Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2022

Internationalismus, nicht Nationalismus
von Angela Klein

Krieg ist ein globales Geschehen – in der einen Welt, in der wir seit dem Ersten Weltkrieg leben, allemal. Für das «Herz der Arbeiterbewegung», wie Rosa Luxemburg die Internationale einmal nannte, ist er der Prüfstein par excellence.

An diesem Prüfstein ist die II.Internationale zerbrochen: «Proletarier, aller Länder, vereinigt euch im Frieden, schneidet euch die Gurgel ab im Krieg», kommentierte Luxemburg damals sarkastisch.

Die Frage stellt sich heute in doppelter Schärfe. Denn alle Zeichen deuten daraufhin, dass der Krieg in der Ukraine nur ein Prolog sein wird zum großen Showdown der USA gegen China, eine Generalprobe sozusagen. Gleichzeitig könnten die Spaltungen innerhalb der internationalen Linken, insbesondere zwischen Ost und West, heute nicht größer sein. Das ist fatal.
Angesichts der Bedrohungslage wäre es dringend geboten, nicht aufeinander einzudreschen, sondern den jeweils anderen Standpunkt zu verstehen, auch wenn man nicht mit ihm einverstanden ist. Und Gemeinsamkeiten auszuloten.

Die Bedrohungslage wird unterschiedlich empfunden: Östlich der Elbe sehen Linke, insbesondere ukrainische Linke, im russischen Regime und seinem Herrschaftsanspruch die größte Bedrohung, angesichts derer die NATO ein geradezu freundliches Gesicht hat und als Retterin und Helferin daherkommt. Die Barbarei der US-Kriege ist im Gegensatz zur russischen Besatzung weit weg.
Im globalen Süden fühlt man sich vor russischer Besatzung sicher, wird aber die Bombenkriege der NATO und die unendliche Zerstörungskraft der Schuldendiktate von IWF und Weltbank nicht vergessen. In den wenigen wohlhabenden Ländern, vor allem in Europa, grassiert vor allem die Angst vor einer Eskalation des Krieges zu einem Atomkrieg.
Tief eingebrannte Erfahrungen und daraus folgende Ängste kann man nicht wegdiskutieren, sie sind da. Sie lassen sich nur durch neue, andere Erfahrungen überwinden. Was tun?

Diese Widersprüche mögen einigen als absurd erscheinen angesichts der Tatsache, dass wir es mittlerweile mit einem, glob?alen kapitalistischen System zu tun haben, das im Osten und gerade auch in der Ukraine nach dem Fall der Mauer noch brutaler hervorgetreten ist als in anderen Teilen der Welt. Aber es geht in diesem Fall nicht allein um «Klasse gegen Klasse». Für die ukrainische Bevölkerung geht es in erster Linie um die Gefahr, ihre politische und kulturelle Unabhängigkeit zu verlieren, denn das würde bedeuten: Diktatur und wirtschaftliche Regression. Auf lange Zeit abgehängt sein.
Die Klassenauseinandersetzung ist deshalb nicht verschwunden, wie man am Widerstand gegen die neuen ukrainischen Arbeitsgesetze sieht. Sie beschränkt sich jedoch auf innenpolitische Folgen des Krieges, zu denen auch die Verhängung des Kriegsrechts gehört. Sie betrifft nicht die Art der Kriegführung selbst. Alles wird jetzt dem Ziel untergeordnet, die russischen Soldaten zu vertreiben. Anders ist es auch gar nicht möglich, denn das Feuer jetzt hauptsächlich auf die ukrainische Oligarchenregierung zu richten würde bedeuten, sich auf die Seite der russischen Besatzer zu stellen.

