Für Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen gibt es sehr viele Gründe
von Lorenz Küppers
Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen betrifft nicht nur kleine Teile der Bevölkerung. Sie findet sich in allen Altersgruppen, Schichten und kulturellen Milieus. Allein im Jahr 2020 wurden etwa 118000 Frauen Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen, und das ist lediglich die Zahl der Fälle, die der Polizei gemeldet wurden. Bei häuslicher Gewalt geht man allgemein von einer enormen Dunkelziffer aus, da nur ein Bruchteil der Betroffenen tatsächlich zur Polizei geht.
Eine vom Bundesministerum für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2014 herausgegebene Broschüre zum Thema gibt Aufschluss über die unterschiedlichen Formen, Schweregrade und Muster von Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen.
Die Broschüre wertet Daten aus einer Studie aus, die das Interdisziplinäre Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF) der Universität Bielefeld in Kooperation mit dem Institut für Sozialforschung (infas) 2007/2008 erstellt hat – die Spärlichkeit der Daten wirft ein Licht darauf, wie wenig erforscht das Thema ist.
Demnach hat jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Übergriffe durch einen früheren oder aktuellen Beziehungspartner erlebt. Und fast jede fünfte Frau erfährt in ihrer aktuellen Paarbeziehung folgenschwere Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt. Mehrheitlich handelt es sich hierbei nicht um leichte, sondern tendenziell schwere bis lebensbedrohliche Gewalthandlungen.
Gewalt in Paarbeziehungen hat verheerende Folge für die Betroffenen. Sie führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu körperlichen Verletzungen und psychischen Folgebeschwerden. Sie ist ein schwerer Eingriff in die Gesundheit der betroffenen Frauen, der in vielen Fällen erhebliche Auswirkungen auf sämtliche Bereiche ihres Lebens hat.
Häufig verharmlosen Opfer die Gewalt, die von ihrem aktuellen Partner ausgeübt wird. Unklar ist auch, ab wann Handlungen von den Opfern überhaupt als Gewalt eingestuft werden. Das heißt, die tatsächlichen Zahlen sind mit Sicherheit wesentlich höher.
Unter welchen Verhältnissen entsteht und intensiviert sich Partnergewalt? Es ist schwer, eindeutige Ursachen zu finden, allerdings zeigt die Studie Zusammenhänge auf, in denen Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen häufiger und/oder schwerwiegender vorkommt.
Bildung
Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen kommt in allen Schichten vor. Allerdings zeigt sich bei differenzierter Betrachtung, dass sie nicht unbedingt gleich verteilt ist.
Statistisch gesehen kann der Mangel an Bildungsressourcen bei Frauen und ihren Partnern ein gewaltfördernder Faktor sein. Besonders betroffen sind Paare in den niedrigsten Bildungssegmenten. Vor allem das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Zugang zu Bildung und Ausbildung scheint ausschlaggebend zu sein, nicht der Grad oder die Wertigkeit des Abschlusses selbst. Der Grad der Bildung steht allerdings in direkter Beziehung zur Kenntnis über Unterstützungsangebote. Frauen, die Gewalt in Paarbeziehungen erleiden, haben von solchen Angeboten eine um 23 Prozent höhere Kenntnis, wenn sie einen gymnasialen Abschluss haben, als wenn sie einen Hauptschulabschluss haben.
Die stärkere Gewaltbelastung auf den niedrigsten Bildungsstufen steht vermutlich im Zusammenhang mit Armut und Perspektivlosigkeit. Es lässt sich auch vermuten, dass Frauen auf diesem Bildungsniveau sich schwerer aus gewaltsamen Paarbeziehungen lösen können, weil sie in größerer Abhängigkeit vom Partner leben.
Überraschend ist vielleicht, dass auch ältere Frauen ab 45 Jahren zur Gruppe der stärker von Gewalt belasteten Frauen gehören, vor allem dann, wenn sie höhere und höchste Bildungsabschlüsse haben. Das kann daran liegen, dass in dieser Altersgruppe Trennungen und Scheidungen zunehmen – das ist einer der höchsten Risikofaktoren für das Auftreten von Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen. Die erhöhte Gewaltbereitschaft der Männer folgt aber auch aus der Tatsache, dass sie häufig ein patriarchalisches Weltbild haben und Frauen nicht als gleichwertig betrachten. Für alle Bildungsschichten und Altersgruppen gilt, dass Frauen eher Gewalt vom Partner erleiden, wenn sie einen gleichwertigen oder höheren Abschluss haben als dieser.
