An der Frontlinie der Klimakrise
von Moritz Binzer
An einem sonnigen Sonntag im April versammeln sich einmal mehr hunderte Menschen in Lützerath. Von den ursprünglichen Bewohnern lebt bis auf den Bauern Eckardt Heukamp niemand mehr in dem kleinen Dorf an der Kante der Braunkohlegrube Garzweiler. Aber auf den Dorfwiesen und in den Bäumen des Wäldchens haben Klimaaktivist:innen viele Dutzend Zelte und Holzhütten errichtet.
Der Sicherheitsdienst des Energieunternehmens RWE beäugt misstrauisch die Szenerie, unterbrochen nur von Plaudereien mit den Kommunikationsbeamten der Polizei, die, wie fast jeden Sonntag, ebenfalls anwesend sind. Allerdings scheinen heute keine Baggerblockaden oder ähnliche Aktionen geplant zu sein: «Herzlich Willkommen zum Frühlingsfest!», schallt es aus Lautsprecherboxen durch das Dorf, als die Fahrraddemo vom nächstgelegenen Bahnhof eintrifft.
Die rheinische Klimagerechtigkeitsbewegung hat in diesen Tagen ein fröhliches Zusammenkommen bitter nötig – dass so viele Menschen gekommen sind, ist nach den Ereignissen der ersten Aprilwoche auch ein Symbol. Denn Eckardt Heukamp, der letzte Grundbesitzer in Lützerath, hat aufgegeben und an RWE verkauft. Zu groß war der Druck und zu gering schätzte er, nachdem alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, die Chancen ein, seinen Hof noch retten zu können. RWE hat alle Register gezogen, um ihn mürbe zu machen – letztendlich mit Erfolg. Eckardt Heukamp muss bis zum 1.September seinen Hof verlassen. Bis dahin ist auch nicht mit einer Räumung des Hüttendorfs zu rechnen.
«1,5-Grad-Grenze» haben die Aktivist:innen auf den Wall zwischen Dorf und Grube geschrieben. Tatsächlich ist die Bedeutung von Lützerath für die Klimakrise nicht zu unterschätzen. Die Fläche zwischen Lützerath und Keyenberg, dem nächstgelegenen Dorf, bis zu dem RWE Kohle abbauen will, ist immens.
Sollte RWE tatsächlich die Auseinandersetzung um Lützerath für sich entscheiden, würde die darunter befindliche Braunkohle verbrannt werden. Die klimatischen Konsequenzen wären dramatisch, selbst das von der Bundesregierung mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens gesetzte Ziel von weniger als zwei Grad Klimaerhitzung nicht mehr zu halten.
Ohne rechtliche Grundlage
Der Koalitionsvertrag hat die Verantwortung für Lützerath auf die Rechtsprechung und damit auf die Gerichte abgewälzt. Ein äußerst fragwürdiges Vorgehen, denn die Gerichte in Deutschland sind nicht in der Lage, die Tragweite der Klimakrise adäquat zu berücksichtigen.
Wieder einmal hat ein Gericht, in diesem Fall das Oberverwaltungsgericht in Münster, auf die fehlende gesetzliche Grundlage verwiesen, eine Entscheidung zugunsten des Klimaschutzes treffen zu können: Es hat die Enteignung von Eckardt Heukamp als rechtmäßig eingestuft – und damit die weitere Verbrennung der Braunkohle.
Dieses Erklärungsmuster ist strukturell bedingt und wirft ein Licht auf die Beschaffenheit des Rechtswesens. Es zeugt einerseits von der mangelnden Bereitschaft, aber noch viel stärker von der fehlenden Grundlage in der Rechtsprechung, die Klimakrise als relevanten Faktor zu berücksichtigen und damit Menschen zu schützen, die schon heute von den verheerenden Folgen der Kohleverbrennung betroffen sind.
Das Erfolgsrezept für den Sieg der Bewegung im «Hambi», nämlich ein Zusammenspiel aus juristischem Vorgehen und Besetzung, flankiert mit zivilem Ungehorsam und direkten Aktionen scheint diesmal gescheitert. Allerdings haben sich auch die Ausgangsbedingungen verändert.
