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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2022

Die Anfänge des 8.März
von Gisela Notz*

Zum 111.Mal wird in diesem Jahr der Internationale Frauentag gefeiert. In die Geschichte eingegangen ist er vor allem als Kampftag für das allgemeine, gleiche Wahlrecht auch für Frauen. Eine Forderung, die im Jahre 1919 zwar zum Erfolg führte, die aber die Situation der Frauen insgesamt nur mäßig verbesserte.

Der Ruf: «Heraus zum sozialistischen Frauentag!», der in der von Clara Zetkin herausgegebenen Zeitschrift Die Gleichheit vom 13.März 1911 erschien, war eng mit den auf Leben und Arbeit ausgerichteten Forderungen der Arbeiterinnen verbunden. Dem Beschluss von Kopenhagen zur alljährlichen Durchführung eines Internationalen Frauentages und den folgenden Aktionen schlossen sich sowohl der sozialdemokratische Parteivorstand als auch die Gewerkschaften an.
In den vergangenen 110 Jahren konnten Frauen einiges erreichen, vom Ziel der wirklichen Gleichberechtigung, die alle Geschlechter betrifft, sind wir allerdings immer noch ein beträchtliches Stück entfernt. Mehr als eine Million Frauen gingen am «Märzentag» 1911 auf die Straße. Damals war es der 19.März, er sollte an die «Märzgefallenen» vom 18.März 1848 erinnern, an den Barrikadenkämpfen hatte viele Arbeiterinnen teilgenommen. Für die alljährliche Wiederkehr des Gedenkens wurde zunächst kein bestimmtes Datum festgelegt, erst 1921 wurde der Internationale Frauentag offiziell auf den 8.März gelegt.

Kampf gegen den Militarismus
Der Internationale Frauentag für die Sozialistinnen stand von Anbeginn an unter dem Zeichen des Kampfes gegen Militarismus und für die Erhaltung des Weltfriedens, das ist heute wenig bekannt. Die II.Konferenz Sozialistischer Frauen rief ihn am 26. und 27.August 1910 in Kopenhagen ins Leben.
Gegen den drohenden Weltkrieg – in den verschiedenen Ländern wurde bereits heftig aufgerüstet – verabschiedete die Konferenz eine «Resolution, die Erhaltung des Friedens betreffend» sowie die Forderung nach dem Frauenwahlrecht. Die deutsche und die österreichische Frauendelegation sowie das britische Büro der Sozialistischen Fraueninternationale hatten sie eingebracht.
Dabei vergaßen sie nicht, darauf hinzuweisen, dass ähnlich wichtige Beschlüsse bereits auf vorhergegangenen internationalen Kongressen verabschiedet worden waren, insbesondere auf dem Sozialistenkongress in Stuttgart 1907, auf dessen Vorkonferenz die Sozialistische Fraueninternationale gegründet worden war. Schon da klang aus einigen Länderberichten die Sorge um einen drohenden Krieg und die Notwendigkeit des Kampfes gegen ihn durch.
Mit der erneuten Friedensresolution wollte die Sozialistische Fraueninternationale an der Sicherung des Friedens mitarbeiten: Die Resolution benannte die durch die kapitalistische Produktionsweise verursachten sozialen Gegensätze als Ursache der Kriege. Die sozialistischen Frauen und Mütter aller Länder wurden an ihre besondere Aufgabe im Kampf gegen Militarismus und Krieg erinnert: Die Jugend und die Kinder im Geiste des Sozialismus zu erziehen «und durch unablässige Agitation unter dem weiblichen Proletariat in der gesamten Arbeiterklasse das Bewusstsein der Macht zu stärken, die sie dank ihrer Rolle im Wirtschaftsleben der heutigen Gesellschaft einsetzen kann und einsetzen muss». Die Frauen setzten damals große Hoffnung auf «das kämpfende Proletariat» als «Armee des Friedens», die sich immer weiter ausbreiten sollte. Das Thema «Militarismus und Krieg» begleitete in der Folgezeit viele Internationale Frauentage, denn die Bedrohung des Weltfriedens und die Notwendigkeit von Friedensaktionen dauerten an.

