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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2022

Eine Neuausgabe von C.L.R. James’ Buch über die haitianische Revolution
von Elfriede Müller

C.L.R. James: Die schwarzen Jakobiner. Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution. Mit einem Vorwort von Raoul Peck. Berlin: Dietz, 2021. 363 S., 20 Euro

Die schwarzen Jakobiner von C.L.R. James ist eine der prägnantesten Kritiken des europäischen Imperialismus. Das Buch entstand Ende der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in der Periode der größten kapitalistischen Depression, als die Reaktion in Europa wütete. Es war lange vergriffen und erscheint nun in einer überarbeiteten Ausgabe.

Die beschriebene haitianische Revolution war für James ein Sklav:innenaufstand, ein antikolonialer und ein race war, der drei Kontinente verändert hatte. Der Autor, selbst ein Kolonisierter aus Trinidad, bricht mit der herrschenden Meinung, die Abschaffung der Sklaverei sei durch das Engagement der Abolitionisten in den USA und England erfolgt.
Bahnbrechend bleibt das Buch in der Beschreibung der materiellen Bedingungen von Kolonisierten und Kolonisierern. James machte die Bedeutung der Sklaverei für ihre Profiteure in den Metropolen deutlich und zeigte, dass, während in Frankreich über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit diskutiert wurde, die Sklav:innen sich diese selbst erobert haben. Haiti wurde 1804 die erste schwarze Republik außerhalb Afrikas und nach den USA die zweite postkoloniale Gesellschaft der Moderne. Die Sklav:innen Haitis hatten die britische, spanische und französische Armee besiegt.
Häufig als archaisches Überbleibsel der alten Welt angesehen, wurde das Sklavensystem ausschließlich für den modernen Weltmarkt neu definiert. Etwa 10 Millionen Afrikaner:innen wurden in die Karibik verschleppt, um von wenigen Weißen kommandiert und regiert zu werden. Sie lieferten ihren Körper und oft auch ihren Geist, um einen bisher ungekannten Reichtum zu schaffen.
Die schwarzen Jakobiner sind eine Weiterentwicklung des marxistischen Denkens, wenn das moderne Proletariat von der Fabrik auf die Plantage versetzt und die Quelle ihres revolutionären Antriebs außerhalb Europas verortet wird. Während der klassische Marxismus nicht aufhörte, über die Rückständigkeit Russlands zu dozieren, wies James auf die Modernität von Saint Domingue hin. Die Sklav:innen agierten als befänden sie sich in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts.
Vor James hatten sich wenig Marxist:innen für die Quellen des Reichtums aus der Neuen Welt interessiert, sondern eher den Opferstatus der Kolonisierten thematisiert. James warnte davor, Imperialismus nur vom Rassismus aus zu denken. Er verstand die Gründe für die revolutionäre Erhebung und damit einhergehenden Veränderungen als Klassenkampf, zwischenzeitlich vom Widerspruch zwischen race und Hautfarbe überdeterminiert.
Die schwarzen Jakobiner war für viele Südafrikaner:innen Untergrundlektüre und Schulungsmaterial des African National Congress in seinem Befreiungskampf gegen die Apartheid. So hatte es auch C.L.R. James verstanden: «Ich arbeitete an der Anwendung marxistischer und leninistischer Ideen für die afrikanische Revolution und dafür habe ich Die schwarzen Jakobiner verfasst, bisher die einzige erfolgreiche Revolution von Menschen afrikanischer Abstammung, die die Welt je gesehen hat.» James machte deutlich, dass die kommende afrikanische Revolution einen eigenen Weg gehen muss und keine Kopie vergangener Revolutionen sein könne.
Als schwarzer Revolutionär im Westen wurde James Leninist. Er stand in Verbindung mit der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien und den USA und interessierte sich parallel für den Panafrikanismus. Die schwarzen Jakobiner sind eine Synthese dieser beiden Befreiungstraditionen.
Es ist eine großartige Idee, das Werk neu herauszugeben. 1938 war die Erstausgabe erschienen, 25 Jahre später wurde der Band mit einem aktualisierten Nachwort des Autors wieder aufgelegt, das die Dekolonisierung Afrikas ins Verhältnis zur haitianischen Revolution setzt. Bedauerlicherweise wurde dieses Nachwort in der neuen Ausgabe nicht veröffentlicht. Die vielen Vor- und Nachworte wirken etwas besorgt, ob James noch den Ton der Zeit treffen kann.
Aber genau das tut er: Denn Die schwarzen Jakobiner ist ein Plädoyer für die Verbindung von Klassen- und Anerkennungskämpfen. Diese Verbindung ist ein Gebot der Stunde und notwendiger denn je.

Zu C.L.R. James siehe auch SoZ 6/2021. https://www.sozonline.de/2021/06/c-l-r-james/

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