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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2022

Öl-, Gas- und Stromverbrauch lassen sich schnell verringern
von Klaus Meier

Die Ampelregierung und ganz besonders die Grünen starteten vor wenigen Monaten mit dem Versprechen eines schnellen ökologischen Umbaus. Darunter ein Ausstieg aus der Kohle bis 2030. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine trat die Wirklichkeit hinter dem schönen Schein hervor:

Bereits stillgelegte Kohlekraftwerke sollen nun wieder in Betrieb genommen werden. Mit ausdrücklicher Zustimmung der Grünen. Leider zeigte sich auch die Klimabewegung auf die neue Lage wenig vorbereitet. Die ökologische Linke sollte daher schnell Konzepte entwickeln, wie man kurzfristig aus Öl, Gas und Kohle aussteigen kann.

In 2021 stammte über ein Drittel des deutschen Öls aus Russland. Bei einem Wegfall der Lieferungen ließe sich vermutlich relativ schnell Ölersatz auf dem Weltmarkt finden, aber die Ölpreise würden vermutlich noch einmal drastisch steigen. Doch es gibt zahlreiche Möglichkeiten, den Ölverbrauch schnell und deutlich zu reduzieren. Greenpeace hat als eine Option ein Tempolimit auf Straßen und Autobahnen in die Diskussion gebracht. Auch sollte jeder zweite Sonntag autofrei sein. Die geschätzte Öleinsparung läge nach Angaben der Umweltorganisation zwischen 10 und 15 Prozent.
Doch es ginge noch deutlich mehr. So könnte man mit einer sofortigen Einführung des Nulltarifs im ÖPNV eine große Zahl von Autonutzer:innen dazu bringen, ihre Karossen zu Hause stehen zu lassen. Das gilt umso mehr angesichts der hohen Spritpreise. Die Mehrkosten lägen bei nur 17 Milliarden Euro pro Jahr.
Eine weitere Maßnahme könnte sein, dass große und kleine Gemeinden verpflichtet werden, kurzfristig vom Autoverkehr sicher abgetrennte Radwege einzurichten. Dabei könnte man auf die positiven Erfahrungen mit Pop-up-Radwegen in der Corona-Zeit zurückgreifen. So sank auf der viel befahrenen Berliner Kantstraße nach der Einführung eines Pop-Up-Radwegs der Kfz-Verkehr um 22 Prozent. Im Gegenzug verdreifachte sich der Radverkehr: von 1500 auf mehr als 5100 Fahrräder pro Tag.
Weiter könnte man größere Industriebetriebe oder auch ganze Gewerbegebiete dazu verpflichten, Shuttle-Busse einzurichten, um Beschäftigte aus Vororten abzuholen. Tatsächlich gibt es dafür schon Beispiele. So das Unternehmen Ebm-Pabst mit Sitz in Mulfingen in der Region Heilbronn, in dem rund 3800 Personen beschäftigt sind. Jeden Morgen holen Werksbusse Beschäftigte ab und bringen sie nach Feierabend wieder zurück. Auch die Shuttle-Busse sollten für die Nutzer:innen kostenfrei sein.
Dringend reduziert werden muss auch der Einkaufsverkehr. Die großen Lebensmittelketten haben sich insbesondere aus Dörfern, aber auch aus Stadtteilen zurückgezogen und setzen ganz auf zentralisierte, mit dem Auto erreichbare Einkaufsmärkte. Würde man Lidl, Edeka, Aldi und Rewe dazu zwingen, einen definierten Anteil kleiner Läden in Stadtteilen und Dörfern einzurichten, die auch fußläufig erreichbar sind, ließe sich kurzfristig eine weitere Mineralöleinsparung erreichen.
Alle Maßnahmen zusammen haben das Potenzial, den Autoverkehr um bis zu 50 Prozent zu reduzieren.

Statt Erdgas wieder mehr Kohle verbrennen?
Den Erdgasverbrauch reduzieren dürfte schwieriger sein. Es kann zwar kurzfristig eine gewisse Menge Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Aber nach einer Rechnung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel würde im nächsten Winter eine Lücke von rund 20 Prozent des Gasverbrauchs auftreten. Die Ampelkoalition will dann vor allem Gas in den Kraftwerken zur Stromerzeugung einsparen. Gaskraftwerke können schnell hoch- und runter gefahren werden, womit sich die natürlichen Schwankungen der Wind- und Sonnenenergie ausgleichen lassen.
Wirtschaftsminister Habeck will dagegen Gas einsparen, indem bereits stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen werden. Darunter auch besonders schmutzige Braunkohlekraftwerke. Das wäre aber ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die sich im Rheinland oder in der Lausitz gegen die Zerstörung ihrer Dörfer durch Kohlebagger wehren. Habeck beruhigt zwar, dass er den Kohleausstieg weiterhin für 2030 anvisiere. Aber einmal wieder hochgefahren, dürfte es politisch schwer sein, die Kohlekraftwerke wieder abzuschalten.
Was könnte die Alternative zum Wiederanschalten der Kohlekraftwerke sein? Die beste Alternative wäre sicher der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien. Insbesondere Windenergie steht an vielen Wintertagen umfangreich zur Verfügung. Aber ein kurzfristiger Ausbau binnen Jahresfrist dürfte sehr schwer fallen, denn er wird durch extrem lange Planungs- und Genehmigungszyklen behindert. Die Windkraftgegner in der Merkel-Regierung, aber auch in den Landesregierungen von Bayern und NRW, haben hier ganze Arbeit geleistet.

