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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2022

Für den Schutz von Frauen muss noch viel geschehen
von Friederike Schneider*

Im Zentrum der Sozialen Arbeit stehen zumeist Menschen, die gesellschaftlich benachteiligt sind. Konsequenterweise ist es für sie ohnehin schwieriger bis unmöglich, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.

Politiker:innen sprechen sich gern für die Unterstützung benachteiligter Gruppen aus, doch nicht selten fehlt die direkte Umsetzung in der politischen Arbeit.
Ähnlich ist es in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen. Durch die Pandemie ist dieses Thema plötzlich sehr präsent in der Öffentlichkeit. Doch in den Hilfestrukturen ist nichts einfacher oder unkomplizierter für die Betroffenen geworden.
Nehmen wir das Beispiel der Beantragung von Geldern beim Jobcenter. Nach wie vor werden meist ohne Ausnahme Unterlagen gefordert, die eben nicht alle bei der Flucht aus der Gewaltsituation eingepackt werden konnten. Selbst wenn die Frau vorher bereits Geld vom Jobcenter bezog und dementsprechend alles schon einmal durchgerechnet wurde, wird meist die Neubeschaffung der Unterlagen gefordert. Die logische Schlussfolgerung, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin Anspruch auf Leistungen hat, wird nicht gezogen. Das führt teilweise zu mehreren Wochen bis manchmal Monaten, in denen die Frau und ihre Kinder nur vom Kindergeld leben.
Zudem nimmt oft das Umgangsrecht des Vaters mit den Kindern einen höheren Stellenwert ein als der Schutz der Frauen und Kinder vor der Gewalt. Und das, obwohl sich die ­Istanbulkonvention ganz klar für einen Vorrang des Gewaltschutzes vor allen anderen Rechtsbereichen ausspricht und diese nun schon seit zehn Jahren auch in Deutschland bindenden Charakter hat.
Als Sozialarbeiterin im Frauenhaus muss man dadurch immer wieder Kriseninterventionen leisten, bei denen die Solidarität mit den Frauen im Mittelpunkt steht. Einer Frau Ungerechtigkeiten erklären zu müssen und Unterstützung auch außerhalb der Einrichtung zu organisieren ist häufig eine frustrierende Arbeit. Es fehlt, je nach lokalen Gegebenheiten, mehr oder weniger an Sozialstrukturen. Weil Verweisungsmöglichkeiten oft knapp sind, sollen wir weit über den eigentlichen Fachbereich hinaus Expert:innen sein, etwa für Ausländerrecht, Schuldnerberatung, familienrechtliche Angelegenheiten, Erziehungsberatung, Fachberatung für Mietrecht.

Die Multiprofessionalität wird nicht anerkannt
Monetär findet diese Multiprofessionalität keine Anerkennung. Im Tarifvertrag des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE) ist die Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen, obwohl sie häufig an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, nicht einmal als Arbeit mit besonders schwierigem Klientel anerkannt. Die Arbeit mit z.B. psychisch erkrankten Menschen hingegen schon.
Meines Erachtens wird die Eingruppierung dieser Arbeit nicht immer korrekt vorgenommen. Doch selbst wenn, steht die Entlohnung in keinem Verhältnis zu der auch persönlich herausfordernden Arbeit. Die Kunst, eine gute Beziehung zu den Klientinnen herzustellen und unterstützende Interventionen anzubieten, ist unter Pandemiebedingungen mit den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen noch schwerer zu leisten. Nur wenn die Nähe zur Klientin besteht, können Maßnahmen verstanden werden und Interventionen greifen.
Die Geschichten aus dem Frauenhaus hallen meist im privaten Alltag nach, weshalb es wichtig ist, sich von diesen im Privaten nicht überrollen zu lassen und dafür Mechanismen zu finden. Zur Professionalität gehört auch, die eigene Geschichte und die eigenen Vorstellungen von einem «guten» Leben zu kennen und diese von den Erwartungen und den Erfahrungen der Frauen trennen zu können. In der vom Arbeitgeber organisierten Supervision haben persönliche Themen der Mitarbeiterinnen oft nicht genug Raum, da es meist eher um Fallsupervision geht. Die persönliche Auseinandersetzung, sei es durch Einzelsupervision oder therapeutische Unterstützung, muss dann privat organisiert werden.
Um Frauen zum Reflektieren zu bringen und eigene Muster zu erkennen, ist eine intensive Arbeit im psychosozialen Beratungsprozess notwendig. Doch solche Weiterbildungen oder die Aneignung von Fachwissen, etwa zu Traumamechanismen, finden ebenfalls keine finanzielle Anerkennung.

