Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Europa 1. Mai 2022

Kein Vorbild für die Ukraine
von Paul Stern

Aktuell ist in Österreich die Neutralität wieder Gegenstand politischer und rechtlicher Debatten. Im Moskauer Memorandum am 15.April 1955 festgehalten, machte die UdSSR die permanente Neutralität von Österreich zur politischen Bedingung für die Unterzeichnung des Staatsvertrags.

Neutralität bedeutet im internationalen Kontext die Unparteilichkeit eines Staates bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen anderen Staaten. Er leistet keine direkte oder indirekte Unterstützung von Konfliktparteien wie militärtechnische Lieferungen oder die Gestattung von Truppentransporten über heimisches Territorium.
Durch den Beitritt zur EU wurde das strikte Neutralitätsgebot in Österreich löchrig. Übereinstimmend betonten Verfassungsrechtler:innen, dass durch die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die Reichweite des Neutralitätsgesetzes eingeschränkt wurde.
Dieses Schlupfloch haben diejenigen erkannt, die nachhaltig die Neutralität beseitigen möchten. So der ehemalige ÖVP-Nationalratspräsident Khol und der frühere Streitkräftekommandant Höfler, die für einen Beitritt zur NATO oder aber für eine militärische Integration in eine EU-Armee plädieren.
Klartext sprechen auch die liberalen Neos, die gemeinsam mit der SPÖ die Wiener Landesregierung stellen. Für Gründungsmitglied Dengler ist es an der Zeit, «die verbliebenen Reste der Neutralität zu beseitigen». Die NATO ist für ihn ein historisch sehr erfolgreiches Verteidigungsbündnis. Neos-Parteichefin Meinl-Reisinger träumt gar von einem gemeinsamen europäischen Berufsheer.
Widerspruch kommt (noch) von den Grünen und der oppositionellen SPÖ. «Die Neutralität stärkt als Eckpfeiler der österreichischen Außenpolitik unsere Sicherheit» (SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner). Unisono befeuern aber alle Parlamentsparteien die Aufrüstungsdebatte. Die SPÖ möchte dem Bundesheer in den nächsten fünf Jahren knapp 5 Mrd. Euro zukommen lassen, der grüne Wehrsprecher Stögmüller unterstützt punktuelle Aufrüstungspläne. Strittig sind die Einführung verpflichtender Milizübungen und die Verlängerung der Wehrdienstzeit.
Angesichts der Aufweichung der ursprünglichen Neutralität wäre Österreich kein Vorbild für einen neutralen Status der Ukraine. Die sich abzeichnende EU-Mitgliedschaft der Ukraine würde eine Integration in die begonnene und forcierte militärische Formierung bedeuten.
Nach einem Ende der Kampfhandlungen braucht die Ukraine eine Perspektive friedlicher Koexistenz. Diese findet sie nicht in einer EU mit der Atomwaffenmacht Frankreich und einer multilateralen Berufsarmee. Die Renaissance einer österreichisch-ukrainischen Waffenbrüderschaft in der Tradition der Habsburgermonarchie wäre dem Frieden in Europa garantiert nicht dienlich.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.