Über die Arbeitsbedingungen bei der Bahn
Gespräch mit Lars Gronau*
Das Eisenbahnverkehrsunternehmen Abellio, das im Auftrag des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) die Strecken des RE1 und RE11 betrieb, hat pleite gemacht, das machte nicht nur regional Schlagzeilen. Das Verhältnis der Einnahmen und der Ausgaben (Netzentgelt, Abzüge wegen Verspätungen usw.) war offenbar zu ungünstig.
Die SoZ sprach mit dem Lokführer Lars Gronau*, der jahrelang für Abellio gefahren ist. Bei seinem neuen Arbeitgeber sieht es eher noch schlechter aus.
Du hattest 2019 wieder einmal zwei neue Ausbildungen. Jetzt bist du Lokführer, zuerst warst du es im Cargo-Bereich (Güterzüge) und dann in der Personenbeförderung. Letzteres war auch damit verbunden, dass du erneut einen Arbeitsvertrag mit einem anderen Unternehmen eingehen musstest.
Vorher war ich viele Jahre lang Haustechniker in einem großen Unternehmen. Die Ausbildung zum Lokführer begann für mich im Januar 2019 und endete im September 2019 mit dem Erwerb des Triebfahrzeugführerscheins mit einer Abschlussprüfung und einer Zusatzbescheinigung.
Zunächst war ich Lokführer im Güterverkehr. Der Wechsel zum Personenverkehr hängt mit der Pandemie zusammen. Wegen ihr waren dem Unternehmen viele Aufträge weggebrochen – insbesondere aus der Autoindustrie, sicherlich zwei Drittel, vielleicht bis zu 75 Prozent. Vier Wochen fielen dadurch für mich aus, und das bedeutet Beschränkung auf den Grundlohn, Wegfall aller Zulagen – eine empfindliche Einbuße.
Zur Personenbeförderung kam ich erstmal auf Leihbasis, das heißt, ich blieb beim Cargo-Unternehmen angestellt. Ich musste eine zusätzliche Ausbildung absolvieren, weil die Fahrzeuge andere sind, hinzu kam die Streckenkunde wegen der anderen Routen. Unterricht, Training und Tests nahmen etwa sechs Wochen in Anspruch. Bei der Betreiberfirma Abellio hatte ich zu dem Zeitpunkt den Status eines von einem anderen Unternehmen «geliehenen» Beschäftigten. Da es unter verschiedenen Gesichtspunkten sehr unkomfortabel ist, «zwei Herren zu dienen» – z.B. in bezug auf die Festlegung der Dienstzeiten – habe ich dann energisch betrieben, ab dem 1.November 2020 direkt bei Abellio angestellt zu sein.
Abellio hat sich unter ein «Schutzschirmverfahren» gestellt, mit anderen Worten, dem Bahnunternehmen, eine privatwirtschaftliche Tochter der niederländischen staatlichen Eisenbahngesellschaft, droht die Pleite. Es wurde rasch klar, dass im Januar 2022 Schicht im Schacht sein würde. Was sind die Gründe dafür?
Ich kann das nicht genau beurteilen. Abellio hatte sicherlich viel Selbstbewusstsein, die Aufgaben auf den Strecken des RE1 und RE11 bewältigen zu können. Der VRR hatte als Eigentümer die Leistung ausgeschrieben. Die Züge sind alle von Siemens, alle Lokführer mussten für diese Baureihe ausgebildet werden. Die Wartungsfirmen waren auch vorgegeben. Für Ausfälle aber hatte Abellio geradezustehen. Ich weiß nicht, ob dieses Geschäftsmodell tragfähig sein konnte.
Welche Konsequenzen hat die Abellio-Pleite für die Arbeitsplätze?
Auf den ersten Blick keine dramatischen, alle Lokführer werden vom neuen Unternehmen übernommen, wohl auch das übrige Personal. Die Arbeitsplätze bleiben erhalten, zumindest für ein Jahr werden die Vertragsbedingungen 1:1 übernommen.
Danach sind allerdings «Anpassungen» möglich. Jetzt gibt es ein Notvergabeverfahren an andere Unternehmen – Deutsche Bahn, VIAS, National Express. Auch eine Leihfirma, Kugelmeyer, hat sich eingeschaltet und bietet für zwei Jahre die Garantie, die angestammte Strecke zu fahren und die Beschäftigten besser zu bezahlen, einschließlich der Stellung eines Dienstwagens. Danach aber werden die Karten neu gemischt. Ich habe mich dagegen entschieden, teils wegen Mängeln der Selbstdarstellung dieses Unternehmens. Schwerer wiegt aber für mich die Gefahr, nach einer bestimmten Zeit weit entfernt von meinem Wohnort arbeiten zu müssen.
Wie sind für dich die Arbeitsbedingungen als Lokführer zu beurteilen, vor allem auch die Arbeitszeiten, und wie sind die Unterschiede zum Güterverkehr?
Zunächst mal zu den Unterschieden. Einen Güterzug zu fahren ist gewissermaßen die «hohe Schule» des Zugfahrens. Das hängt z.B. mit dem ziemlich komplizierten Bremsmanagement zusammen. Die Strecken sind sehr lang, die Geschwindigkeit ist relativ moderat. So kann auch bei bestimmten Strecken die Landschaft genossen werden, z.B., wenn man rechtsrheinisch fährt.