Streik!?
Um Druck auf die Arbeitgeberverbände auszuüben, rufen Gewerkschaften zu Arbeitsstreiks auf. Doch wen trifft es und wen setzt es im Bereich der Frauenhausarbeit tatsächlich unter Druck? Das ist stark von der Finanzierung des Frauenhauses abhängig. Bei einer Fallfinanzierung können an dem Streiktag keine Stunden abgerechnet werden und das könnte den Arbeitgeber bzw. Träger der Einrichtung unter Druck setzen.
Im Fall meiner Arbeit ist es anders. Unsere Einrichtung erhält eine knappe, aber fallunabhängige Festfinanzierung im Quartal, unabhängig von der Belegung und den geleisteten Beratungsstunden. Unsere Abwesenheit durch einen Streik trifft zuallererst die Klientinnen. Der Arbeitgeber spart sich das Gehalt für diesen Tag, und in der Öffentlichkeit sind wir nur ein paar weitere Sozialarbeiter:innen, die gerade streiken.
Die Frauenhausarbeit ist ein besonders sensibler Bereich. Um nicht Opfer von Angriffen der Täternetzwerke zu werden, und angesichts der zunehmenden Frauenfeindlichkeit und des Frauenhasses, gerade auch im digitalen Raum, ist immer wieder abzuwägen zwischen der Schaffung von Aufmerksamkeit für die Themen der häuslichen Gewalt und dem Schutz der Menschen, die in der Einrichtung leben und arbeiten. Zum Teil leben bei uns Frauen aus sehr gut vernetzten Familienstrukturen. Wenn wir als Sozialarbeiterinnen immer wieder in der Öffentlichkeit sind, können die Frauen und Kinder auch über uns gefunden werden.
Frauenrechte als Menschenrechte zu sehen und dafür einzustehen findet bis heute keine Unterstützung von politischer Seite. Wir wollen mehr als Lippenbekenntnisse. Einrichtungen wie Frauenhäuser und Beratungsstellen müssen langfristig finanziell abgesichert sein, statt im Projektstatus zu verharren. Wechsel in der Beratungsarbeit durch befristete Verträge bedeuten auch für die Klientinnen immer wieder Beziehungsabbrüche und Destabilisierung, wo eigentlich Verlässlichkeit und Kontinuität wichtig wären.
Frauenhausarbeit ist ein rein weibliches Arbeitsfeld. Beschäftigungsverhältnisse sind zumeist vom Arbeitgeber nur in Teilzeit angelegt. Altersarmut ist damit derzeit vorprogrammiert. Auch mit der Arbeit in Teilzeit muss es möglich sein, später in der Rente nicht in prekäre Lebensverhältnisse zu rutschen.
Beachten sollte man auch den gesamtgesellschaftlichen monetären Schaden, der entsteht, wenn Frauen durch Gewalt aus ihrem Leben gerissen werden. Je besser sie unterstützt werden, ihren Weg in ein eigenständiges Leben zu finden, desto mehr kann der gesamtgesellschaftliche wirtschaftliche Schaden verringert werden. Um einen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben, ist es notwendig, Angebote wie Frauenhäuser und Beratungsstellen personell, finanziell und arbeitszeitlich großzügig auszustatten.

*Die Autorin arbeitet in einem Frauenhaus und ist aktiv bei Ver.di.

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