Endlich begreifen: Russland ist imperialistisch
von Thies Gleiss
Schon wieder eine weltweite Krise und wieder weiß die Partei Die LINKE nicht, wie sie ihren eigenen programmatischen Inhalten gemäß reagieren muss. «Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen», dieses Zitat des 1914 ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurès wird seit Gründung der Partei auf nahezu jedem Parteievent ausgerufen.
Jetzt findet ein furchtbarer Vorbote eines neuen kapitalistischen Weltkriegs statt – vom Ursprung der Waffen und der beteiligten Söldner her, ist es bereits ein solcher Weltenbrand – und Die LINKE zerlegt sich in viele hilflose Erklärungsversuche. Nichts stellt die «Systemfrage» härter als der Krieg, und vor nichts scheut der Mainstream der LINKEN mehr zurück.
Immerhin hat der Krieg in der Ukraine bei der gesamten Partei einen soliden humanitären Reflex ausgelöst, der erträglicher ist als der geostrategische Zynismus, der zum Krieg in Syrien, in Libyen oder auch bei den Massendemonstrationen und Unruhen in Nicaragua oder Kasachstan von wesentlichen Teilen der LINKEN vor- und ausgetragen wurde.
Nein zum Krieg, die Waffen nieder, Solidarität mit Geflüchteten und Desertierenden, keine weiteren Waffen in das Kriegsgebiet, keine weitere Aufrüstung der NATO-Staaten, Verhandeln statt Schießen – das sind überwiegend die politischen Grundlagen der LINKEN. Auch die physische Beteiligung der LINKE-Mitglieder an den großen Kundgebungen gegen den Krieg ist erfreulich hoch. Sogar von denen, die sich sonst in parlamentarischen Gremien verkrümeln.
Die Mehrheit der LINKEN begnügt sich mit dieser humanitären Minimalpolitik, aber die reicht für eine sozialistische Positionsfindung nicht aus. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in der Scheu, die reale Entstehungsgeschichte des Krieges kapitalismuskritisch zu analysieren.
Bei vielen weiteren LINKE-Mitgliedern werden als Vorgeschichte des Krieges die Einkreisungspolitik der NATO-Staaten gegenüber Russland und die zahlreichen gebrochenen diplomatischen Zusagen angeführt. Diese Auflistung der NATO-Untaten ist gerecht bei den Fakten, aber sie erklärt nicht das kriegerische Tun der Putin-Regierung. Bei vielen Analysen aus den Reihen der LINKEN ist schon das mengenmäßige Verhältnis zwischen moralischer Empörung über die Kriegsverbrechen Russlands und der Kritik an der Kriegstreiberei der NATO so ungleich, dass die NATO-Kritik hart an der Grenze zur Rechtfertigung für das Handeln Putins gerät, oft diese Grenze sogar überschreitet.
Es gibt zu viele LINKE, die selbst jetzt nicht davon abrücken, das Russland Putins als eine irgendwie fortschrittliche Einrichtung anzusehen, die verteidigt werden muss. Hier wird der Überfall auf die Ukraine offen gerechtfertigt.
Leider blenden die meisten LINKEN die wesentliche Vorgeschichte des Ukrainekriegs aus, weil sie nicht in das bisherige Weltbild passt:
Die letzten gut dreißig Jahre haben in Russland (wie auch in China) einen Systemwechsel von einer bürokratischen Zwangsverwaltungswirtschaft in einen im Kampf um den Weltmarkt hart mitringenden imperialistischen Global Player geschaffen. Auch dieser Player hat nicht nur defensive Interessen, sondern will und muss am stetigen Kampf der kapitalistischen Weltmächte um die Neuordnung der Welt teilnehmen.
Es geht um Märkte, Ressourcen und Einflusszonen – wie zu Zeiten Lenins und des Ersten Weltkriegs. Die Kampagnen gegen das neue böse Russland und die aktuelle schreckliche Russophobie in den «westlichen Ländern» passen genau in dieses Bild. Die Antwort der Linken kann nur so sein wie schon 1915 und 1916: Internationale Solidarität statt gegenseitiges Abschlachten.
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