Wie die Gruppe gegen die russischen Soldaten kämpft
Gespräch mit Denis von Operation Solidarity
Denis ist aus Kiew und gehört der Gruppe Operation Solidarity an.
Können Sie Ihre Gruppe vorstellen? Wie wurde sie ins Leben gerufen? Wer ist beteiligt? Was sind ihre Aufgaben?
Resistance Committee ist ein Netzwerk von libertären und antifaschistischen Aktivist:innen, die sich den Territorialen Verteidigungskräften angeschlossen haben und sich mit Waffen gegen die russische imperialistische Aggression wehren. Etwa 50 von ihnen haben sich zu einer Einheit zusammengeschlossen, andere haben sich Einheiten zugeordnet, die in ihrer Nähe waren.
Auch viele Beloruss:innen, die vor Lukaschenkos Diktatur fliehen mussten, haben sich angeschlossen. Die Aufgaben variieren je nach Einsatzort von einfachen Patrouillenaufgaben bis zur Unterstützung bei der Zerstörung russischer Panzer und Artilleriestellungen.
Operation Solidarity ist ein Netzwerk von Aktivist:innen, die nicht zu den Waffen gegriffen haben, sondern daran arbeiten, die antiautoritären Aktivist:innen in den Territorialen Verteidigungskräften mit Ausrüstung zu versorgen, z.B. mit kugelsicheren Westen, medizinischen Kits und anderer taktischer Ausrüstung, die der Staat nicht oder nur langsam bereitstellen kann. Außerdem leistet die Initiative dort, wo sie es kann, humanitäre Arbeit.
Was bedeutet es, dass Sie sich am bewaffneten Widerstand beteiligen? Wie sind Sie organisiert?
Die Territorialverteidigung ist ähnlich organisiert wie das reguläre Militär und agiert als leichte Infanterie ohne schwere Waffen. In der Regel bleibt sie in der Stadt oder dem Dorf, in dem sie gebildet wurden, um es zu verteidigen – vielfach erfolgreich.
Auch an den zahlreichen Guerillaangriffen auf russische Konvois, vor allem in den nördlichen Regionen der Ukraine, waren die Territorialen Verteidigungskräfte beteiligt. An den Orten, an denen sie an der Seite der regulären Armee kämpfen, werden sie gelegentlich für Überraschungsangriffe auf russische Stellungen eingesetzt, um die feindlichen Linien zu stören.
An anderen Orten, an denen keine Kämpfe stattfinden, leistet die Territoriale Verteidigung Patrouillendienst und wirkt so als Abschreckung für die russische Armee. In gewisser Weise ermöglicht dies den regulären Streitkräften, sich auf Aufgaben zu konzentrieren, die wichtiger sind.
Wie ist das Verhältnis zwischen Ihren bewaffneten Aktionen und der ukrainischen Armee? Wer führt das Kommando?
Die Territorialen Verteidigungskräfte unterstehen der operativen Kontrolle der ukrainischen Armee und können als Hilfstruppen eingesetzt werden, wenn die Einsatzleitung dies beschließt. Es handelt sich um völlig freiwillige Kräfte, die jedoch ein offizielles Gehalt erhalten. Die meisten Kommandeure vor Ort sind ehemalige Armeeangehörige, die in den Ruhestand getreten sind, aber nach der Invasion wieder zu den Waffen griffen. Wer will, kann auf Antrag in die reguläre Armee übernommen werden, wenn die Armee ihrer Kandidatur zustimmt.
Tausende von ausländischen Freiwilligen haben in der Ukraine zu den Waffen gegriffen. Was sind das für Leute? In Deutschland ist der Verfassungsschutz besorgt, dass rechtsextreme Gruppen dort die Kunst des Krieges erlernen könnten.
Die ukrainische Fremdenlegion besteht offiziell aus Personen, die bereits über militärische Erfahrung verfügen; Personen, die diese nicht haben, können mit Hilfsfunktionen beauftragt werden, die keine Kampfhandlungen beinhalten. Die Menschen, die hierher gekommen sind, geben meist an, dass sie für die Demokratie kämpfen und russische Kriegsverbrechen verhindern wollen. Offensichtlich sind es Menschen mit einem breiten Spektrum an politischen Hintergründen.
Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass nicht Leute mit rechtsextremen Ansichten den Weg in die Fremdenlegion finden, aber im allgemeinen ist diese so organisiert, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie zum Übungsplatz für Massenorganisationen wird.
Werden Sie von rechtsextremen Gruppen angegriffen?
