Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2022

Grüner Minister will Klimakrise mit Frackinggas befeuern
von Wolfgang Pomrehn

Werden wir in Zukunft bei den Gaslieferungen von den USA abhängig statt von Russland? Das ist keine gute Idee. Und es ginge anders.

Schon vor Russlands Angriff auf die Ukraine waren die Gaslieferungen aus den Lagerstätten in der sibirischen Arktis und insbesondere die Direktleitungen am Grunde der Ostsee, Nord Stream 1 und 2, hoch umstritten. Zum ersten lehnen Umwelt- und Klimaschützer die neuen Gaspipelines aus gutem Grund wegen der mit ihnen verbundenen Emissionen von Treibhausgasen ab. Zum zweiten fordern die baltischen Staaten, Polen und die USA mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen, Deutschland bezieht hingegen bisher nicht nur rund die Hälfte seines Erdgasbedarfs aus Russland, sondern auch in etwa ein Drittel seines Rohöls und schließlich den größeren Teil der importierten Steinkohle.
Und zum dritten sind da noch US-amerikanische Energiekonzerne, die gerne ihr in Übersee verflüssigtes Frackinggas in Deutschland verkaufen würden. Olaf Scholz hatte bereits in seiner Zeit als Wirtschaftsminister der US-Seite den Bau sog. LNG-Terminals angeboten, die das Flüssiggas anlanden könnten. Auch der neue grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck engagierte sich bereits vor fünf Jahren dafür – entgegen der Beschlusslage in seinem heimatlichen Landesverband in Schleswig-Holstein. Als Kieler Umweltminister hatte er Plänen für ein Terminal an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel an der Unterelbe zugestimmt.
In Deutschland fehlen derartige Anlagen bisher und jene der Nachbarländer – EU-Staaten haben 26 derartiger Terminals – sind weit davon entfernt, Deutschland mitversorgen zu können. Sei es, weil die jeweiligen Kapazitäten nicht reichen, sei es, weil Engpässe im Pipelinenetz die Weiterleitung ausreichender Mengen nach Mitteleuropa unmöglich machen. Besonders auf der iberischen Halbinsel gibt es ungenutzte Terminalkapazitäten, doch sind die Verbindungen zum französischen Pipelinenetz zu klein, um diese für die anderen EU-Staaten zugänglich zu machen.

Explosive Nachbarschaft
Also sollen nun auch in Deutschland Terminals her. Neben Brunsbüttel werden bereits seit einigen Jahren auch Anlagen in den niedersächsischen Küstenstädten Wilhelmshaven und Stade diskutiert und planerisch vorbereitet. Allerdings sind diese nicht gerade populär. An den Standorten haben sich Bürgerinitiativen formiert, und erst im August 2021 hatte es am vorgesehenen Bauplatz an der Unterelbe in Brunsbüttel ein Klimacamp, Sitzblockaden und Aktionen mit Kajaks auf dem dort mündenden Nord-Ostsee-Kanal gegeben.
Anfang des Jahres hatte sich schließlich die niederländische Vopak LNG Holding aus dem Projekt zurückgezogen, eventuell, weil die lokalen Behörden wenig Neigung zeigen, Ausnahmen vom Bebauungsplan für das Industriegebiet zuzulassen, in dem das LNG-Terminal entstehen soll.
Die Anlage soll nämlich in einer ziemlich bedenklichen Nachbarschaft angesiedelt werden. Da gibt es z.B. eine Sondermüllverbrennungsanlage. Dann wäre da noch ein stillgelegtes, noch nicht demontiertes AKW mit all seinen verstrahlten Innereien, sowie ein angeschlossenes Zwischenlager für hoch radioaktive, und ein weiteres Lager für mittel- und schwachradioaktive Abfälle. Letzteres hat vor acht bis zehn Jahren mehrfach Schlagzeilen gemacht, weil dort der Strahlenmüll in reichlich angerosteten Fässern aufbewahrt wird.
Abgerundet wird die illustre Nachbarschaft des geplanten LNG-Terminals von einem «Chemie-Park», das heißt einer Ansammlung von Betrieben der chemischen Industrie, in denen unter anderem Chlor und Düngemittel hergestellt werden. Da wundert es eigentlich nicht, dass die Stadt Brunsbüttel meint, bereits genug Gefahrenpotenzial an einem Ort versammelt zu haben. An der Elbe hat man offenbar wenig Verlangen, das von Jonas Jonasson in Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand für Wladiwostok imaginierte Schicksal zu erleiden.
Doch nun, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, nach dem damit verbundenen dramatischen Stimmungsumschwung in Deutschland, nach der Ankündigung der Außenministerin Annalena Baerbock, Russland ruinieren zu wollen, scheinen alle politischen Blockaden aus dem Weg geräumt: Nun wollen die Bundesregierung und nicht zuletzt der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister den Bau schnell vorantreiben.
Habeck hatte bereits im Januar, bevor die russische Armee den ersten Schuss abfeuerte, kräftig Werbung für die neuen Anlagen gemacht. Anfang März erneuerte er sein Drängen unter anderem in einer gemeinsamen Erklärung mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU). Energieunabhängigkeit von Russland heißt die Parole, und da sich nicht nur in Brunsbüttel die privaten Interessenten zurückgezogen haben, wird wohl der Steuerzahler einige Milliarden Euro aufbringen müssen.

