Neuer Aufbruch oder letzte Reste von Demokratie im Betrieb auf dem Prüfstand?
von Gerhard Klas
Seit dem 1.März wählen Millionen Beschäftigte ihre Betriebsräte. Wie alle vier Jahre. Drei Monate haben sie dafür Zeit. Doch in vielen Betrieben sind sie gar nicht erwünscht, Vorstände, Geschäftsführungen und von ihnen beauftragte Anwaltskanzleien versuchen, die Gründung selbst oder eine tatsächliche Interessenvertretung durch die Gremien zu verhindern.
Sie sind das Rückgrat der Gewerkschaften im Betrieb. In traditionellen Unternehmen der Metall-, Chemie- und Energiebranche sind Betriebsräte häufig anzutreffen, im Dienstleistungsbereich sieht es schon viel schlechter aus, bei Start-ups gibt es so gut wie keine Interessenvertretung.
«Wählen gehen für starke Betriebsräte – Mehr Demokratie im Betrieb!», unter diesem Motto rufen nun auch sozialdemokratische Organisationen zur Teilnahme auf. Denn laut dem gewerkschaftsnahen WSI-Institut hat nur knapp ein Zehntel aller Betriebe auch einen Betriebsrat, in 28000 Betrieben werden 180000 Mandate vergeben. Das sind etwa so viele Mandate wie in der Kommunalpolitik. Dennoch spielen die bevorstehenden Betriebsratswahlen in den Medien kaum eine Rolle.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Betriebsratswahl in der Niederlassung des US-Autokonzerns Tesla in Brandenburg schaffte es im Februar in die großen Medien. Der Konzerneigner Elon Musk ist immerhin als Gegner von Gewerkschaften bekannt. Auch die IG Metall bezeichnete die Wahl deshalb als «positives Zeichen». Aber es werden auch Bedenken formuliert, denn die Wahlen fanden nicht in der turnusmäßigen Periode, sondern bereits am 28.Februar statt. Und durch den vorgezogenen Termin waren die Arbeiter:innen aus der Produktion von der Abstimmung ausgeschlossen, von denen viele nicht einmal eingestellt sind.
Fast ausschließlich Beschäftigte des Managements, die seit mindestens einem halben Jahr bei Tesla angestellt waren, durften ihren Zettel in die Urne werfen. Einen Tag später, am 1.März, hätten wenigstens auch einige der Beschäftigten aus der Produktion mitwählen dürfen. Die IG Metall versprach dem «Management»-Betriebsrat dennoch volle Unterstützung. Man werde allerdings «genau darauf achten», dass sich das Gremium für alle 12000 künftig Beschäftigten einsetzen werde.
Blutbad vor dem Reichstag
Als «Blutbad vor dem Reichstag» ging die Demonstration am 13.Januar 1920 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin in die Geschichte ein. Ab Mittag hatten die Beschäftigten in den meisten Großbetrieben Berlins ihre Arbeit niedergelegt, u.a. bei AEG, Siemens und Daimler.
Vor dem Reichstag versammelten sich schließlich mehr als hunderttausend Arbeiter:innen während einer Verhandlung der Weimarer Nationalversammlung zum Betriebsrätegesetz. Sie forderten statt lediglich einer Mitwirkung das «volle Kontrollrecht über die Betriebsführung» durch Arbeiter, Angestellte und Beamte in sämtlichen Privat- und Staatsbetrieben. Die Demonstration wurde mit Maschinengewehren niedergeschossen, es gab mehrere Dutzend Tote. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) verhängte am nächsten Tag den Ausnahmezustand, zahlreiche Mitglieder der Arbeiterparteien USPD und KPD wurden festgenommen, mehr als vierzig Zeitungen verboten.
Heute kann ein Betriebsrat mitreden, wenn es um Arbeitszeiten, Einstellungen, Kündigungen, Gesundheitsschutz und Bezahlung geht. Unbestreitbar ist also die Bedeutung eines Betriebsrats für Beschäftigte. Aber vielen Vorständen und Geschäftsführungen geht das schon zu weit. Häufig wird z.B. in Start-ups, in denen sich Chef und Beschäftigte duzen, schon die Einleitung einer Wahl zum Betriebsrat als Misstrauensvotum empfunden. Dabei ist die Interessenvertretung durch einen Betriebsrat ein verbrieftes Recht der Beschäftigten.
Die Methoden der Betriebsratsbekämpfung sind vielseitig: Sie reichen von einer kompletten Verhinderung von Wahlen durch Einschüchterung und Kündigungen von engagierten Beschäftigten bereits im Vorfeld, über die Spaltung existierender Gremien bis hin zum Mobbing von aktiven Betriebsräten.
