Klimabewegung richtet sich neu aus und könnte den Krieg als Steilvorlage nutzen
von Mark Kortjan*
Am Wochenende vom 25. bis 27.2. fand die Aktionskonferenz der Klimagerechtigkeitsbewegung (AKKON!) statt. Dort sprach man über Pläne, Strategien und Kampagnen für die kommenden Monate. Zeitgleich zur Online-Konferenz überschlugen sich die Ereignisse in der Ukraine. Der Krieg dient jedoch auch als Steilvorlage für die Klimabewegung.
Bereits bevor es zur Eskalation in der Ukraine kam, hatte sich abgezeichnet, dass ein wichtiger Schwerpunkt kommender Kampagnen und Aktionen der Klimabewegung dem fossilen Energieträger Gas gelten werden. Lützerath ist nach wie vor ein wichtiger Schauplatz der Auseinandersetzung um die Braunkohle und soll dies auch bleiben. Allerdings bestand auch der Wunsch, der verbreiteten Erzählung von Gas als Brückentechnologie etwas entgegenzusetzen und zu verhindern, dass Gas als Energieträger unter einem grünen Mantel auf Jahre hinweg festgeschrieben wird.
Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg, der schnelle Aufbau von Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven, wird diesen Wunsch noch einmal verstärken. Das jetzt beschleunigte Vorhaben wurde mit der Unabhängigkeit von russischem Gas begründet.
Die Ende-Gelände-Sprecherin Elia Nejem schreibt hierzu in einer Presseerklärung: «Dieselbe Politik und dieselben Konzerne, die uns in die Abhängigkeit von russischem Gas getrieben haben, wollen uns nun weismachen, dass fossiles Gas aus Qatar die bessere Antwort ist. Auch Frackinggas aus den USA oder Argentinien bedeuten Vertreibung, Tod und Zerstörung. Wir werden gegen diese Fortsetzung kolonialer Gewalt Widerstand leisten und den sofortigen Gasausstieg möglich machen.»
IPCC-Bericht erfährt kaum Aufmerksamkeit
Der Krieg in der Ukraine hatte auch zur Folge, dass der aktuelle Bericht des Weltklimarats in der medialen Aufmerksamkeit zu einer Randnotiz wurde. Dieser wurde am 28.2.?veröffentlicht. Wieder einmal betonten die Wissenschaftler:innen des IPCC, dass die Risiken der Klimakrise weitreichender und zerstörerischer sind als noch beim letzten Bericht angenommen.
Ebenfalls warnte man davor, dass das Zeitfenster für die notwendigen Reduktionen und Anpassungen sich immer weiter schließt. Diese Metapher verdeutlicht zwar die Dringlichkeit, hat aber auch eine eurozentrische Note. Denn für viele Menschen auf diesem Planeten ist die Klimakatastrophe längst Alltag.
Die Kombination aus IPCC-Bericht und dem Krieg in der Ukraine sind eine Steilvorlage für die Klimabewegung, um die massive Beschleunigung des Ausstiegs aus den fossilen Energien zu fordern. Einerseits würde dadurch verhindert werden, dass weiterhin die Kriegskasse des Putin-Regimes gefüllt wird, andererseits würde es dazu beitragen, Konflikten entgegenzuwirken, die sich in Zukunft durch die Klimakrise verschärfen oder durch diese entstehen werden.
Kurzfristig kann die Verminderung der Abhängigkeit von Russland durch eine schnelle Reduktion des Verbrauchs erreicht werden. Forderungen nach Sofortmaßnahmen, wie ein Tempolimit auf Autobahnen, die durch den Krieg weiter an Zustimmung in der Bevölkerung gewonnen haben, sind erste zaghafte Schritte in die richtige Richtung.
Weil jedoch schwer abzusehen war, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine haben würde, wurden die bereits bestehenden Pläne der verschiedenen Teilnehmer:innen der AKKON! vorgestellt und werden aktuell vermutlich an die neuen Gegebenheiten angepasst.
