Bundeshaushalt 2022: Sondervermögen ‹Bundeswehr›
von Jürgen Wagner*
Von einer «Zeitenwende» sprach Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung zum Ukrainekrieg am 27.Februar 2022. In der Tat übersteigt das, was er darin angekündigt und mit der Haushaltsplanung bis 2026 umgesetzt hat, alles, was bis kürzlich auch nur ansatzweise für möglich gehalten worden wäre. Der russische Angriff auf die Ukraine ebnet so auch den Weg für eine beispiellose Militarisierung Deutschlands, die eine Reihe von Bereichen betrifft, besonders aber die Rüstungsausgaben.
Angesichts der aktuellen Eskalation ist häufig und bewusst der Eindruck erweckt worden, die Bundeswehr sei in den letzten Jahren systematisch kaputtgespart worden; dem muss entschieden entgegengetreten werden. Seit der Eskalation um das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine ist das Budget der Bundeswehr von 32,5 Mrd. Euro (2014) auf 46,9 Mrd. (2021) steil angestiegen – und das sind nur die offiziellen Zahlen, hinter denen sich noch einmal etliche Milliarden versteckte Militärausgaben verbergen.
Wenn die Truppe nun etwa in Person von Heeresinspekteur Alfons Mais argumentiert, sie stehe «blank» da, so ist das nicht auf eine mangelnde Finanzierung, sondern auf chronisch verschwenderische Strukturen zurückzuführen. Noch 2014 kritisierte die damalige Staatssekretärin für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, Katrin Suder: «Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant – und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.»
Der offizielle Bericht über das Rüstungswesen hat die Aufgabe, Defizite im Beschaffungswesen offenzulegen. Im ersten dieser Berichte aus dem Jahr 2015 hieß es, die untersuchten Rüstungsgroßprojekte wiesen eine durchschnittliche Verspätung von 51 Monaten auf und lägen insgesamt 12,9 Mrd. Euro über dem ursprünglich geplanten Preis. Trotz aller Beteuerungen mehrerer folgender Verteidigungsminister:innen ist es offenbar nicht gelungen, hier eine «Verbesserung» (sofern eine effizientere Beschaffung von Waffen als solche bezeichnet werden kann) zu erreichen.
Im nunmehr 14.Bericht zu Rüstungsangelegenheiten vom Dezember 2021 ist nachzulesen: «Aktuell beträgt die Verzögerung im Mittel 52 Monate gegenüber der ersten parlamentarischen Befassung und neun Monate gegenüber den aktuellen Verträgen. Die Veranschlagung der betrachteten Projekte im Haushalt 2021/24 … liegt rund 13,8 Mrd. Euro über der Veranschlagung zu Projektbeginn.»
Wünsche werden wahr
Noch Anfang Februar 2022 klaffte zwischen dem, was das Finanzministerium im Finanzplan bis 2026 für die Bundeswehr vorgesehen hatte und dem, was das Verteidigungsministerium zu benötigen meinte, um die NATO-Fähigkeitsziele umsetzen zu können, eine gewaltige Lücke – rund 38 Mrd. Euro, um genau zu sein. Während für 2022 noch einmal eine deutliche Erhöhung auf 50,33 Mrd. Euro vorgesehen ist, gingen anschließend die Vorstellungen von Finanz- und Verteidigungsministerium ganz erheblich auseinander, wie die Oldenburger Zeitung am 12.Februar 2022 berichtete:
«Danach benötigt die Bundeswehr im Jahr 2023 statt der vom Finanzministerium bislang in der mittelfristigen Planung vorgesehenen 47,3 Milliarden Euro 53,7 Milliarden Euro. Dieses Delta wächst jährlich: 2024 werden statt 47,1 Milliarden Euro 55,4 gebraucht, 2025 57,2 statt 46,7 Milliarden. Und 2026 beträgt der Bedarf statt 46,7 stolze 59,1 Milliarden Euro. Der Fehlbetrag summiert sich insgesamt auf 37,6 Milliarden Euro … In einer ersten Reaktion hatte das Finanzministerium die Forderungen zurückgewiesen.»
In seiner Regierungserklärung vom 27.Februar 2022 kündigte Kanzler Olaf Scholz eine Reihe von Maßnahmen an. Besonders drastisch sind die Aussagen zu den künftigen Militärausgaben – vor allem die Einrichtung eines einmaligen «Sondervermögens» sowie dauerhaft deutlich höhere Militärausgaben.