Seit einigen Jahren gibt es Rechtsanwaltskanzleien, die sich auf das sog. «Union Busting» oder «Betriebsratsmobbing» spezialisiert haben. Schreiner & Partner etwa ist bundesweit dafür bekannt, Unternehmer zu beraten, die engagierte Beschäftigte und Betriebsratsgremien als Problem betrachten. Die Rechtsanwaltskanzlei bietet Seminare an mit dem Titel: «In Zukunft ohne Betriebsrat: Wege zur Vermeidung, Auflösung und Neuwahl des Betriebsrats», oder: «Die Kündigung ‹störender› Arbeitnehmer. So gestalten Sie kreativ Kündigungsgründe».
Andere Geschäftsführungen stellen neue Personalleiter:innen, häufig ebenfalls Jurist:innen, ein, um den Betrieb von unliebsamen Beschäftigten zu säubern. Dazu gehören nicht nur private Unternehmen, sondern es gibt auch öffentliche Unternehmen, die mit Steuergeldern solche Unrechtsanwälte finanzieren.
Ohrfeigen für Beschäftigte
Häufig treten Arbeitgeberanwälte regelrechte Prozesslawinen gegen Beschäftigte und den Betriebsrat los. Die Klagen haben zwar fast nie Aussicht auf Erfolg, führen aber zu Belastung und Stress bei den Angeklagten, manchmal sogar zu depressiven Erkrankungen.
Im Aktionsfeld der Umwelt- und Menschenrechte und gegen kritische Journalist:innen kommt es ebenfalls dazu, dort hat dieses Vorgehen bereits einen eigenen Namen: SLAPP. Das heißt auf Englisch «Ohrfeige» und steht für Strategic lawsuit against public participation (Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung). Sie greifen immer mehr um sich – so etwa auch beim Widerstand gegen den Bau des Lobautunnels in Wien, mit der Absicht, politische Beteiligung der Zivilgesellschaft im Keim zu ersticken.
Mehrere Organisationen machen sich für eine europäische Gesetzesinitiative stark, die dieses Vorgehen unter Strafe stellt, wie es bereits in den USA der Fall ist. Auch auf betrieblicher Ebene sind diese SLAPPs seit Jahren Praxis, Gewerkschaften sind aber bisher nicht an dieser Initiative beteiligt, zu der die EU-Kommission Anfang 2021 eine Expertengruppe eingerichtet hat.
Fest steht: Bossing und Union Busting gefährden die individuelle Gesundheit, die Menschenrechte und die Demokratie. Es ist wichtig, dieses Vorgehen von Geschäftsführungen in der Öffentlichkeit anzuprangern.
Ein kleiner Etappensieg konnte durch die Öffentlichkeitsarbeit der vergangen Jahre erzielt werden: Nach §119 Betriebsverfassungsgesetz ist die Behinderung von Betriebsräten bisher ein Antragsdelikt, das mit Gefängnis geahndet werden kann – aber sie wurde nur verfolgt, wenn Betriebsräte oder Gewerkschaften Anzeige erstatteten.
Laut Ampelkoalitionsvertrag soll sich das nun ändern: «Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein», steht dort geschrieben. Das heißt: Dann müssen die Staatsanwaltschaften gegen Arbeitgeber ermitteln, sobald ihnen z.B. ein Fall der Vereitelung oder Manipulation von Betriebsratswahlen, der Behinderung der Gremienarbeit oder der Bevor- oder Benachteiligung von BR-Mitgliedern aufgrund ihrer Funktion bekannt wird.
Die Wirksamkeit dieses Gesetzesvorhabens wird natürlich stark von der personellen und finanziellen Ausstattung der Institutionen abhängen, die mit der Erfassung und Verfolgung dieser Offizialdelikte befasst sind.
Zentral ist aber nicht die juristische Auseinandersetzung, sondern die Gegenwehr im Betrieb. Und zwar nicht nur im Rahmen der Gremienarbeit eines Betriebsrats. Es geht auch darum, die Belegschaft jenseits der Betriebsratsarbeit mitzunehmen und zu organisieren, etwa in Form von Betriebsgruppen und gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpern.
Dass sich die betriebliche Organisierung lohnt, dafür gibt es auch aktuelle Beispiele: Die Wikus-GmbH, Europas größter Produzent von Metallsägen für Anwender aus der Stahlbranche mit mehr als 500 Beschäftigten, war sechzig Jahre lang ohne Betriebsrat und ohne Tarifvertrag. Die Geschäftsführer hatten sogar die berüchtigte Anwaltskanzlei Schreiner & Partner angeheuert. Genützt hat es ihr nichts: Nach einer Massenkündigung 2020 und anschließenden Stellenausschreibungen gründete sich ein Vertrauenskörper der IG Metall, wenige Monate später folgte die außerturnusmäßige Betriebsratswahl.
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