Wasserstoff aus der Ukraine?
Vollkommen unklar ist, ob als Lieferant jemand anderes als die USA mit ihrem Frackinggas in Frage kommt, wenn es nicht doch wieder Russland sein soll. Derzeit kommt etwa ein Viertel des in der EU angelandeten Flüssiggases aus Russland, die anderen großen Anbieter auf dem Weltmarkt orientieren sich eher nach Ostasien. Dort sind die besten Preise zu erzielen, und dort ist schon jetzt die Nachfrage nach LNG mit Abstand am größten.
Der im März veröffentlichte LNG-Ausblick des Energiemultis Shell geht davon aus, dass die Nachfrage in Ostasien weiter steigt und schon Mitte des laufenden Jahrzehnts eine erhebliche Lücke zwischen Angebot und Nachfrage klaffen wird. Weiter steigende Preise scheinen also ziemlich sicher – ein weiterer Grund, der gegen die Flüssiggasterminals spricht.
In SoZ 3/2022 hatten wir ausführlich geschildert, weshalb Erdgasnutzung aus Sicht des Klimaschutzes keine gute Idee ist. Gegenüber dem konventionellen Erdgas ist Frackinggas allerdings noch einmal schlimmer, weil bei der Förderung größere Mengen des Treibhausgases Methan entweichen.
Insgesamt ist die Bilanz von Frackinggas so schlecht, dass es nicht besser abschneidet als Kohle – zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Energy Watch Group um den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell herum, der seinerzeit einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes war.
Die Krönung der Klimaschädlichkeit ist allerdings die energieaufwändige Verflüssigung zu LNG, bei der weitere Emissionen entstehen. Das Gas muss für den Transport stark herunter gekühlt werden und wird dann auf Spezialtanker geladen. Da es sich auf der Überfahrt langsam erwärmt, muss ein Teil unterwegs in die Atmosphäre abgelassen werden, damit der Druck nicht zu sehr steigt. Erwärmung bedeutet nämlich, dass sich das Flüssiggas ausdehnt.

Think small
Nun werden die geplanten Investitionen in Erdgasinfrastruktur – sei es ein neues Heizkraftwerk in Berlin oder die LNG-Terminals an der Nordseeküste – in den letzten Jahren meist schön, das heißt grün geredet, in dem eine künftige Nutzung für Wasserstoff versprochen wird. Doch das ist vorerst nicht viel mehr als ein PR-Gag.
Zwar hat Wasserstoff ein großes Potenzial, wenn es darum geht, die Treibhausgasemissionen auf Null runterzufahren. Er kann Koks in der Stahlindustrie und Erdgas in der chemischen Industrie ersetzen. Entsprechend hat schon die alte Bundesregierung angefangen, eine Wasserstoffstrategie zu erarbeiten; und schon ist die Rede davon – auch bei den Grünen –, Wasserstoff von weither zu importieren. Im Bundestagswahlkampf wurde sogar die Vorstellung ventiliert, den Wasserstoff aus der Ukraine zu importieren.
Allerdings hat die Ukraine zwar Kohle- und Atomkraftwerke, aber sehr wenig erneuerbare Energieträger. Der dort mit Elektrolyse gewonnene Strom wäre also bis auf weiteres alles andere als grün, und ob die dortigen Gaspipelines überhaupt Wasserstoff transportieren können, ist unklar. Dafür müssen die inneren Oberflächen der Rohre dichter sein als für Erdgas. Alles in allem erscheinen die großtechnischen Blütenträume von im großem Maßstab importiertem Wasserstoff nicht viel realistischer als jenes Wüstenstromprojekt Desertec, um das in den Nullerjahren viel Wind gemacht wurde.
Derart gigantomanische Visionen scheinen die unvermeidliche Begleiterscheinung einer von großen Konzernen beherrschten Wirtschaft. Diese mögen es nämlich nicht kleinteilig, sondern können nur in Großprojekten denken. Entsprechend lieben sie große Windparks auf See und haben zuletzt auch an Land kleine Genossenschaften und lokale Projekte von den Landesregierungen per Ausschreibeverfahren aus dem Ring kicken lassen.
Für die Wasserstoffwirtschaft würden sich jedoch kleinteilige Lösungen technisch in besonderer Weise anbieten. Bei der elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff mit überschüssigem Wind- oder Solarstrom wird Wärmeenergie frei, die sich nur in kleineren Anlagen sinnvoll nutzen und z.B. in Nah- und Fernwärmenetze einspeisen lässt. Und Wärmeenergie wird ohnehin in großem Umfang gebraucht, wenn man aus dem fossilen Erdgas aussteigen will. Von Stadtwerken betrieben, könnte lokale Wasserstoff- und Wärmeerzeugung zudem die Wertschöpfung vor Ort ermöglichen, wäre also ein Beitrag zur Stärkung der Kommunen.

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