Frauenwahlrecht und Klassenkampf
Die sozialistische und gewerkschaftliche Frauenbewegung war mit dem ersten Internationalen Frauentag am 19.März 1911 weltweit an die Öffentlichkeit gegangen. Waren es 1911 die USA, die Schweiz, Dänemark und Österreich, die am Internationalen Frauentag bei Demonstrationen auf die Straße oder in Vollversammlungen gingen, so kamen bis zum Ersten Weltkrieg Frankreich, die Niederlande, Schweden, Russland und Böhmen hinzu. Am Internationalen Frauentag in Stuttgart am 12.Mai 1912 hielt Rosa Luxemburg eine Rede zum Thema «Frauenwahlrecht und Klassenkampf», in der sie die politische Rechtlosigkeit für Frauen scharf verurteilte und auf den Zusammenhang zwischen politischen Rechten und Militarismus hinwies:
«Für den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit darum, den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahlrecht vorzuenthalten. Von ihnen befürchtet er mit Recht die Gefährdung aller althergebrachten Einrichtungen der Klassenherrschaft, so des Militarismus, dessen Todfeindin jede denkende Proletarierin sein muß … Das Frauenwahlrecht ist für den heutigen kapitalistischen Staat ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die Millionen Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolutionäre Sozialdemokratie, stärken würden.»
Auch der Internationale Frauentag am 8.März 1913 wurde ein voller Erfolg für Partei und Gewerkschaften. Rosa Luxemburg sprach in Braunschweig vor etwa 500 Mädchen und Frauen und beteiligte sich an dem anschließenden Demonstrationszug, der auf dem Hagenmarkt, dem traditionellen Platz der Kundgebungen bei Arbeiterdemonstrationen, endete.
Der Widerstand gegen die hauptsächlich von Frauen für Frauen organisierten Veranstaltungen war innerhalb der Arbeiterbewegung groß. Sowohl Genossen als auch Gewerkschaftskollegen sahen darin ein separatistisches und feministisches Verhalten. Die Sozialdemokratin Minna Reichert (1869–1945) brachte das auf den Punkt: «Man sagt, wir Frauen brauchen keine Extrawurst gebraten. Ich aber sage, solange die Frauen noch unter einem Ausnahmerecht in der bürgerlichen Gesellschaft leben, brauchen sie allerdings Extrawürste.»

‹Du sollst nicht töten!›
Am 8.März 1914 (kurz vor Beginn des Weltkriegs) läutete der sozialistische Frauentag die «Rote Woche» ein, während der an vielen großen und kleinen Orten demonstriert wurde. Rosa Luxemburg sprach am Vorabend in Freiburg anlässlich einer Protestversammlung gegen ihre eigene Verhaftung. Man hatte sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie nach Auffassung des Staatsanwalts und des Gerichts eine verbrecherische Handlung begangen hatte, indem sie den Arbeitern diesseits und jenseits der deutschen Grenze während einer Rede zugerufen habe: «Du sollst nicht töten!»
Dieser vierte Internationale Frauentag, der vor allem dem Kampf um das Frauenwahlrecht und für die Gleichberechtigung der Frauen dienen sollte, wurde zum Aktionstag gegen den Krieg. Die drohende Kriegsgefahr mobilisierte am 8.März und in der darauffolgenden Woche viele Frauen, die vorher niemals demonstriert hatten. Die Demonstrationen der Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen für den Frieden und gegen das Wettrüsten waren überwältigend gut besucht. Das schöne Plakat «Frauen/Tag 8.März 1914 – Heraus mit dem Frauenwahlrecht», wurde immer wieder neu aufgelegt und ist heute noch oft am 8.März zu sehen. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs löste sich die gesamte sozialistische Internationale – und damit auch die Fraueninternationale – in ihre nationalen Bestandteile auf. Die SPD und die ihr nahestehende Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands als Dachorganisation der freien Gewerkschaften trugen während der Kriegsjahre die «Burgfriedenspolitik» mit. Dadurch waren kritische Veranstaltungen bei den Organisationen der Arbeiterbewegung selbst nicht mehr erwünscht, noch bevor sie von den Behörden verboten wurden! Frauentagsveranstaltungen fanden nur noch illegal statt.
In den folgenden Jahren erlebte die Frauentagsbewegung Fortschritte, Rückschritte, Erfolge und Niederlagen. Je nachdem, wie es die herrschende politische Meinung wollte, wurde der Internationale Frauentag verboten, geduldet oder von oben verordnet.

*Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin, Historikerin und Aktivistin.
Zum Weiterlesen: Gisela Notz: Der Internationale Frauentag und die Gewerkschaften. In: Geschichte(n) – Tradition und Aktualität. Berlin: Ver.di, 2011.

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