Einkommen
In bezug auf die berufliche und ökonomische Situation lassen sich ähnliche Muster feststellen. Wenn Frauen und ihre Partner kein oder ein sehr geringes Einkommen haben, steigt das Risiko für Gewalttätigkeit, das ist besonders in den jüngeren Altersgruppen der Fall. Knapp ein Drittel der Haushalte, in denen schwerste Misshandlungen durch den aktuellen Partner stattfanden, befand sich in prekären Einkommenslagen. Entscheidender ist aber die berufliche Situation des Partners. Erwerbslose Männer übten der Erhebung nach überproportional oft körperliche/sexuelle und psychische Gewalt aus. Hierfür können ebenfalls Armut, Perspektivlosigkeit und männliche Identitätsprobleme ausschlaggebend sein.
Ähnliches wie beim Bildungsgrad gilt für Frauen ab 45 auch bezüglich der Erwerbssituation: Beziehen sie ein Einkommen, das auf oder über dem Niveau des Partners liegt, haben sie vermehrt unter der Gewalt des Partners zu leiden. Auch dies gilt nicht ausschließlich für die über 45jährigen: In allen Altersgruppen erhöht ein gleichwertiges oder höheres Einkommensniveau der Frau die Wahrscheinlichkeit von Gewalt gegen sie.
Frauen mit Migrationshintergrund sind signifikant häufiger schwerer körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt vom Partner ausgesetzt.
Vorerfahrungen
Am stärksten sind Frauen von Gewalt durch den Partner betroffen, wenn sie schon in ihrer Kindheit oder Jugend Gewalt erlebt haben. Das Risiko dieser Frauen, schwere psychische, körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch den Partner zu erleiden, nimmt dann enorm zu. Denn häufig erdulden Frauen leichtere Formen von Gewalt länger, wenn sie schon in der Kindheit Gewalt erfahren haben, dadurch kommt es dann öfter zu schwereren Formen von Misshandlung. Frauen die in ihrer aktuellen Partnerschaft schwerer körperlicher, sexueller und psychischer Misshandlung ausgesetzt waren, hatten zu 75–77 Prozent bereits als Kinder bzw. Jugendliche darunter zu leiden.
Ein großer Teil der misshandelten Frauen ist also bereits psychisch stark vorbelastet oder sogar traumatisiert. Wenn beide Bedingungen – erlebte Gewalt in der Kindheit und Gewalt durch den Partner – zusammenkommen, ist das Risiko extrem hoch, dass Frauen gravierende gesundheitliche und psychische Schäden erleiden. Ganz schlimm wird es, wenn Frauen außerhalb der Partnerschaft keine oder kaum soziale Kontakte haben.
Gewalt an Frauen durch ihre Partner stellt ein enormes Problem dar, das nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit und dem erforderlichen Einsatz angegangen wird. Die Studie zeigt sehr gut, dass diese Gewalt allgegenwärtig ist und auf mehreren Ebenen bekämpft werden muss.
Es ist außerordentlich schwer für betroffene Frauen, sich überhaupt nach Hilfe umzusehen und von den internen und externen Schuldzuweisungen zu lösen. Haben sie das einmal geschafft, stehen sie vor einer Vielzahl weiterer Hürden. Zeigen sie ihren Partner an, führt das fast nie zu Verurteilungen und wenn, dann ist das Strafmaß oft lächerlich gering. Von ihrem Umfeld erleben sie häufig, dass ihnen die Schuld an ihrer Lage gegeben oder ihnen nicht geglaubt wird.
Einrichtungen, die Frauen Hilfe anbieten, werden in vielen Fällen nicht genutzt. Das liegt am mangelnden Kenntnisstand, aber auch an der Überlastung und mangelhaften Finanzierung solcher Einrichtungen. Bund und Länder müssten bereits bei präventiven Maßnahmen ansetzen, angefangen bei systematischer Datenerhebung und regelmäßiger Forschungsarbeit.
Auch Aufklärungskampagnen sind zentral für das frühe Erkennen von Gewaltmustern und die Sensibilisierung, nicht nur der Frauen, sondern auch der Täter und der gesamten Gesellschaft. Das Gesundheitssystem muss ausgebaut werden, um dringend benötigte Therapieangebote breiter verfügbar zu machen. Unterstützungseinrichtungen brauchen eine solidere und umfangreichere Finanzierung.
Auch für die Gleichberechtigung der Geschlechter muss weiter gekämpft werden, denn ihr Fehlen trägt einen erheblichen Teil zur Gewalt an Frauen bei. Nicht zuletzt ist auch der gerechte Zugang zu bildenden und ökonomischen Ressourcen ein maßgeblicher Faktor.
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