Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2022

Ralf König, einer, der sich nicht verbiegen lässt
Interview mit Ralf König

Du bist über viele Jahre hinweg mit deinem Schaffen gegen die Diskriminierung der Schwulen und Lesben aufgetreten. Man könnte meinen, es sei bis heute vieles besser geworden. In einem deiner früheren Comics lässt du einen CSU-Mann schimpfen, Homosexualität sei gegen Gott und Natur. Derselbe CSU-Typ würde heute einem Flüchtling seine Schwulenfeindlichkeit vorhalten.

Ralf König: Ja, es gibt heute beide Strömungen. Die offizielle politische Korrektheit, die sicherlich oft vorgeschoben ist, wie bei diesem CSU-Typen. Wenn eine so erzkonservative Partei wie die CSU heutzutage Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit verurteilt, auch um keine Wähler:innenstimmen zu verlieren, dann ist da wohl einiges eher vorgeschoben. Aber keineswegs immer, würde ich sagen. Es gibt ja auch unter den Mitgliedern dieser Parteien Schwule, die dazu stehen und sich dafür einsetzen, dass Homosexualität nicht geringgeschätzt wird.
Es war bahnbrechend, dass Wowereit von der SPD sich seinerzeit geoutet hatte («Ich bin schwul, und das ist gut so»). Andere, wie Westerwelle von der FDP, hatten auch noch lange gezögert. Heutzutage ist das in der Politik kein Aufreger mehr. Wäre ja schön, wenn es ehrlich gemeint ist und in dieser Frage fortschrittlichere Positionen Einzug gehalten haben. Ich weiß allerdings nicht, wie brüchig das ist. Es gibt ja auch viel Gegenwind, zum Beispiel bei der unsäglichen «Querdenker»-Szene, bei der AfD.

Kriegst du in deinem persönlichen Umfeld Fälle von Diskriminierung, von aggressiven Sprüchen und Anfeindungen mit?

Nein. Ich bin seit über 40 Jahren offen schwul und habe Diskriminierung selber nie erfahren. Sicher, wenn ich in den 80er Jahren in Dortmund mit meinem Freund Hand in Hand durch die Fußgängerzone lief, war das eine Demonstration. Ein Statement, nicht selbstverständlich. Mich hatte das gestresst, aber mein Freund wollte das so, dass wir uns offen zeigen und das war auch wichtig. Ich glaube, selbst in Dortmund wäre das heute nichts Spektakuläres mehr. Aber ich lebe seit 30 Jahren in Köln, wo eh alles offener ist.
Nein, mit Diskriminierungserfahrungen kann ich nicht dienen. Sicher gibt es solche Fälle, aber als schwuler Promi spiele ich eine Sonderrolle. Ich komme nicht mit Leuten zusammen, die mir dumme Sprüche liefern, weil ich schwul bin.

Du bist mit deiner Arbeit auch schon aus feministischer Sicht kritisiert worden, z.B. wegen deiner Tierfigur des «Rammelbären», die frauenverachtend sei.

Ja, das war in den 90er Jahren, in Berlin. Da gab es einen Anschlag auf einen schwulen Buchladen, wo dieser Comic im Schaufenster auslag. Zwei Seiten wurden auch in einem Szeneblatt abgedruckt mit Kommentaren, wo ich zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht wurde, dass nicht das ganze Rammelbärenweibchen, sondern nur deren Eier befruchtet werden, oder so. Aber sowas ist in 40 Jahren Comiczeichnen selten vorgekommen.
Mehr erstaunt hat mich der Streit um mein Wandbild in Brüssel, und das ist ja nicht so lange her. Da gibt es das Rainbow-Haus, das LBTQ-Zentrum. Das hatte eine große graue Wand, und weil Brüssel ja die Comic-Hauptstadt ist mit den vielen bemalten Hauswänden, haben sie mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, diese Wand entsprechend zu gestalten. Da hab ich so eine typische gemischte schwul-lesbische Gruppe entworfen, so mit Lederkerl und Lesben und Tunten, sozusagen Gruppenbild mit Dame. Die fanden die Zeichnung super und setzten sie technisch stark vergrößert auf die Wand. Ich war damals auf der Enthüllungsfeier, es war Sommer, das belgische Bier knallte und alle hatten Spaß.
Vier Jahre später wurde mir gemailt, das Bild sei über Nacht beschmiert worden mit den Worten «rassistisch» und «transphob». Ich hatte eine schwarze Lesbe gezeichnet, die dicke rote Lippen hat, wie alle meine Figuren, die Lippenstift benutzen, dicke rote Lippen haben, ob das nun die Schwester von Paul oder die übliche Tunte ist. Für mich ist die Lesbe eine selbstbewusste fröhliche Frau, die dem Betrachter mit erhobener Faust entgegenspringt. Und da war auch eine Drag Queen. Ich war selber früher travestiemäßig unterwegs, auf jedem CSD in Köln sieht man diese wunderbar schrägen Gestalten. Aber in Brüssel behauptete man, das sei eine trans Frau, die traurig guckt, weil sie behaarte Schultern hat. Ich habe aber nie eine transsexuelle Figur gezeichnet! Ich zeichne lieber, womit ich mich auskenne, und sorry, Trans gehörte bisher nicht dazu. Außerdem sei sie dick, das sei auch noch dickenfeindlich! Die Leitung des Hauses – inzwischen eine andere als die vor vier Jahren, der das übrigens sehr peinlich war – verlangte von mir einen neuen Entwurf, andernfalls werde die Wand übermalt.
Ok, das waren junge Leute, die nie ein Buch von mir gelesen haben und die politische Korrektheit und dieses Woke-Ding sehr großschrieben. Ich antwortete, es sei ja ihre Wand und ihre Sache, was sie damit machen, aber mich selber zensieren werde ich auf keinen Fall. Sie haben das beschmierte Bild dann mit einer Plakette versehen, die die Problematik erklärt. Aber der Spaß an dem bunten Motiv ist ziemlich weg.