In Lwiw kam es zu einem Angriff von Mitgliedern der Organisation «Misanthropic Division» auf zwei antiautoritäre Aktivisten. Sie wurden von ihnen geschlagen, als sie in ein Militärgeschäft gingen, um nach kugelsicheren Westen für ihre Kamerad:innen zu suchen. Dabei wurde einem Aktivisten der Finger gebrochen. Andere rechtsgerichtete Organisationen billigten diesen Angriff nicht und bezeichneten ihn als dumm.
Sie bezeichnen sich als antiautoritären Widerstand. Wie schaffen Sie es, sich von der Regierungspolitik abzusetzen – auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg?
Leider gibt es in diesem Krieg keinen ideologisch reinen Raum. Putins Regime ist extrem autoritär, politische Gegner werden unterdrückt und ermordet, es gibt keine Rede- oder Versammlungsfreiheit, es werden gefälschte kriminelle Anschuldigungen gegen Aktivist:innen, einschließlich der Anarchisten, erhoben, die LGBTQ+-Community wird verfolgt.
Als die Invasion begann, ging ich davon aus, dass politische Aktivist:innen, gleich egal ob rechts, mittig oder links orientiert, von der dann eingesetzten Marionettenregierung ins Gefängnis geworfen würden, und dass ich wahrscheinlich auch auf der Liste wäre.
Nach dem Massaker in Butscha ist klar, dass meine Annahme zu optimistisch war. Alle politischen Aktivist:innen würden direkt ermordet werden. Die Massaker würden sich wahrscheinlich zu einem Völkermord ausweiten, da russische Propagandist:innen bereits offen sagen, dass alle, die dem ukrainischen Militär angehören oder ihm helfen, als «Nazis» betrachtet und daher beseitigt werden sollen. Das betrifft mindestens Hunderttausende, höchstwahrscheinlich aber Millionen, da der größte Teil der Bevölkerung das ukrainische Militär auf die eine oder andere Weise unterstützt.
Wir kämpfen also nicht nur für den Erhalt grundlegender Freiheiten, sondern auch ums Überleben. Wir sehen die Situation ähnlich wie die der spanischen Anarchist:innen, die unter dem Kommando der republikanischen Armee gegen die Franco-Diktatur kämpften und sich später der Freien Französischen Armee anschlossen, um gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen.
Viele Leute sprechen vom «ukrainischen Nationalsozialismus», aber die Rechtsextremen haben bei den letzten Wahlen alle ihre Sitze im Parlament verloren, ihre Präsenz auf den Straßen ist zurückgegangen, Putins Regime hingegen ähnelt dem Faschismus jeden Tag mehr.
Was erwarten Sie von der internationalen Solidarität der Linken?
Trotz der 2014 verkündeten «Sanktionen» und ihrer erklärten Unterstützung für die Ukraine haben die NATO-Länder später militärische Ausrüstung im Wert von Millionen Euro an Russland verkauft. Deutschland war der zweitgrößte Lieferant dieser Waffen und hatte von 2015 bis 2020 daraus Einnahmen von mehr als 130 Millionen Euro. Diese Waffen werden nun zum Töten von Ukrainer:innen eingesetzt. So viel zum Argument, die NATO habe die Ukraine aufgerüstet.
Nun, da der Krieg in vollem Umfang begonnen hat und die russische Armee täglich Kriegsverbrechen begeht, gibt es keine andere Möglichkeit mehr, als die russischen Einheiten, die auf ukrainischem Gebiet operieren, militärisch zu besiegen.
Daher möchte ich die internationale Gemeinschaft der Linken bitten, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterstützen oder zumindest nicht zu blockieren, sowie andere Unterstützung zu leisten. Ich verstehe, dass dies schwer sein kann, wenn man bedenkt, dass die linke Gemeinschaft jahrzehntelang die Politik der NATO kritisiert hat. Die Politik eines Teils der Linken: «Ich unterstütze jeden, solange er gegen die USA und die NATO ist», hat jedoch zu massenhaften Kriegsverbrechen der sog. «antiamerikanischen» Diktaturen geführt.
Bislang hat die internationale Gemeinschaft erstaunliche Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt, und dafür sind wir dankbar. Ich hoffe, dass diese herzliche Aufnahme als Beispiel für alle künftigen Krisen dienen wird. Und solche Krisen werden sicherlich in naher Zukunft kommen: Die Ukraine hat Millionen Tonnen Lebensmittel in den Nahen Osten und nach Afrika exportiert und damit mehr als 300 Millionen Menschen in diesen Regionen ernährt. Die Gefahr des Hungers steht dort unmittelbar bevor.
Ich vermute, dass wir am Rande zahlreicher Konflikte auf der ganzen Welt stehen, die schreckliche Folgen haben werden. Die internationale Linke muss sich darauf vorbereiten, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.
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