Der Beitrag der Industrie: die Chemie
Es bleibt der Industriesektor, der die größten Mengen an Gas und Strom verbraucht. Ganz vorneweg die Chemieindustrie, die fast 10 Prozent des gesamten in Deutschland eingesetzten Gases nutzt. Sie setzt einen kleineren Teil als Rohstoff für Chemikalien ein. Der größere Teil wird als Brennstoff in Kraftwerken verwendet, um Strom und Dampf für chemische Prozesse zu erzeugen. Doch die chemische Industrie verbraucht nicht nur Gas, sondern auch riesige Mengen Erdöl und Strom. Wie groß wären nun die volkswirtschaftlichen Schäden, wenn diese Branche auf einen Teil ihres Gases und auch Rohöl verzichten müsste?
Für eine ehrliche Bewertung muss man einen Blick auf die hergestellten Chemieprodukte werfen. Das ist nicht ganz einfach, weil die Produktpalette extrem vielfältig ist. Aber es fällt schon auf, dass die Chemieindustrie im letzten Jahrzehnt immer 18–20 Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt hat. Wenn man diese Menge mit der Menge des eingesetzten Öls und des Gases vergleicht, wird deutlich, wofür der größte Teil der energetischen und stofflichen fossilen Stoffe genutzt wird: für die Herstellung von Plastik. Der Energieverbrauch der erzeugten Pharmazeutika oder der Gifte für den sog. Pflanzenschutz bewegt sich vergleichsweise eher im homöopathischen Bereich.
Wird Kunststoff aber nicht dringend benötigt? Erhellend sind die Einsatzgebiete: Über 70 Prozent des Plastiks geht in die drei Bereiche Verpackungen, Automobilproduktion und Bauwirtschaft. Mit Verpackungen sollten wir deutlich sparsamer sein, vor allem mit Kunststoffen. Auch sollten alle Kunststoffflaschen, sei es für Shampoo, Wasch- und Reinigungsmittel oder Getränke, in genormten Pfandbehältern in Umlauf gebracht werden. Und im Bausektor sollte eher auf Holzbau und Holzfachwerk gesetzt werden, statt alle Fugen billig mit Kunststoffen zu verfüllen.
Ökologisch denkende Architekten präsentieren schon seit langem Gegenentwürfe. Und Autos werden sowieso zuviele produziert. Für einen Großteil des Gas- und Öleinsatzes in der Chemiebranche gibt es real keine gesellschaftliche Dringlichkeit.

Papier, Glas, Stahl…
Erhebliche Einsparpotenziale von Gas und Strom gibt es auch bei anderen industriellen Großverbrauchern. Die Papierbranche, die für einen hohen Energiebedarf steht und dabei viel Gas einsetzt, vermeldet seit Jahren eine steigende Produktion von Papier, Karton und Pappe für Verpackungen. Dieser Bereich macht mittlerweile fast 60 Prozent der Gesamtmenge aus, Tendenz steigend. Eine wesentliche Ursache ist die dramatische Zunahme des Online-Handels. Eine gesellschaftliche Notwendigkeit für die vorrangige energetische Versorgung von Amazon, Otto oder Zalando gibt es aber nicht.
Auch die Glasbranche gehört zu den großen Energieverbrauchern, die neben Strom auch viel Erdgas eingesetzt. Allerdings muss auch hier die Sinnhaftigkeit hinterfragt werden. Rund 30 Prozent der Produktion ist Flachglas und geht in die Autoindustrie. Weitere 60 Prozent der Produktion besteht aus sog. Behälterglas. Das meiste davon sind Einwegprodukte, z.B. Marmeladengläser oder Weinflaschen. Sie werden mit hohem Energieaufwand gefertigt, einmal eingesetzt und landen danach im Altglascontainer. Die Alternative kann nur eine allgemein Pfandpflicht sein, bei gleichzeitiger Normierung aller Behälter.
Als letztes ist die Metallproduktion zu erwähnen, also Stahl und Nichteisenmetalle. Insbesondere die Stahlproduktion verbraucht sehr viel Energie. Ihre Produkte gehen zu über 60 Prozent in die Bauindustrie und die Automobilproduktion. Würde die Bauindustrie statt auf klimaschädlichen Stahlbeton auf mehr Holzbau setzen, und würde es eine Abkehr vom Autoindividualverkehr hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln geben, würde der Energieverbrauch im Stahlsektor schnell sinken.
Die Betrachtung zeigt, dass es viele gesellschaftliche Sektoren gibt, wo für ökologisch schädliche Strukturen viel fossile Energie verbraucht wird. Die Klimabewegung sollte sie aufzeigen und gegen die Wiederinbetriebnahme bereits stillgelegter Kohlekraftwerke kämpfen.

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