Das knappe Gut
von Eva Blum*
Böden sind nicht nur als Anbauflächen für Lebensmittel von zentraler Bedeutung. Sie sind auch Wasser- und CO2 -Speicher, regulieren die Temperatur und bieten Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Doch ihr Zustand verschlechtert sich – global und auch in Europa; fruchtbarer Boden ist ein knappes Gut.
Auch in Deutschland ist der landwirtschaftlich nutzbare Boden unter Druck – und er wird immer teurer. Die Kaufpreise sind von 2007 bis 2020 pro Hektar um gut 190 Prozent gestiegen, haben sich also fast verdreifacht (von 9205 auf 26777 Euro je Hektar). Besonders hohe Steigerungen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. In den westdeutschen Bundesländern liegt Niedersachsen an der Spitze. Die Pachtpreise sind laut Agrarbericht (2019) von 2007 bis 2016 um 56,5 Prozent gestiegen (von 184 auf 288 Euro je Hektar Landfläche). Wo liegen die Gründe für diese Preissteigerungen?
Die Pachtpreise
Die steigenden Pachtpreise sind primär das Resultat «innerlandwirtschaftlicher» Entwicklungen:
– Landwirtschaftliche Betriebe stehen unter Druck. Wollen sie in der Konkurrenz überleben, müssen sie die Erträge steigern. Dazu haben sie nur zwei Möglichkeiten: Flächenwachstum oder mehr ertragssteigernde Inputs, die die Produktivität pro Flächeneinheit erhöhen. Dies wirkt sich auf die Pachtpreise aus: Als größter Preistreiber gilt hier die wachsende Konkurrenz der Betriebe um die geringer werdende Fläche. Gelingt es, über technische Fortschritte die Arbeitskosten pro Hektar zu senken, bleibt mehr Geld für den Faktor Boden übrig. Auf dem Markt überleben letztlich nur jene Betriebe, die durch Rationalisierung und/oder Größenwachstum der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sind. «Wachsen oder weichen» heißt die Devise auf einem kapitalistisch organisierten Agrarmarkt.
Der fortgesetzte Druck zur Produktivitätssteigerung führt nicht nur zu mehr «Bodenverbrauch», er hat auch Wirkungen auf die Umwelt. Durch die intensive Nutzung kommt es in vielen Böden zu einem Nährstoffüberschuss, der sich unter anderem in erhöhten Nitratgehalten im Grundwasser und der Emission klimarelevanter Gase (Lachgas, Methan) sowie von Ammoniak manifestiert.
– In Regionen mit vielen tierhaltenden Betrieben kommt die ebenfalls durch das «Wachsen oder weichen» gesteuerte, weitere Erhöhung der Tierzahlen hinzu: Die rechtlichen Rahmenbedingungen (Steuer- und Düngerecht, Umweltgesetzgebung) koppeln die Viehhaltung an die Fläche, wer in der Viehhaltung wachsen will, muss Fläche nachweisen, um die Düngevorschriften einhalten zu können bzw. um den Wechsel in die steuerliche Gewerblichkeit zu verhindern. Dies führt dazu, dass sich Betriebsleiter bei Pachtgeboten mehr und mehr am Grenzertrag des letzten gepachteten Hektars orientieren oder Pachtzahlungen aus anderen Betriebszweigen quersubventionieren, um Mitbewerber zu verdrängen. Aber auch von Seiten der Verpächter wird die Zahlungsbereitschaft der Pächter zunehmend ausgereizt.
– Auch agrarfremde Unternehmen mischen im Pachtmarkt kräftig mit, z.B. in Norddeutschland: In der Region Cuxhaven kauft die B.H.Holding, die als Wachholzer Land- und Forstwirtschaft GmbH auftritt, seit 2012 Flächen auf. Nach Angaben ortsansässiger Bäuerinnen und Bauern sollen es mittlerweile rund 1500 Hektar sein. Alleingesellschafter der Holding ist Benjamin Heinig; sein Vater, Stefan Heinig, gründete den Bekleidungshandel Kik und ist Eigentümer von Tedi. Ihr Geschäftsmodell: sie kaufen Ackerland von regionalen Landwirten und verpachten es an diese zurück. Während die Holding damit gute Geschäfte macht, haben vor allem kleinere Betriebe in der Region das Nachsehen.
Die Kaufpreise
Die steigenden Kaufpreise sind vor allem das Resultat «außerlandwirtschaftlicher» Faktoren:
Seit der letzten Finanzkrise gilt der Agrarsektor (wieder) als ein besonders lukratives Geschäftsfeld. Der Anteil der Käufe von Grund und Boden durch Investoren liegt derzeit, gemäss Angaben des Umweltbundesamts (2019), bei etwa 30 Prozent der jährlichen Verkäufe. Dies hat sowohl Wirkungen auf die Agrarstruktur als auch auf die Umwelt, denn große Agrarbetriebe im Eigentum von (Finanz-)Investoren sind meist an einer kurzfristig zu realisierenden, hohen Rendite und nicht an einer nachhaltigen Bodenbearbeitung interessiert.
Die Anlage riesiger Solarparks oder der großflächige intensive Anbau von Bioenergiepflanzen prägt inzwischen das ländliche Bild, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern.
