‹Gibt es gute Flüchtlinge und schlechte Migranten?›
von Norbert Kollenda
So titelte die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Während die Grenze zur Ukraine nun offen steht, schottet sich Polen an der Grenze zu Belarus weiter ab. Aber selbst bei der Aufnahme der ukrainischen Kriegsflüchtlinge verkündet die polnische Regierung zwar Unterstützung, überlässt sie aber ganz der Zivilgesellschaft.
Der Anlass des polnischen Artikels war der Auftritt des Chefs der Territorialarmee, der der Öffentlichkeit zwei Fotos zeigte. Auf dem einen waren zwei ältere (weiße) Damen zu sehen, die sich umarmten und voller Dankbarkeit einen Soldaten ansahen. Auf dem anderen waren einige junge, dunkelhäutige Männer zu sehen. Der eine hielt einen Gegenstand in den erhobenen Armen, beide sahen recht grimmig aus. Nach dem Motto: Ja, so sind sie eben.
Schließlich hatten schon im Herbst die Minister für Inneres und Verteidigung der Öffentlichkeit Fotos und Videos vorgestellt, die sie angeblich von den Handys der Migrant:innen hatten. Mit altem Material aus fragwürdigen Quellen wurde so Stimmung gemacht.
Und so stehen auch jetzt «Nationalisten» an der Grenze zur Ukraine, um «ihre Frauen» vor diesen Männern zu schützen. Schließlich gehören sie nicht aufgenommen, auch wenn diese Inder, Marokkaner usw. behaupten, in der Ukraine studiert zu haben.
Dann hat schließlich der hochverehrte Pater Rydzyk, Direktor des PiS-nahen Medienimperiums Radio Maryja, darauf hingewiesen und gewarnt, vorsichtig zu sein: Die Fluchtrouten der Ukrainer könnten auch von anderen genutzt werden, für die eine Flucht nicht vorgesehen sei. Rydzyk hat eindeutig davon gesprochen, dass Deutschland Flüchtige auf diese Route umleiten könnte.
Durch den kriegerischen Überfall auf die Ukraine erwachte in Polen die Solidarität mit den Nachbarn. Es handelte sich nicht um entfernte Völker, die Ukraine war auch einem eigenen potenziellen Feind Polens – Russland – ausgesetzt. Dieses Argument war für die PiS wichtig. Es hat aber auch einen realen Bezug zu der Wirklichkeit in Polen.
Schließlich haben Ukrainer:innen viele ihrer eigenen Leute ersetzt, die in den Westen ausgereist waren. Und so wie sich ihre Landsleute vor dem EU-Beitritt in Westeuropa auf einer «Arbeitsbörse» verdingten, arbeiten ukrainische Frauen in Polen als Hausangestellte und Männer als Bauhelfer. Sie sind da, ein fester Bestandteil des Alltags.
Durch den aktuellen Konflikt muss sich die polnische Regierung nicht mehr mit all den internen Problemen auseinandersetzen. Der nun gemeinsame Feind Putin und die Lage Polens als Transitland führt zum Bedeutungsgewinn des in der EU abgehängten Polen in Person ihrer Führer – allen voran Parteichef Kaczy?ski, mit Staatspräsident Duda und Ministerpräsident Morawiecki. Sie hoffen, dass die Sanktionen gegen Polen aufgehoben werden. Wenn das Geld wieder fließt, kann die PiS das an ihre treuen Gutsverwalter austeilen.
Erst Kriminalisierung, nun Alleinlassen von Helfer:innen
An der Grenze zu Belarus wurde eine «Sicherheitszone» eingerichtet, die bis Juni bestehen bleiben soll. Dann soll die Mauer fertig sein. Sie soll die Hilfe für Geflüchtete von polnischer Seite und den Blick der Medien verhindern. Unsere und andere europäische Regierungen sind nicht viel anders. Sie zeigen es nur nicht so, zumal Migrant:innen aus dem globalen Süden in den Fluten verschwinden und nicht hungernd, frierend und krank vor der geschlossenen Grenze sitzen.
Die Helfer:innen und die vielen Bewohner:innen in der Grenzregion zu Belarus werden wie Staatsfeinde behandelt. Sie halten untereinander Kontakt, um sich gegenseitig zu informieren, wo und welche Form von Hilfe notwendig ist. Sie erhalten Unterstützung von den NGOs, obwohl diesen von der PiS-Regierung Mittel gestrichen wurden und sie finanziell am Limit sind.
Das gilt übrigens auch für die Situation an der ukrainischen Grenze: Selbst zwei Wochen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind es immer noch die freiwilligen Helfer:innen mit Unterstützung der NGOs, die die ganze Hilfe für die Kriegsflüchtlinge stemmen – keine staatlichen Kräfte. Aus ganz Polen kommen die Menschen angereist. Ich kenne ein Ehepaar, das Brötchen und Brote schmiert und dann die fast 400 Kilometer an die Grenze fährt, weil es weiß, dass die Frauen und Kinder dort hungernd angestanden haben.
Die Politik hat es noch nicht geschafft, etwas in die Wege zu leiten. Abgesehen von einem Gesetz, das ukrainischen Staatsangehörigen ein Bleiberecht für 18 Monate erteilt, ebenso das Recht zu arbeiten und auf medizinische Versorgung. Aber an den Brennpunkten, an denen die Ukrainer:innen ankommen, lassen sich Politiker höchstens einmal zu einem Fototermin sehen.
Fachleute machen darauf aufmerksam, dass es keinen Sprint, sondern einen Marathon braucht, um die jetzt anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Es wäre schrecklich, wenn diese Hilfsbereitschaft durch die Tatenlosigkeit der Regierung in Frust umschlägt und sich irgendwann möglicherweise gegen die Kriegsflüchtlinge richtet. Vielleicht ist das auch das Kalkül der polnischen Regierung.
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