Der Krieg und was dagegen getan werden könnte
Gespräch mit Ariane Dettloff
Ariane Dettloff, 78, ist ein Urgestein der Kölner Friedensbewegung und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK).
Bis heute arbeitet sie als Journalistin, u.a. für die Zeitung Contraste. Sie hat drei Jahre in Japan gelebt und sich dort mit den Folgen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima beschäftigt. Später, Anfang der 80er Jahre, war sie aktiv im Widerstand gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen in Mutlange.
Aktuell läuft ein Prozess gegen sie, weil sie zusammen mit anderen die Startbahn des Fliegerhorsts in Büchel (Eifel) besetzt hat. Das ist der Ort, über den die «nukleare Teilhabe» der Bundesrepublik gesichert wird, dort sind US-Atombomben gelagert, die im Ernstfall von deutschen Piloten abgeworfen werden sollen.
Das Gespräch führte Gerhard Klas.
Wie kam es dazu, dass du dich so viele Jahrzehnte in der Friedensbewegung engagiert hast?
Es gibt viele Gründe. Vielleicht auch mein Erleben als kleines Kind in Leipzig: In den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs habe ich mit meiner Familie während der Bombenangriffe im Keller gesessen. Und da habe ich garantiert die geballte Angst meiner Eltern und der Nachbarn mitbekommen. Inhaliert sozusagen.
In den letzten Jahren hast du dich vor allem gegen die Atombomben in Büchel engagiert. Wie reagieren die Leute dort auf den Ausbruch des Krieges?
Da trauen sich eigentlich nicht so viele Menschen, ihre Gegnerschaft zu den Atomwaffen öffentlich zu bekennen. Denn der Fliegerhorst ist der größte Arbeitgeber in dieser strukturschwachen Gegend. Aber hinter vorgehaltener Hand bedanken sich doch etliche Bewohnerinnen und Bewohner für unsere Aktivitäten an diesem Standort. Sogar der eine oder andere Polizist. Atomraketen sind Magneten. Sie ziehen natürlich gegnerische Angriffe auf sich. Das ist eine große Gefahr, die auch die Menschen in der Eifel spüren.
Seit Ausbruch des Krieges spricht die Ampelregierung von einer «Zeitenwende». Geht sie in die richtige Richtung?
Auf gar keinen Fall. Insbesondere die 100 Milliarden mehr für die Bundeswehr sind gruselig angesichts der Herausforderungen der Klimakatastrophe. Wir von der DFG-VK sind ganz klar pazifistisch orientiert. Waffenlieferungen sind Öl ins Feuer. Sie verlängern und eskalieren den Krieg. Das passiert ja laufend in allen möglichen Kriegsgebieten.
Wenn Waffen keine Lösung sind – was könnte getan werden, um den Krieg zu befrieden und gleichzeitig dem Willen zum Widerstand, der zumindest bei einem Teil der ukrainischen Bevölkerung ausgeprägt ist, gerecht zu werden?
Waffen sind das Gegenteil einer Lösung. Wir plädieren nach wie vor für Gespräche und für Verhandlungen. Die müssen auch eines Tages stattfinden. Anders ist es gar nicht vorstellbar. Nur wie lange dieser Krieg dauert, darauf haben wir keinen Einfluss. Wir können aber einwirken, indem wir die Antikriegsbewegung sowohl in Russland als auch in der Ukraine unterstützen.
Wir helfen natürlich Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus beiden Ländern. Dass Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht mehr aus der Ukraine ausreisen dürfen, verstößt ja auch gegen das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Das gibt es weder in der Ukraine noch in Russland.
Bemerkenswert sind auch Bewohner:innen der Stadt Berdjansk und anderen Städten, die sich ohne Waffen den Panzern entgegengestellt haben. Sie haben die Panzer gestoppt und haben mit den Soldaten gesprochen, die zum Teil gar nicht wussten, in welchen Krieg sie da ziehen. Die Soldaten hatten das lediglich für ein Manöver gehalten. Die sind dann tatsächlich umgekehrt.
Wir in der Friedensbewegung setzen auf soziale Verteidigung, auf passiven Widerstand, auf Sabotage. Das passiert auch in der Ukraine. Da werden zum Beispiel Wegweiser umgedreht oder anders beschriftet, sodass die Panzer in falsche Richtungen fahren.
