Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2022

Das Bundesverwaltungsgericht erlaubt Veranstaltungen zu BDS – eine böse Schlappe für das Berliner politische Establishment
von Arn Strohmeyer

Im Jahr 2018 wollte der Münchner Klaus Ried Räume im Stadtmuseum mieten, um über den Stadtratsbeschluss vom vorhergehenden Jahr zu diskutieren, der Initiative Boycott, Divestment, Sanctions (BDS), die sich gegen Israels Politik gegenüber den Palästinensern wendet, keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen.

Die Stadt lehnte den Antrag ab, weil zu erwarten sei, dass über BDS gesprochen werde, dafür gebe es keine Räume.
Im November 2020 bekam Klaus Ried in der Zweiten Instanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof recht: Die Stadt München müsse einen Veranstaltungssaal zur Verfügung stellen, sie sei nicht befugt, Bewerbern den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen «allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen zu verwehren».

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 22.Januar 2022 einen ähnlichen Beschluss gefasst: Der Stadtratsbeschluss verletze das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, heißt es. Ob BDS antisemitisch sei oder nicht, sei dafür unerheblich: Auch antisemitische Äußerungen dürfe man nur von vornherein untersagen, wenn sie den öffentlichen Frieden gefährdeten, das sei hier nicht erkennbar.
Der Deutsche Bundestag hat 2019 in einer Resolution die BDS-Kampagne als «antisemitisch» eingestuft.
Ein Israeli – der Journalist Gideon Levy von der Tageszeitung Haaretz – hatte den Bonner Parteien (mit Ausnahme von großen Teilen der Linkspartei und ein paar Abgeordneten der Grünen) nach dem BDS-Beschluss des Bundestags am 17.Mai 2019 ins Stammbuch geschrieben, was diese Resolution wirklich war: «Deutschland, Schande über dich und deinen BDS-Beschluss!»
Und er schrieb weiter: «Deutschland hat gerade die Gerechtigkeit unter Anklage gestellt, indem berechtigte Schuldgefühle wegen der deutschen Vergangenheit zynisch und manipulativ bis ins Extreme ausgenutzt wurden. Es ist tatsächlich so weit gekommen, dass der Deutsche Bundestag jetzt eine der empörendsten und bizarrsten Resolutionen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verabschiedet hat. Der Bundestag hat die BDS-Bewegung gegen Israel als antisemitisch definiert. Benjamin Netanyahu und Gilad Erdan [ein zur äußersten Rechten gehörender israelischer Politiker] haben gejubelt. Deutschland sollte sich schämen.»
Als hätten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts diesen verzweifelten Schrei eines Juden aus Israel gehört, haben sie klar entschieden: Die Verweigerung öffentlicher Einrichtungen für Veranstaltungen, die mit BDS zu tun haben, ist eine Beschränkung der Meinungsfreiheit und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt: «Das Grundrecht der Meinungsfreiheit unterliegt den Grenzen der allgemeinen Gesetze (Art.5 Abs.2 des Grundgesetzes).»
Damit haben die Münchner Kläger, die gegen einen Stadtratsbeschluss bis in die letzte Instanz gegangen sind, nicht nur einen großen Sieg für die Meinungs- und Informationsfreiheit, sondern auch für die Demokratie errungen. Denn die Meinungsfreiheit ist der Kern der Demokratie. Oder umgekehrt: ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Demokratie.
Das Urteil des BVerwG ist eine furchtbare Niederlage für das Berliner politische Establishment (soweit es an dem Beschluss beteiligt war), denn es hatte einen schändlichen, völlig undemokratischen Beschluss gefasst, an dessen Zustandekommen Israel nahestehende Kreise – das konnte der Spiegel belegen – eine wichtige Rolle gespielt hatten.
Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte dabei an vorderster Stelle mitgewirkt. Auch für ihn ganz persönlich ist das Urteil schlicht eine Katastrophe. Die Resolution des Bundestags hatte ausdrücklich auch die Verweigerung von öffentlichen Räumen für «BDS-verdächtige» Veranstaltungen gebilligt.
Die Bundestagsresolution, die keine Rechtskraft hat, aber von deutschen Behörden dennoch so gehandhabt wurde, hatte sich ganz eindeutig mit der völkerrechtswidrigen und siedlerkolonialistischen Politik Israels identifiziert – zulasten des unterdrückten palästinensischen Volkes, das mit BDS seine Forderung nach Freiheit, d.h. Gleichberechtigung und der Verwirklichung der Menschenrechte zum Ausdruck gebracht hat.
Das Urteil ist indirekt auch eine klare Absage an die Behauptung der Bundestagsresolution, BDS sei «antisemitisch». Denn das höchste deutsche Verwaltungsgericht wird nicht mit einem Urteil dem Antisemitismus Tür und Tor öffnen. Die unsinnige pauschale Behauptung, dass BDS antisemitisch sei, war durch das Völkerrecht und etliche UNO-Resolutionen ohnehin obsolet. Mit dem BVerwG-Urteil ist sie vom Tisch, auch wenn das Gericht dazu gar nicht Stellung genommen hat. Die Palästinenser, die ihre politischen Anliegen und Forderungen in Deutschland nun freier vortragen können, haben mit dem Urteil einen großen Sieg errungen!

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