Darüber hinaus kam es zu einer kurzzeitigen Übernahme der AKKON! durch BIPoC-Klima-Aktivist:innen (Black, Indigenous and People of Colour), die ein Statement verlasen. Die Kritik an neokolonialen Verhältnissen, die durch die Klimakrise verstärkt werden, hat neben der antikapitalistischen Komponente eine stärkere Gewichtung in der Bewegung bekommen. Die Aktivist:innen stellten mit ihrer Intervention die Forderung nach mehr Sichtbarkeit in der Bewegung und der kritischen Reflexion von Verhalten und Strukturen, die einen Ausschluss aus der nach wie vor sehr weißen Klimabewegung befördern.
Welche Aktionsformen sollen es sein?
Ein weiterer Schwerpunkt betraf die Wahl der Mittel. Seit einiger Zeit wird in der Bewegung verstärkt über eine Erweiterung des Aktions-Repertoires gesprochen. Der dafür verwendete Arbeitstitel ist ZU+. ZU+ meint, dass Aktionen, die als Massenmobilisierungen zivilen Ungehorsams angekündigt werden, um eine Prise Sabotage erweitert werden. In der Geschichte der Klimagerechtigkeitsbewegung spielte Sabotage wiederholt eine Rolle.
Neu ist allerdings, dass sich fast alle Akteur:innen der Bewegung dafür aussprechen. Dieser Konsens besteht allerdings auch, weil die Vorstellung, um was es sich bei dem «+» handelt, nicht weiter konkretisiert wurde. Trotzdem zeigt die Debatte, dass der Umgang mit unterschiedlichen Aktionsformen gelassener wird und keine vorschnellen Abwehrreflexe hervorruft. Der Rahmen des Möglichen wird ausgeweitet und der Rückhalt für Aktionsformen, die auch Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum bzw. fossiler Infrastruktur beinhalten, wird gestärkt.
Einen Schritt weiter gingen auch die Aktivist:innen vom «Aufstand der letzten Generation» mit der Aktionsform Autobahnblockade. Die Gruppe hat jetzt allerdings angekündigt, aufgrund des Krieges in der Ukraine für einige Wochen zu pausieren. Zuvor hatten sie bereits ihre Aktionsorte auf Häfen und Flughäfen ausgeweitet. Ziel aller Aktionen ist es, den geregelten Ablauf des Status quo zu stören. Bemerkenswert an den Blockaden war vor allem der gebündelte Hass, der den Aktivist:innen sowohl am Aktionsort selbst, als auch in den Social-Media-Kanälen entgegenschlug.
Innerhalb der Bewegung wurde die Ausrichtung der Aktionsform kritisch diskutiert. Es wird z.B. in Frage gestellt, ob die Aktion und das erklärte Ziel, ein Gesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln, gut zusammenpassen und ob es überhaupt sinnvoll ist, die eigenen Forderungen so stark auf Politiker:innen auszurichten.
Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass es einer recht überschaubaren Gruppe gelungen ist, soviel Aufmerksamkeit zu erzielen und mit sehr einfachen Mitteln effektiv zu stören. Auch hier wird sichtbar, dass Aktivist:innen, die bei FFF und XR (Extinction Rebellion) ihre ersten politischen Schritte gemacht haben, bereit sind, an der Eskalationsschraube zu drehen.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird sich auch weiterhin in die aktuellen Debatten einbringen. Besonders spannend sind die Diskussionen über einen Zusammenschluss zwischen Klimabewegung und einer neuen Friedensbewegung, die sich sowohl gegen den Krieg als auch die eskalierende Klimakrise richten soll. Hierfür sind erste Demos, Streiks und Aktionen von Akteur:innen wie FFF und Ende Gelände in Kooperation mit «Rheinmetall entwaffnen» geplant.
*Der Autor ist aktiv in der Klimagerechtigkeitsbewegung.
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