Beim Personenverkehr ist manches einfacher. Aber die Geschwindigkeiten sind hoch – beim Regionalexpress oft 160 km/h – und die Strecken sind viel kürzer. Entgegen grassierender Legenden wird Pünktlichkeit sehr großgeschrieben. Schon eine Minute Verspätung wird registriert, ab drei Minuten Verspätung gerät der Lokführer unter immensen Rechtfertigungsdruck, obwohl er auf die Gründe in aller Regel keinerlei Einfluss hat. Entweder gibt es technische Probleme oder Fehler bei der Koordination. Übergeordnete Züge haben Vorfahrt, und dann muss man warten.
Die Arbeitszeiten sind hart durch das Schichtsystem. Oft fängt man um 3.30 Uhr oder 5.40 Uhr an und beendet die Arbeit um 14 oder 15 Uhr. Es kommt vor, dass man bis zu 58 Stunden in der Woche arbeitet. Natürlich wird das danach wieder ausgeglichen. Aber ein normales Familienleben oder eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ist bei dem mörderischen Rhythmus kaum vorstellbar. Laut Tarifvertrag ist nur ein zusammenhängendes Wochenende im Monat garantiert.
Du hast oft Schlafstörungen, und du beginnst die negativen Auswirkungen auf deinen Gesundheitszustand zu spüren…
Die Schichten schlauchen mich auf die Dauer ziemlich heftig. Natürlich, eine Woche lang, das steckt man weg. Aber nach einem Jahr merkt man schon, wie das die Gesundheit zerrüttet. Es ist ein mörderischer Rhythmus. Eine bahnärztliche Tauglichkeitsprüfung läuft alle drei Jahre, ab dem Alter von 55 aber jedes Jahr. Man weiß nie, ob man die auch bestehen wird. Ein junger Mensch im Saft seiner Kräfte hält das sicherlich länger durch. Aber ab einem bestimmten Alter – ich gehe auch schon auf die 60 zu – wird das zu einer harten Nummer.
Wenn man drei Tage hintereinander in der zweiten Nachthälfte los muss, erstmal die Lok und den Zug vorbereiten und durchchecken und dann losfahren, um irgendwann am Abend des Tages zu Hause anzukommen, und das drei Tage hintereinander, dann spürt man das massiv. Oft ist dann nur ein Tag frei, und dann geht es wieder am frühen Nachmittag los. In der Pandemie ist das alles nicht einfacher geworden, weil die Kontrolle nicht nur der Bahnkarte, sondern auch des Impfstatus und der Maskenpflicht Aggressionen gegen das Bahnpersonal generiert.
Was würdest du dir wünschen, welche Forderungen findest du wichtig angesichts der sehr belastenden Arbeitsbedingungen, vor allem im Hinblick auf die Arbeitszeit und das Schichtregime? Was hältst du von der Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich?
Ich glaube, die meisten Kollegen würden eher negativ darauf reagieren. Du darfst nicht vergessen, dass ein wichtiger Bestandteil des Einkommens der Lokführer und des fahrenden Personals von den Zulagen kommt. Natürlich, wenn die Arbeitszeit generell bei vollem Lohnausgleich verkürzt würde, dann würden die Zulagen für Überstunden auch früher einsetzen.
Für mich, in meinem Alter, spielt die Zeit mit der Familie, die freie Zeit schon eine entscheidende Rolle. Jüngere denken oft anders darüber und schauen vor allem auf das Geld, das sie herausholen können. Wenn wir z.B. von 14.09 bis 23.20 Uhr eingesetzt sind, was eher eine kurze Schicht ist, dann gibt es ja auch die Zeit für bezahlte und unbezahlte Pausen, und so werden wir faktisch nur für 8 Stunden und 44 Minuten bezahlt.
Ich denke jedenfalls zuerst an eine andere wichtige Verbesserung, vor allem der Lage der älteren Lokführer. Ab einem bestimmten Alter sollten die Beschäftigten mindestens alle zwei, drei Jahre eine Kur bezahlt bekommen, ähnlich einer Rehamaßnahme, um sich zu erholen und wieder in Form zu kommen. Bei unseren Arbeitsbedingungen gibt es auch manches, das tabu ist und nicht zur Sprache gebracht wird, etwa: Es gibt keine Toiletten in den Führerständen… Wenigen ist auch bewusst, dass das extreme elektrische Kraftfeld der E-Loks etwa die Hälfte der Lokführer in jungem Alter im Lauf der Jahre unfruchtbar macht.
Du hast jetzt ein Arbeitsverhältnis mit National Express. Was sind deine ersten Erfahrungen damit?
Arbeits- und Schichtzeiten haben sich geändert, Arbeitsanfang und -ende und Schichtzusammensetzung. Zum Beispiel habe ich jetzt Hin- und Rückfahrten, die schon bei geringer Verspätung zum Überschreiten der zulässigen Fahrtzeiten führen können. Die Kontrolle des Leistungsstands der Beschäftigten ist engmaschiger als bei anderen vergleichbaren Unternehmen. Organisatorische Anfangsschwierigkeiten in den ersten Wochen gibt es natürlich zuhauf. Das Bemühen, diese Probleme zu beheben, ist aber erkennbar.
*Der Klarname ist der Redaktion bekannt.
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