Betr.: Alternativen zu Bundeswehr und NATO, SoZ 4/2022, S.20
von Angela Klein
Der Beitrag von Michael Heldt und Manuel Kellner (nachstehend: M&M) ist auf eine fast rührende Art aus der Zeit gefallen – aus allen Zeiten. Weil er völlig ahistorisch argumentiert.
1. Bundeswehr und NATO sollen aufgelöst werden. Sehr schön. Was braucht es dazu? Beides sind unstreitig die Hauptmittel in der Hand der Herrschenden, ihre Macht zu bewahren. Wie können sie ihnen aus der Hand genommen werden, ohne dass die Herrschenden entmachtet werden? Und wie geschieht diese Entmachtung? Durch den Sturm auf den Bendlerblock? Kaum. Tatsächlich haben wir auf diese Frage heute keine Antwort. Die historischen Beispiele sind durch das kolossale, angehäufte Vernichtungspotenzial, das jederzeit abgerufen werden kann, wie wir derzeit erleben, obsolet geworden.
2. M&M geben diese Antwort auch nicht, sie stellen die Frage nicht einmal. Sie erwecken den Eindruck, als ließe sich die von ihnen gewünschte Volksbewaffnung parallel zu den bisherigen Gewaltmitteln der Herrschenden aufbauen – aufbauend auf der Notwendigkeit einer militärischen Selbstverteidigung, die ihrer Meinung nach bereits heute eine «alltägliche Herausforderung» sei.
Sie sagen nicht, gegen wen die militärische Selbstverteidigung heute notwendig sei. Vielleicht haben sie ja faschistische Überfälle im Auge. Da wäre sie in der Tat manchmal durchaus vonnöten. Wenn sie trotzdem bislang nicht angegangen wurde, dann liegt das nicht daran, dass Antifas bislang noch nicht auf die Idee gekommen wären, sondern weil sie derzeit unüberwindliche Hindernisse dafür sehen. Es wäre nützlich, sich bei denen mal umzuhören, die haben da mehr Sachkenntnis. Es ist, wie immer, eine Frage des konkreten Kräfteverhältnisses vor Ort. Die lassen die Autoren aber großzügig links liegen.
Ganz abgesehen davon ergibt sich aus Arbeiterselbstverteidigungsstrukturen nach Weimarer Vorbild noch keine Volksmiliz – eher ein Arm eines Bürgerkriegs, wie Deutschland ihn ja nach der Novemberrevolution erlebt hat. Allerdings wurde die Forderung nach Volksbewaffnung da vor dem Hintergrund einer Phase der Revolution erhoben, die Kommunisten sahen sich im Aufschwung und gingen davon aus, dass sie große Teile der Bevölkerung auf ihre Seite ziehen können.
3. M&M verstärken den Eindruck, sie hielten eine Volksmiliz in «ruhigen» kapitalistischen Zeiten für möglich, indem sie sich auf die Schweiz berufen. Die Schweiz kennt aber zwei Besonderheiten, die sich auf andere Länder nicht übertragen lassen: Sie besteht im wesentlichen aus hohen Bergen, unter denen sich Munitionsdepots anlegen lassen. Und sie hat den Status der Neutralität. Den hätten M&M auch gern. Die Schweiz kann sich diesen Status aber leisten, nicht nur, weil sie schwer in die Knie zu zwingen ist, sondern auch weil sie eine der Schatzkammern des internationalen Kapitals ist. Das Matterhorn zu bombardieren lohnt nicht, den Zürcher Paradeplatz zu bombardieren wäre ein gigantisches Eigentor.
4. Es gibt tatsächlich Fälle, wo unter kapitalistischen Bedingungen Abrüstung, und infolgedessen auch der Übergang zu einer Volksmiliz möglich erscheinen. Engels hat einen solchen mehrfach besprochen und enge politische Voraussetzungen daran geknüpft. Es gab sie nach den beiden Weltkriegen, aber auch am Ende des Kalten Kriegs 1990. M&M machen aber keinen Vorschlag zur Abrüstung, das halten sie für kleinbürgerlichen Pazifismus.
Vielmehr suggerieren sie, dass eine Volksmiliz in der Lage wäre, die Bevölkerung ausreichend zu schützen, wenn Deutschland aus der NATO austritt. Allein in bezug auf die Atomwaffen nehmen sie eine «völlige Entwaffnung» in den Blick. Die braucht es aber gar nicht, um ein Land in Schutt und Asche zu legen, die modernen schweren Waffen reichen völlig aus.
Was aber richtet eine Volksmiliz gegen den Bombenkrieg aus? Was gegen Hightech-Waffen, die vom gemeinen Mann (oder der Frau) gar nicht bedient werden können? Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine wird über solche und ähnliche Fragen noch grausige Auskunft geben.
5. «Revolutionäre müssen die Frage beantworten, wer die Waffen hat und wer sie haben sollte», schließen die beiden Autoren. Nun, an Waffen zu kommen, war noch nie das Problem. Eher ist die Frage zu beantworten, wer das Kommando über die Waffen haben sollte. Der Begriff «Volksmiliz» beantwortet das nicht. Unzweifelhaft steht in der Ukraine heute ein Volk unter Waffen, dass da etwas Gutes bei herauskommt, kann man dennoch nicht annehmen, tummeln sich doch ausreichend Nazis und Fremdenlegionäre darunter, die etwas ganz anderes im Sinn haben als unsere Freunde von der Sozialistischen Bewegung.
Wiederum sind für einen militärischen Erfolg der Linken politische Voraussetzungen erforderlich: nämlich eine Massenpartei, die in der Lage ist, Soldaten auszubilden und vor allem den bewaffneten mit dem unbewaffneten Widerstand der Zivilbevölkerung wirksam zu verzahnen. Ohne die Kommunistischen Parteien wären die Partisanenkämpfe undenkbar gewesen.
Das Schlimmste an diesem Text ist, dass er militärische Fragen völlig losgelöst von politischen Fragen behandelt. Das ist die Ursünde des bewaffneten Kampfes: den militärischen Aspekt zu verselbständigen.
6. Last but not least: Die Breitseiten gegen den Pazifismus sind völlig deplatziert. Wir kommen mehr und mehr in eine Situation, in der wir Waffen nicht umdrehen können. Was bleibt da anderes übrig, als Massenmobilisierungen gegen den Krieg – mit allen zivilen Mitteln, die zur Verfügung stehen – von der Demonstration über den Generalstreik bis zur Sabotage? Pazifisten sind da wichtige Verbündete.
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