Die Bundeswehr selbst rechnet vor, zur Erreichung der NATO-Planziele würden ihr in den Jahren 2022 bis 2026 rund 38 Mrd. Euro fehlen. Jetzt aber soll sie deutlich mehr erhalten: «Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren», so Scholz in seiner Regierungserklärung. Der Bundeswehrverband bestätigt, dass diese Gelder zu dem bereits ausgelobten Sondervermögen hinzukommen: «Bundesvermögen werden außerhalb des Bundeshaushalts bewirtschaftet – für die Bundeswehr heißt das, dass die nun angekündigten 100 Milliarden Euro nicht mit dem Verteidigungsetat für das laufende Jahr verrechnet werden, sondern tatsächlich ‹on top› kommen.»
Grenzenloses Wachstum?
Laut Statista belief sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 auf 3570 Mrd. Euro. Wäre die Scholzsche Formel schon auf dieses angewandt worden, hätte der Militärhaushalt statt der tatsächlich eingestellten 46,9 Mrd. Euro mindestens 71,4 Mrd. Euro betragen müssen. Unklar ist gegenwärtig noch, ob die Erhöhungen bereits 2022 oder erst 2023 bzw. 2024 umgesetzt werden. Klar ist aber, dass mit einem sprunghaften Anstieg der Ausgaben zu rechnen sein wird, der sich durch die Kopplung ans Bruttoinlandsprodukt bei fortgesetztem Wirtschaftswachstum auch verstetigen wird.
Am 16.März beschloss das Kabinett dann den Haushalt 2022 und die Planungen bis 2026. Demzufolge soll es in diesem Jahr beim offiziellen geplanten Militärhaushalt von 50,33 Mrd. Euro bleiben, in den Folgejahren bis 2026 soll er bei 50,1 Mrd. Euro eingefroren werden. Die sich hieraus ergebende Lücke zu den ausgelobten 2 Prozent des BIP soll über den von Scholz in seiner Regierungserklärung schon angekündigten Sonderfonds geschlossen werden: «Wir werden dafür ein Sondervermögen ‹Bundeswehr› einrichten … Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.»
Cui bono?
Vor allem deutsche Panzerbauer wittern ein riesiges Geschäft und waren schnell dabei, ihre Angebotslisten zu präsentieren. Schon Ende Februar war im Handelsblatt (28.2.) zu lesen: «Der Rheinmetall-Konzern hat der Bundesregierung am Montag eine umfassende Lieferung von Rüstungsgütern angeboten. Das Paket umfasse unter anderem Munition, Hubschrauber sowie Ketten- und Radpanzer, sagte Vorstandschef Armin Papperger. Das gesamte Volumen summiert sich seinen Angaben zufolge auf 42 Milliarden Euro.»
Das wollten die panzerbauenden Kollegen von Krauss Maffei Wegmann wohl nicht auf sich sitzen lassen und reichten ihrerseits Angebote beim Verteidigungsministerium ein: «Wir haben auf Anfrage des Verteidigungsministeriums eine Liste mit möglichen Projekten im Volumen von bis zu 20 Milliarden Euro eingereicht. Unser Vorschlag umfasst den Puma, die Aufrüstung des Leopard?II, das Artillerie-System RCH 155 sowie ein System im Kampf gegen Schützenradfahrzeuge auf Basis des Boxer mit dem Turm aus dem bestehenden Puma-Angebot.» (Merkur, 13.3.)
Wieviel ist genug?
Mehr als fraglich ist, ob die Bundeswehrstrukturen derartige Gelder überhaupt «sinnvoll» verarbeiten können – das wird durchaus auch von Befürworter:innen höherer Ausgaben bezweifelt. Zudem hat die NATO als ganzes ihre Militärausgaben in den letzten Jahren bereits deutlich erhöht: nach eigenen Angaben von 895 Mrd. Dollar (2015) auf 1106 Mrd. (2020) an. Demgegenüber sanken die russischen Ausgaben laut SIPRI von 85 Mrd. Dollar (2015) auf 61,7 Mrd. Dollar (2020).
Die NATO-Militärausgaben sind heute also bereits rund 18mal höher als die Russlands. Augenscheinlich haben die militärischen Ausgabensteigerungen bislang in keiner Weise zu mehr Sicherheit geführt. Im Gegenteil, diese Ausgaben und die mit ihr zusammenhänge Politik sind sicher auch ein Teil des Problems und nicht der Lösung.
*Der Autor ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung, Tübingen (IMI).