Fragile Hoffnung
Die russische Aggression hat der NATO nicht nur große Geländegewinne verschafft, sie hat in der Ukraine auch eine nationale Mobilisierung in Gang gebracht, hinter der alte Feindbilder verschwimmen. Selbst die Faschisten vom Asow-Regiment werden zu Helden. Und der Anfangsreflex, auf die russischen Soldaten zuzugehen und sie zur Desertion zu bewegen, ist ebenfalls verflogen, es gedeiht der Russenhass. Zwischen der Putin-Gang und denen, die seine Befehle ausführen müssen, wird kein Unterschied mehr gemacht.
Der schrille Nationalismus kann auf der Seite der herrschenden Elite nicht verwundern. Aber es schmerzt, dass er von Linken unwidersprochen bleibt. Und das hat seinen Preis. Nationalismus spaltet, er grenzt aus, er unterdrückt. Du darfst nicht mehr russisch reden auf dem Amt. Selbst russische Kriegsgegner werden – wie vom ukrainischen Botschafter in Deutschland – zu Feinden erklärt. In einem Vielvölkerstaat kann das nicht funktionieren, er muss per Definition föderal strukturiert sein.
Es ist aber nicht erkennbar, dass der sich eher der russischen Kultur nahefühlenden Bevölkerung Angebote gemacht werden. So werden auch nach dem Ende des Krieges keine friedlichen Verhältnisse in der Ukraine hergestellt. Und nach außen macht dieser Kurs gerade die aggressiven, rechtsnationalistischen Regierungen in Osteuropa, allen voran in Polen und im Baltikum, hoffähig.
Die fragile Hoffnung, die ukrainische Gesellschaft werde am Ende demokratischer sein, gründet sich auf nicht viel mehr als den Wunsch der ukrainischen Linken, dass sich ihre Position nach dem Krieg verbessern werde.

Linke im Westen können bei dieser Sachlage nur eins: das Gespräch suchen, konkrete Solidarität vor allem den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben anbieten, Kontakte zwischen Frauengruppen knüpfen, das gegenseitige Verständnis fördern. Sie lassen es daran nicht fehlen: Die Zahl auch gewerkschaftlicher Hilfskonvois ist beachtlich, wir werden in der nächsten Ausgabe davon berichten.

Neue Zimmerwalder Konferenz
In einem aber irren sich ukrainische Linke gewaltig: dass dieser Krieg nicht auch ein innerimperialistischer Krieg sei. Mit dieser Begründung wurde z.B. in einem Gespräch der Vorschlag abgelehnt, eine Zimmerwalder Konferenz 2.0 durchzuführen – die für die so dringend benötigte internationale Antikriegsbewegung ein Startschuss sein könnte.
Die Kriegsbeteiligung der NATO erschöpft sich nicht in der Lieferung schwerer Waffen: Der US-Geheimdienst rühmt sich, der Ukraine die Aufklärungsdaten zur Verfügung zu stellen, die u.a. die Versenkung der Moskwa möglich gemacht haben – und man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass US-amerikanische Spezialisten vor Ort den Finger am Drücker gehabt haben. Auch der britische Geheimdienst und selbst der BND mischen ziemlich offenherzig mit.
Doch die Sache ist längst über das Niveau der «Entwicklungshilfe» hinaus. Am 27.April berichtete die FAZ von «neuen Zielen», die die US-Regierung nun verfolge und zitiert den US-Verteidigungsminister: «Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, das es dem Land unmöglich macht zu tun, was es in der Ukraine mit der Invasion getan hat.» Russland habe schon viele seiner militärischen Ressourcen verloren und auch viele Soldaten. «Wir wollen, dass sie nicht in der Lage sind, diese Ressourcen schnell zu ersetzen.»
Diese Kriegsziele gehen weit über das Erfordernis hinaus, den Aggressor aus dem Land zu jagen. Sie zielen darauf, Russlands «industrielle Basis zu zerstören», wie die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, schon gleich zu Anfang des Krieges verkündete. Das wird zur weiteren Eskalation und zu einer Verlängerung des Krieges führen, auf Kosten vor allem der ukrainischen Bevölkerung.

Spätestens an dieser Stelle verliert der Krieg seinen Charakter als reiner Verteidigungskrieg. Für die EU- und US-Eliten ist die Ukraine nur eine Schachfigur. Den Blutzoll zahlen die Bevölkerung der Ukraine und russische Gefreite. Und die militärische Aufrüstung wird auch in den NATO-Staaten zu deutlichen Kürzungen in den Sozialbudgets führen und uns einem dritten Weltkrieg näher bringen.
Sich dagegen zu wehren ist das gute Recht – und die Pflicht – der Linken im Westen. Je länger der Krieg sich aber hinzieht – und die US-Regierung sagt voraus, dass er lange dauern wird (woher sie das weiß?) – desto deutlicher wird werden, dass er auch von den USA geführt wird. Vielleicht führt das ja zu einem Umdenken.

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