Das massive Eindringen von Nichtlandwirten und nur an einer Kapitalverwertung orientierten Investoren in den landwirtschaftlichen Bodenmarkt wird vor allem durch unzureichende gesetzliche Regelungen begünstigt (Grundstücksverkehrsgesetz, Reichssiedlungsgesetz bzw. fehlende Regelungen der inzwischen zuständigen Länder). Zwar sind Verkäufe von landwirtschaftlichen Flächen an Nichtlandwirte genehmigungspflichtig bzw. sind solche Flächen bevorzugt von Landwirten zu erwerben. Diese Instrumente greifen aber nicht, wenn Grundstücke in Form von GmbH- oder Aktiengesellschaftsanteilen als Teile von Betrieben verkauft werden, in die die landwirtschaftliche Flächen zuvor eingebracht wurden (sog. Share Deals).
Die in den letzten Monaten auf den Weg gebrachten, vorsichtigen Reformvorhaben – z.B. hat Thüringen als eines der ersten Bundesländer ein Agrarstrukturgesetz auf den Weg gebracht, auf Bundesebene wird über den weiteren Umgang mit «staatseigenen» Flächen in den östlichen Bundesländern debattiert –, werden aufgrund der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen vermutlich wenig Wirkung auf den Agrarbodenmarkt haben. Denn der Überfall Russlands auf die Ukraine versetzt die Agrarbranche weltweit in Alarmbereitschaft.
Der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen
Die Ukraine ist der weltgrößte Exporteur von Sonnenblumenöl, viertgrößter Exporteur von Mais und siebtgrößter Exporteur von Soja und Weizen. Was den Weizen anbelangt, sorgte das Land bisher für 15 Prozent von dessen weltweiten Exporten, mit Russland gemeinsam ist es knapp ein Drittel.
Massiv darauf angewiesen sind neben dem Nahen Osten vor allem nordafrikanische Länder, die gut die Hälfte ihrer Getreideimporte aus der Schwarzmeerregion beziehen und Brot als Grundnahrungsmittel vielerorts subventionieren. Der Preis für eine Tonne Weizen sprengte dieser Tage zeitweise fast die Grenze von 400 Euro, es war der höchste Stand seit 14 Jahren. Experten warnen, dass es bis ins Jahr 2023 hinein weiter rasant nach oben geht – was fatale Folgen für die Bevölkerung in den Importländern hat und mit humanitären Krisen einhergeht.
Die Reaktion in der EU erfolgte prompt. Inzwischen wird in Teilen der EU-Agrarwirtschaft intensiv über einen Paradigmenwechsel debattiert. Es brauche nun einen Produktionsschub, die vorgesehene Stilllegung von Agrarflächen gehöre gekippt, der Ausbau des Biolandbaus vorläufig gestoppt. Europa, so heißt es, könne sich derzeit keine Ertragsreduktion leisten. Dieses Comeback des inputintensiven Produktivismus wird, wenn er nicht an den hohen Energie- und Inputkosten (z.B. den Düngemitteln) scheitert, auch Folgen auf den Agrarbodenmarkt haben:
– Die Ausbeutung der Flächen wird weiter forciert, die Ressource «fruchtbarer Boden» wird immer knapper.
– Die Aussicht auf steigende Rohstoffpreise wird noch mehr Finanzinvestoren anlocken, auch dies wird die Bodenpreise weiter in die Höhe treiben.
– Darüber hinaus zeigt auch der vom Wirtschaftsministerium jetzt forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien bereits Wirkung auf die Preise für Ackerflächen. Auch ertragsschwache Standorte könnten an Wert gewinnen, meldete die Wirtschaftswoche Anfang März.
Auch im Agrarsektor wird der russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine also genutzt, um auf die ohnehin ungenügenden Klimaschutzmaßnahmen weitgehend zu verzichten. Der Krieg lässt damit die Erderhitzung und ihre Konsequenzen nicht nur in den Hintergrund treten, sondern treibt die CO2-Emissionen zusätzlich an, auch in der Landwirtschaft.
Was treibt die Preise?
Gerade in der aktuellen Situation zeigt sich allerdings, wie fragil und anfällig das produktivistische Agrarmodell auf externe Störungen reagiert. So waren die Ölsaaten- und Getreidelieferungen aus der Ukraine an den Warenterminbörsen schon lange vor der Ernte in den Bilanzen der Börsenhändler einkalkuliert. Ihr kriegsbedingter Ausfall treibt nun die Preise; Grundnahrungsmittel wie Brot werden für viele Menschen unbezahlbar.
Auch die Abhängigkeit der industrialisierten Landwirtschaft von möglichst billiger fossiler Energie hat fatale Wirkungen auf die Versorgungssicherheit, die steigenden Energiekosten haben schon vor Kriegsbeginn die Produktion verteuert.
Nun steigen die Preise für Öl und Gas immer weiter. Einmal mehr zeigt sich: In einem Agrarsystem, in dem nur die zahlungskräftige Nachfrage nach Gütern Geltung hat, müssen all jene unter Hunger und Mangelernährung leiden, die nicht über die entsprechenden Geldmittel verfügen.
*Die Autorin ist Geografin und Agrarwissenschaftlerin und aktiv in der Bewegung für den Sozialismus (BfS) in Zürich.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.