Die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst hat begonnen – zieht Ver.di Lehren aus dem Streik 2015?
von Violetta Bock
330000 Beschäftigte arbeiten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst (SuE). Die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) wurden im Frühjahr 2020 coronabedingt unterbrochen und werden jetzt wieder aufgenommen. Der letzte große Streik war 2015, er zeigte durch kreative Aktionen die Entschlossenheit der Kolleg:innen, hinterließ aber viele Enttäuschungen. Hat Ver.di daraus gelernt?
2015 stand die Tarifkampagne unter dem Motto «Aufwertung jetzt». Man erinnere sich: 2015 hofften viele aufgrund zeitgleicher Tarifrunden (Post, Bahn, Amazon) auf den großen gewerkschaftlichen Aufbruch. Nach einem vierwöchigen flächendeckenden, aber für Ver.di auch kostenintensiven Streik im Sozial- und Erziehungsdienst wurde er für viele enttäuschend beendet. Anfangs von der Öffentlichkeit begleitet, bröckelte irgendwann die Solidarität. Eltern wussten nicht mehr wohin mit ihren Kindern, und der Ausfall sozialer Dienste führte für manche zur privaten Dauerbelastung. Ökonomisch konnte wenig Druck aufgebaut werden, im Zweifel sparte die Kommune sogar Geld. Manche Kommunen erstatten inzwischen zumindest teilweise, wie in der Pandemie, auch bei einem längeren Streik die Kitagebühren zurück.
Im Dienstleistungsbereich ist die öffentliche Solidarität wichtig. Umso größer war 2015 die Kritik an der Streikführung. Abgesehen von Plakatkampagnen gab es keine offensive, übergeordnete Strategie der Bündnisarbeit. Es wurde kritisiert, dass Ver.di die Streiks nicht zusammenführte. An einzelnen Orten gab es gemeinsame Demonstrationen von Post-, Amazon- und Sozialarbeiter:innen.
In der Zwischenzeit hat Ver.di gelernt, dass öffentliche Unterstützung eine Machtressource ist. Bei Krankenhauskämpfen gibt es lokale Unterstützungsgruppen und begleitende Volksbegehren. In den Tarifverhandlungen im Nahverkehr wurde zum ersten mal konzeptionell, auch ausgehend von der Bundesebene, für das Bündnis zwischen Fridays for Future und Ver.di geworben. Dies wurde in der Gewerkschaftslandschaft, bis in die IG Metall, mit Interesse verfolgt.
Im Sozial- und Erziehungsdienst wird nun aktiv das Bündnis mit Elternverbänden und feministischen Gruppen gesucht und Informationen an Betroffene und Interessierte bereit gestellt. Schon jetzt werden mehrsprachige Briefe an die Eltern verschickt, online kann sich jede:r als Unterstützer:in oder bei Telegram eintragen, vor Ort suchen sowohl Frauenstreikgruppen als auch Ver.di die Zusammenarbeit.
Vieles soll jetzt dezentraler stattfinden, aktionsorientierter statt eines langen Streiks, der vor allem die zu Betreuenden betrifft. Das sei kräfteschonender, unberechenbarer, nicht zuletzt pandemiebedingt. Auf gemeinsame (Streik-)Versammlungen sollte dennoch hingewirkt werden. Dort bietet sich die Möglichkeit der gemeinsamen Reflexion, nicht nur mit dem Frauenstreik am 8.März, sondern auch gemeinsam mit den Beschäftigten, die etwa in NRW im Krankenhaus für Entlastung kämpfen (siehe S.10). 2015 waren die Streikversammlungen wichtig für den standortübergreifenden Austausch, für die Vernetzung mit anderen Gruppen, die Entfaltung von Aktivität und die gemeinsame Aussprache unter den Beschäftigten.
Arbeitgeber: so stur wie 2015
Gerade in der prekären Branche der Sorgearbeit liegt die Zusammenarbeit mit Frauenstreikbündnissen auf der Hand. Zu Redaktionsschluss hat die erste Verhandlung am 25.Februar, anlässlich derer vor vielen Rathäusern Aktionen geplant sind, noch nicht stattgefunden. Es ist jedoch absehbar, dass der 8.März nicht nur Aktionstag, sondern vielleicht sogar Streiktag werden könnte.
Die Arbeitgeber vermelden schon jetzt, dass sie keinen «undifferenzierte Aufwertungen» zustimmen werden. Ihrer Ansicht nach sind die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung angemessen, die Wertschätzung drücke sich ja schon in den bestehenden Tarifverträgen aus. In einer Pressemitteilung von Mitte Februar jammern sie, die Entlohnung sei in diesem Bereich in den letzten Jahren bereits überproportional gestiegen und viel höher als bei anderen Trägern.
Natürlich verlieren sie kein Wort darüber, dass bei niedriger Bezahlung ein höherer Prozentwert wenig aussagekräftig ist. Und auch der Vergleich mit den oft noch schlechteren Bedingungen bei den freien Trägern hinkt. Gerade für letztere ist ein Abschluss nach Tarifvertrag öffentlicher Dienst leitend. Deshalb sind auch Beschäftigte in freien und kirchlichen Träger aufgefordert, ihre Solidarität zu zeigen.
Demokratisierung?
Inzwischen beweisen Leuchttürme wie die Krankenhausbewegung in Berlin, dass Demokratie sich nicht in Befragungen erschöpft. Dort hat die aktive Einbeziehung der Beschäftigten nicht nur bei der Entwicklung der Forderungen, sondern gerade bei den Verhandlungen die Macht der Arbeiter:innen entfaltet. Der Tarifabschluss der Länder 2021 zeigt jedoch, dass dies noch lange nicht in der gesamten Organisation angekommen ist. Wie sieht es im Sozial- und Erziehungsdienst aus?
Die Demokratiefrage war ein Knackpunkt bei der Auswertung des Streiks 2015. Nach vier Wochen unbefristetem Streik wurde die Schlichtung einberufen und damit der Streik vorerst beendet. Die Bundesebene von Ver.di warb trotz enttäuschendem Ergebnis für die Annahme. Auf Streikdelegiertenversammlungen wurde dies vehement kritisiert. In einer Mitgliederbefragung stimmten knapp 70 Prozent für eine Fortsetzung des Arbeitskampfs. Erst unter diesem Druck wurde nachverhandelt und ein erneutes Schlichtungsergebnis erreicht. Auch dies wurde kritisiert, doch stimmten bei der Urabstimmung mit 57,2 Prozent genug für ein Ende des Streiks.
Streikdelegiertenversammlungen sind diesmal nicht vorgesehen, die Bundestarifkommission bleibt das zentrale demokratische Gremium. Tarifbotschafter:innen sollen den Informationsfluss zwischen Betrieb und Verhandlungskommission stärken und klar machen, dass betriebliche Stärke nur mit aktiven Kolleg:innen vor Ort gelingt.
Ob dieses Format den gleichen Druck und die gleiche Dynamik wie Streikdelegiertenkonferenzen entfalten kann, wird sich noch zeigen. Kritische Gewerkschafter:innen sollten von vornherein nicht nur die Durchführung des Streiks im Auge behalten, sondern auch die Organisierung innerhalb von Ver.di, um bei einem eventuellen Abschluss interventionsfähig zu sein.
Denn die Verbesserung in der sozialen Arbeit ist dringend notwendig – für uns alle.
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