Leute in unserem Alter, mit unserer politischen und kulturellen Sozialisation empfinden bestimmte Überdehnungen der Political Correctness als befremdlich…

Ja, ich habe ich bestimmte Entwicklungen in meiner eigenen Kölner Blase lange nicht mitgekriegt. Für das Berliner Schwulenmagazin Siegessäule schreibe ich viermal im Jahr die Kolumne. Da kriegte ich einen Text zurück, alles rot angestrichen, weil ich verbotene Wörter benutzte. Ich wusste damals nicht mal, was ein «Cis-Mann» ist! Auch die ganzen Gender­sternchen in Texten irritieren mich. Einen so geschriebenen Roman würde ich nicht lesen. Aber ich bin jetzt 61, meine Ansichten dazu sind bestimmt veraltet. Ich will mal einen Comic zu dieser PC-Sache schreiben. Auch wenn ich dafür von vielen Seiten was aufs Haupt kriege.

Nach meiner Wahrnehmung bist du mit dem Bewegten Mann sehr bekannt geworden, vor allem auch wegen der Verfilmung mit Till Schweiger, der immer denselben Typus spielt, was aber zum «bewegten Mann» ganz gut passte.

Das stimmt, aber ich bin mit der Verfilmung nicht glücklich. In meinem Comic geht es um einen Schwulen, der sich in einen Hetero verliebt. Im Film geht es um einen Hetero, der in die Schwulenszene gerät. Die Filmemacher wollten unbedingt den Hetero als Hauptfigur und eben nicht den schwulen Norbert. In einer Szene wird Norbert von einem Nachbarn morgens die Zeitung aus dem Briefkasten geklaut. Dann bedurfte es des starken Hetero-Manns, um den Dieb zu stellen. Der schwule Norbert war offenbar zu schlapp dazu. Das war nicht von mir ausgedacht.
Und dann gibt es eine Szene, da liegen die beiden im Bett, nackt, mit der Ausrede, dass es warm ist, und in meinem Buch schlüpft Norbert dem «bewegten Mann» Axel unter die Decke und bläst ihm einen. Und dann platzt Doro, die Frau von Axel, herein und erwischt die beiden. Den Filmemachern war das zu deutlich mit dem Blasen, statt dessen hat man Norbert den Axel sanft auf die Schulter küssen sehen. Schrecklich verklemmt! Aber Axel musste im Film klar hetero sein und nicht ambivalent. Mir hat der Film damals nicht gefallen. Ich hab ihm viel zu verdanken, keine Frage. Immerhin sind die Dialoge von mir.

Mir geht es auch um das «vorher» und «nachher». Erst eher kleinere «Underground»-Verlage, kleinere Auflagen, dann der Durchbruch in eine größere Öffentlichkeit z.B. mit der ersten Konrad-und-Paul-Geschichte im Carlsen-Verlag. Natürlich hast du eine ausgefeiltere Zeichentechnik als in den Anfängen. Aber wie ist es mit den Inhalten?

Ich habe mich nicht davon verbiegen lassen, dass ich ein breites Publikum über die Schwulenszene hinaus erreicht habe. Mein neueres Buch Barry Hoden ist bei Männerschwarm erschienen, einem kleinen schwulen Verlag. Superparadise ist auch bei Männerschwarm erschienen. Diese Comics werden auch breit gekauft, obwohl ich mir das eher für die Insider-Schwulenszene ausgedacht hatte. Aber auch bei Rowohlt kann ich jetzt mal dicke Schwänze zeichnen.
Das Gefühl, bei kleinen schwulen Verlagen und kleineren Auflagen etwas «pornographischer» sein zu können, hat sich erledigt. Wobei «Porno» irreführend ist. Über die Zeichnungen kann man schmunzeln, aufgeilen kann man sich daran nicht – oder höchstens am Kopfkino, was die Handlungen angeht. Mein Buch Bullenklöten war tatsächlich bei einigen Wichsvorlage. Aber der Popularität hab ich nichts geopfert. Und solange die Knollennasen grösser sind als die Pimmel, wird es so pornographisch nicht sein.

Der bekannte Zeichner und Texter Ralf König ist Jahrgang 1960, lebt und arbeitet in Köln. Das Interview führte Manuel Kellner.

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