Die versuchte Räumung des Hambacher Waldes 2018 und das politische Nachbeben dürfte einigen Entscheidungsträger:innen in NRW noch tief in den Knochen sitzen. Bis in den Bundeswahlkampf konfrontierten Kinder in einer WDR-Fernsehsendung den ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet mit der illegalen Räumung des Hambacher Waldes.
Noch lange nicht am Ende
Die amtierende NRW-Landesregierung dürfte kein Interesse daran haben, ähnliche Bilder zu produzieren. Bei einer Räumung von Lützerath käme es dazu. Das Dorf ist aktuell der wichtigste Kristallisationspunkt der Bewegung in Deutschland, die dort installierte Infrastruktur an Baumhäusern und Hütten ist beeindruckend. Es ist davon auszugehen, dass die vom Gericht gesetzte Frist bis zur Räumung für einen weiteren Ausbau genutzt werden wird.
In den letzten Wochen war Lützerath außerdem ein Ort des Teilens von Aktionserfahrungen. Viele Menschen lernen dort neue Aktionsformen kennen, eignen sich Kletter-Skills an oder bereiten sich emotional auf potenziell belastende Situationen mit der Polizei vor. Wenn sich in der politischen Großwetterlage also keine Änderungen ergeben und die Räumung nicht abgewendet werden kann, wird das Räumungskommando der Polizei auf entschlossenen Widerstand treffen.
Ein wichtiger Unterschied zum Widerstand im Hambacher Wald ist die lokale Verankerung des Widerstands. Zwar gab es auch im Hambi durchaus lokale Unterstützung für die Waldbesetzer:innen. Seitdem haben die Aktivist:innen jedoch viel mehr Zeit und Energie für den Aufbau neuer Bündnisse verwendet.
Das Bündnis «Alle Dörfer Bleiben», das sich aus Bewohner:innen der bedrohten Dörfer und Unterstützer:innen zusammensetzt, ist wesentlich größer, als die Initiative «Buirer für Buir», die im Hambi viel Unterstützungsarbeit leistete. Auch das dürfte sich auf das Mobilisierungspotenzial auswirken.
Eine andere Energiepolitik
Schwer einzuschätzen beim aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine und seinen Auswirkungen auf die Energiepolitik bleibt die Stimmung in der Bevölkerung. Die Regierung fährt zweigleisig. Parallel zum Vorstoß der Grünen, die erneuerbaren Energien schneller auszubauen, stimmt sie darauf ein, dass der Krieg in der Ukraine die Weiterverwendung «heimischer» Energieträger nötig macht, also auch der Braunkohle. Die Regierung spielt also die Klimakrise gegen den Krieg in der Ukraine aus.
Ob diese Argumentation verfängt und damit das Mobilisierungspotenzial für Lützerath schwächt, ist schwer zu sagen. Die grundlegend falsche Annahme dieser Politik ist jedenfalls offensichtlich: Die Eindämmung der Klimakrise ist unabdingbar für eine friedliche Zukunft. Schon heute führt die Klimaerhitzung zu sozialen Verwerfungen in vielen Teilen der Welt und schürt dadurch Konflikte. Eine konsequente Klimapolitik würde an vielen Stellen Druck aus dem Kessel nehmen und kriegerischen Auseinandersetzungen vorbeugen.
Bisher setzt die Regierung vor allem auf den Austausch russischer Energieträger. Der hohe Energieverbrauch soll um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Dafür dient sich Wirtschaftsminister Habeck sogar Despoten in der Golfregion an, dafür soll sogar das extrem klimaschädliche Fracking zur Gewinnung von Flüssiggas (kurz: LNG) in Kauf genommen werden. Dabei gäbe es kurzfristig verschiedene Ansätze, um den Energieverbrauch insgesamt zu senken.
Um die Klimakrise einzudämmen reicht es nicht, die Energieerzeugung umzustellen. Perspektivisch wäre ein grundlegender gesellschaftlicher Umbau hin zu einer postfossilen Produktions- und Lebensweise notwendig. Die dafür nötige Einsparung von Energie ist nicht mit einer kapitalistischen Wirtschaftsweise vereinbar. Die kommende Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath wird erneut für Reibung im geschmierten Getriebe des fossilen Kapitalismus sorgen.
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