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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2022

Covid 19, Patente und der Kapitalismus
von Anne Jung

Anne Jung ist Referentin für globale Gesundheit bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international. Die Politikwissenschaftlerin leitet dort die Öffentlichkeitsabteilung.

Warum halten Länder wie Deutschland auch angesichts Millionen Toter weltweit weiter an dem Patentsystem fest und versuchen nicht alles, um die Pandemie einzudämmen?

Zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie ist klar: Der Schutz der wirtschaftlichen Interessen wird dem Recht auf Gesundheit übergeordnet. Um den Kapitalismus unangetastet zu lassen, wird die Verlängerung der Pandemie mit Millionen Toten in Kauf genommen.
Die Hoffnung, unter der rot-grünen Bundesregierung würde sich hieran etwas ändern, hat sich sehr schnell zerschlagen. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat nach Gesprächen mit der Pharmaindustrie seine Meinung geändert und lehnt die Freigabe ab. Habecks Position ist innerhalb der Partei zwar umstritten – viele Abgeordnete nehmen eine andere Position ein –, aber nach einem klaren Bekenntnis des Bundeskanzlers und sogar des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für Patente ist hier wenig Bewegung zu erwarten.
Es ist unübersehbar: In der Pandemie zeigen sich die systemischen Rahmenbedingungen des globalen politischen Arrangements neoliberaler Globalisierung. Dies zeigte sich auch beim EU-Afrika-Gipfel Anfang 2022. Jetzt sei die Zeit der «Heilung» zwischen den beiden Kontinenten, unterstrich Kommissionschefin Ursula von der Leyen und klammerte einen Atemzug später die Aussetzung von Patenten explizit von dem Heilungsprozess aus. Südafrikas Präsident Matamela Cyril Ramaphosa entgegnete: «Was uns aus der Pandemie herausführen wird, sollte als öffentliches Gut betrachtet werden. Wir wollen keine Brosamen von irgendjemandes Tisch erhalten. Wir wollen nicht nur auffüllen und fertig.»
Ramaphosa bezieht sich hier auf die von Biontech errichteten Container, mit deren Hilfe bis zu 50 Millionen Impfdosen pro Jahr in Afrika hergestellt werden sollen. Die Container werden als schlüsselfertige Reinräume in Deutschland zertifiziert und sollen zunächst von Beschäftigten des Unternehmens betrieben werden. Die Technologie für die Produktion des mRNA-Impfstoffs bleibt fest in den Händen von Biontech, die afrikanischen Regierungen haben keine Gestaltungsmacht.
Globale Impfgerechtigkeit ist der Schlüssel zur Überwindung der Krise. Wenn dies nicht gelingt, kann dies zur Verdoppelung der Sterblichkeitsrate führen. Die deutsche Bundesregierung und ihre europäischen Nachbarländer schmeißen lieber Millionen Impfdosen auf den Müll, weil ein Export in den Verträgen mit den großen Pharmafirmen untersagt ist.
Die Industrienationen liefern die Gesundheit dem Markt aus. Dies ist seit Jahrzehnten Teil neoliberaler Ökonomie und Politik, in der die Versorgung des öffentlichen Gesundheitswesens abgebaut, im Sinne privatwirtschaftlicher Profitlogiken umgebaut und die Vorsorge in die Verantwortung der Einzelnen gelegt wurde.

Black lives matter
Proteste gegen diese marktwirtschaftlichen Prinzipien in der globalen Gesundheitspolitik gab es schon vor der Pandemie, sie sind – hierzulande oft kaum zur Kenntnis genommen – in Zeiten globaler Krisen stärker geworden und gut vernetzt. Unter dem Motto «Black Lives Matter» demonstrieren zum Beispiel Aktivist:innen der C-19 People’s Coalition in Südafrika gegenüber der Weltgemeinschaft für einen Strategiewechsel in der Gesundheitspolitik. Gemeinsam mit sozialen Bewegungen aus aller Welt fordern sie globale Impfgerechtigkeit und eine Begrenzung der Macht der Pharmaindustrie im öffentlichen Interesse.
Die fehlende Bereitschaft zu epidemiologisch rationalem Handeln seitens der dominanten Regierungen hat die Pandemie in eine katastrophale menschliche Krise verwandelt. Drei Milliarden Impfdosen fehlen aufgrund künstlicher Verknappung der Produktion.
Der globale Süden sei gar nicht in der Lage, den Impfstoff herzustellen, verteidigen die großen Pharmafirmen ihr Geschäftsprinzip. Das ist falsch. Die Fabriken müssen nicht erst gebaut werden. Die Vorstellung ist rassistisch, nur die westliche Welt hätte die technische Expertise, diese Produkte herzustellen. Mehr als 100 zertifizierte Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika könnten binnen weniger Monate loslegen mit der Produktion – wenn man sie ließe.
Das multiple Krisengeschehen raubt der Welt den Atem: die Pandemie, die Klimakrise, die daraus gesteigerte grassierende soziale Ungleichheit. Und nun noch der Krieg in der Ukraine, der massenhaften Tod und die Verschlechterung der globalen Versorgungslage mit Getreide und Energie mit sich bringen wird.
Ohne globalen Blick und eine an den Grundbedürfnissen der Menschen orientierte Politik lässt sich keine Krise der Welt beenden. Von der Realisierung dieses Politikverständnisses hängt das Überleben aller ab.

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