessprecher der NPD in Hessen zusammen mit mehreren anderen Personen von der NPD. Einer ist bei den Hammerskins und sympathisiert offen mit den Arians, einer rechtsterroristischen Vereinigung. Mit dabei waren auch Leute von der Partei Die Basis*.
Die Anzahl der Teilnehmenden verändert sich je nachdem, in welchem Rahmen mobilisiert wird. Einmal hat das Bündnis Rhein-Main mobilisiert, da kamen Leute aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet nach Aschaffenburg. Das war ein Riesending, weil auf einmal nicht mehr 300 auf der Straße waren, sondern 4000. Dadurch haben sie noch viel mehr Aufmerksamkeit aus der Region erhalten, und jetzt veranstalten sie jeden Montag eine Kundgebung mit anschließendem «Spaziergang». Am ersten Januar-Montag waren 600 Leute versammelt – das sind unheimliche Mengen.

Die kommen aus Aschaffenburg?
Es ist ein Bündnis aus Aschaffenburg, das immer montags mobilisiert. Aber nicht nur hier: Auch in Groß-Heubach, einem kleinen Dorf in der Nähe im Landkreis Miltenberg, sind 300 Leute auf die Straße gegangen. Es ist wirklich teilweise beängstigend, welche Größenordnung das annimmt.

Kannst du dir vorstellen, dass man zu einer örtlich oder regional übergreifenden Initiative, einem Bündnis oder ähnliches kommen und sich auf einen gemeinsamen Forderungskatalog einigen kann? Ich denke, die Notwendigkeit, dass Linke eigenständig gegen die Regierungspolitik und gegen die sog. Querdenker protestieren, wird von vielen gesehen, aber es lähmt die Zersplitterung.
Das stellten wir auch bei unserer Aschaffenburger Erklärung fest. Wenn da auch Gewerkschaften und die unterschiedlichen linken Organisationen unterschreiben sollen, fällt schnell auf, dass es in einigen Fragen verschiedene Auffassungen gibt. Wenn dann jede Organisation über jede Änderung basisdemokratisch abstimmen will, sitzen wir in noch in zwei Jahren da und haben kein Papier. Deswegen haben wir eine Deadline gesetzt, bis zu der Änderungsvorschläge vorgebracht werden konnten. Dann gab es eine Endabstimmung – und dann unterstützt man die Erklärung oder man lässt es bleiben.
Auf Bundesebene ist das viel schwieriger. Ich könnte mir eher vorstellen, dass sich regional Basisgruppen unter demselben Namen gründen, nennen wir sie mal «Courage gegen Querdenker», die vielleicht nur auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner agieren, um auf die regionalen Unterschiede besser reagieren zu können. Da könnte es dann eine gewisse Bandbreite geben, solange sie nicht in die Querdenkerrichtung geht…
Solche Fragen diskutieren wir intern in unterschiedlichen Foren. Das Problem ist der damit verbundene, große Organisationsaufwand. Am Ende braucht es wieder Leute, die es machen.

*Die Partei Die Basis hat sich 2020 gegründet und will parteipolitischer Arm der sog. «Querdenker»-Bewegung werden.

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