Passiver Widerstand bedeutet aber auch Nichtkooperation mit den Besatzern. Das hat damals sogar in Norwegen während der Besatzung durch die Nazis gut funktioniert. Der norwegische Regierungschef Quisling, der mit den Nazis kollaborierte, war regelrecht verzweifelt: Die Lehrer weigerten sich, die ideologische Gleichschaltung zu betreiben, einige gingen dafür sogar ins Gefängnis. Es gab Sabotageakte, vor allem an Gleisen und Zügen, mehrere illegale Zeitungen, Demonstrationen, Streiks. Kinos und Theater weigerten sich, Propagandastücke der Nazis zu spielen, usw.
Nazi-Soldaten und ihre norwegischen Sympathisanten wurden von vielen Norwegern gemieden, die eine «Eisfront» aufgebaut hatten: In Bussen oder Straßenbahnen standen sie lieber auf oder wechselten den Platz, als sich neben einen Deutschen oder Nazi zu setzen. Sie boykottierten Geschäfte, die sich im Besitz von Nazis befanden, sie wiesen Deutsche in die falsche Richtung, wenn sie nach dem Weg fragten.
Wie steht es um die Friedensbewegung in Deutschland?
Es gibt uns noch, das galt auch schon für die Zeit vor dem Krieg. Aber wir haben schon einmal bessere Zeiten erlebt. Große Sorgen macht uns, dass in den vergangenen Jahren so viele Abrüstungsverträge gekündigt worden sind und jetzt aktuell überhaupt keine Verhandlungen über Abrüstung mehr stattfinden. In den 80er Jahren war die Friedensbewegung sehr stark. Und das war auch die Zeit der Abrüstungsverträge. Sogar ein Politiker wie Michail Gorbatschow hat öffentlich erklärt, dass die starke Friedensbewegung in Deutschland für ihn eine wichtige Rolle gespielt hat, dem Kalten Krieg den Rücken zu kehren.
Derzeit werden viele Vorwürfe an die alte Friedensbewegung artikuliert, es sei jetzt an der Zeit, dass sie ihre Positionen überdenkt, der Pazifismus sei heute nicht mehr zeitgemäß. Machen dir diese Stimmen Sorgen?
Die Stimmen sind lauter geworden, ohne Zweifel. Aufrüstung und Waffen sollen jetzt friedliche Verhältnisse herstellen, sogar Kriege werden als notwendig betrachtet. Mir macht es große Sorge, dass die Stimmung in der Bevölkerung nach dem Kriegsbeginn so schnell umgeschlagen ist. Das erinnert mich etwas an die Begeisterung zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als der Reichstag auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie für die Kriegskredite stimmte. Auch der Bundestag hat vor einem Monat wieder mit ganz überwältigender Mehrheit für Kriegskredite gestimmt. Deutschland hat zwei Weltkriege angezettelt. Wir sollten keinen dritten Weltkrieg anheizen.
Was erwartest du für die diesjährigen Ostermärsche? Ist möglicherweise eine weitere öffentliche Diskreditierung der Friedensbewegung zu erwarten?
Das könnte geschehen. Wir werden dort zwar vor allem gegen den Aggressor Russland auftreten. Aber wir werden auch auf die Kriegsursachen hinweisen, was ja in den Medien kaum noch geschieht. In der Ukraine herrscht seit acht Jahren Krieg und in der Ukraine gibt es auch sehr starke rechtsextreme Kräfte.
Einer unserer Freunde, ein Kriegsdienstverweigerer und Pazifist, muss sich schon lange in der Ukraine versteckt halten. Er ist mehrfach von Rechtsextremen zusammengeschlagen worden und fürchtet um sein Leben. Er war einst ein glühender ukrainischer Patriot gewesen. Als Journalist war er dann auch im Donbass unterwegs, hat über das Kriegsgeschehen dort berichtet.
Als er die Gräueltaten der rechtsextremen Milizen dort miterlebte, die in die ukrainische Armee integriert sind, rief er dazu auf, den Kriegsdienst in diesem Bruderkrieg zu verweigern. Daraufhin wurde er schärfstens attackiert. Er wurde wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und hat dafür im Gefängnis gesessen. In der Ukraine kann er sich nicht mehr öffentlich äußern. Einige von uns in der DFG-VK stehen in persönlichem Kontakt mit ihm.
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