Ehrenamtliches Organizing verwandelt den Moment in eine Bewegung
von Stephanie Basile, Brittany Carloni und Andrew Pantazi
In der Diskussion um die Erneuerung der Gewerkschaften wird Organizing oft auf hauptamtliche Projektsekretär:innen reduziert. Wir übersetzen daher einen Text von Stephanie Basile, Brittany Carloni und Andrew Pantazi, der zuerst auf labornotes.org erschien. Am Beispiel der Zeitungsjournalist:innen in den USA zeigen sie, wie es anders gehen kann.
In den letzten fünf Jahren haben sich in gewerkschaftsfreundlichen Groß- und Kleinstädten im Süden der USA mehr als 7000 Beschäftigte in 145 Betrieben in der NewsGuild, eine von Zeitungsjournalist:innen gegründete Sparte der Gewerkschaft CWA (Communications Workers of America), organisiert. Nach Jahren der Entlassungen, Übernahmen und Lohnkürzungen schienen die Beschäftigten einer ganzen Branche bereit, sich zu organisieren. Unsere Gewerkschaft hatte keine Möglichkeit, genügend Organizer:innen einzustellen, um Schritt zu halten. Also bauten wir eine von Mitgliedern geführte Bewegung auf, die schnell wachsen konnte.
Die Mitglieder, von denen viele gerade ihre eigenen Organisierungskampagnen hinter sich haben, beantworten E-Mails und Anrufe von Beschäftigten in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben, schulen neue Organisierungskomitees und gewinnen Wahlen zur Anerkennung der Gewerkschaft.
Ein Ziel des Programms ist die Entmystifizierung und Demokratisierung des Organisierungsprozesses – und im weiteren Sinne der Gewerkschaftsbewegung. Wenn Beschäftigte sich das erste Mal organisieren wollen, haben sie viele Fragen. Die Begegnung mit einem Gewerkschaftsmitglied, das den Prozess erst kürzlich durchlaufen hat, mindert Ängste und konkretisiert den Prozess. Ein weiteres Ziel ist, die Kolleg:innen von Anfang an zu schulen, damit sie alle Funktionen in ihrer Gewerkschaft ausüben können – von der Planung und Moderation von Sitzungen bis hin zur Rekrutierung und Schulung von Vertrauensleuten und Tarifausschüssen.
Bislang haben wir 85 ehrenamtliche Organizer:innen ausgebildet. Einige von ihnen sind Freiwillige, die sich auf ihre eigenen Betriebe konzentrieren, oft in Kämpfen um einen Tarifvertrag. Andere werden für fünf Stunden pro Woche bezahlt, um in einem nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieb unter der Anleitung eines hauptamtlichen Organizers an einer Organisierungskampagne mitzuwirken.
Andere befähigen
Das Programm funktioniert nach dem Prinzip «Lernen, machen, lehren». Ehrenamtliche lernen dabei Seite an Seite mit Hauptamtlichen der NewsGuild. Sobald man eine neue Fähigkeit erlernt hat, kann man sie selbst anwenden. Wenn zum Beispiel ein Mitglied bei der Leitung einer Schulung zugeschaut hat, leitet es beim nächsten Mal dieselbe Schulung.
Ehrenamtliche und bezahlte Organizer:innen kommen in monatlichen virtuellen Treffen mit acht bis zehn Personen zusammen. Sie besprechen die Ziele und Herausforderungen ihrer Kampagnen und setzen sich persönliche Ziele (siehe unten).
Die Mitglieder kommen aus verschiedenen Teilen des Landes, um neue Beziehungen aufzubauen und voneinander zu lernen. Brittany arbeitete z.B. mit einem noch nicht öffentlichen Komitee zusammen, das Schwierigkeiten hatte, mehr Kolleg:innen zur Mitarbeit zu bewegen; die Komiteemitglieder übernahmen die gesamte Gewerkschaftsarbeit selbst. Brittany fand heraus, dass andere in ihrer Gruppe eine ähnliche Herausforderung gemeistert hatten. Sie brachte Mitglieder von Tageszeitungen in Texas und South Carolina zum Treffen mit und ihre Ratschläge halfen der Kampagne, voranzukommen.
Andrew hat vor vielen Organisierungskomitees über seine gewerkschaftlichen Erfahrungen bei der Florida Times gesprochen. Dort hatten einige Beschäftigte ihre Unterstützung für die Gewerkschaft in letzter Minute aufgegeben, nachdem ein beliebter Manager geweint hatte. Im nachhinein kam er zu dem Schluss, dass sie die Beschäftigten nicht genug auf die hochemotionalen Aspekte der gewerkschaftsfeindlichen Kampagne vorbereitet hatten (obwohl die Beschäftigten die Abstimmung trotzdem gewonnen haben).
Aus dieser Erfahrung lernend, riet Andrew dem Ausschuss bei The Miami Herald, die Beschäftigten zu warnen, dass ihre geliebte Managerin vor allen weinen würde. Als sie genau das tat, waren die Beschäftigten darauf vorbereitet und blieben stark.
Alle mehrmals schulen
Mit den richtigen Werkzeugen und der richtigen Vorbereitung können die Beschäftigten sich selbst und gegenseitig schulen. Wir haben zwei leicht verständliche Tools entwickelt: einen Kampagnen-Tracker und einen Zielmarken-Tracker.
Der Kampagnentracker ist eine umfassende Tabelle, die von Haupt- und Ehrenamt bei Organisierungs- und Tarifkampagnen verwendet wird. Für jede Kampagne gibt es einen federführenden Organizer (haupt- oder ehrenamtlich), der einen Tracker einrichtet und ihn verwendet, um Gespräche zu protokollieren, wöchentliche Ziele festzulegen und den Fortschritt zu messen. Der Tracker folgt den vier Stufen der CWA-Organisation: Kontakt, Komitee, Kampagne, Vertrag. Er enthält Checklisten für den Übergang zur nächsten Phase.
Bevor wir an die Öffentlichkeit gehen, brauchen wir bspw. ein repräsentatives Komitee; außerdem sollte eine große Mehrheit der Beschäftigten öffentlich Unterstützung zeigen und auf die Reaktion des Chefs vorbereitet sein.
Die Hauptamtlichen spielen eine besondere Rolle, nicht auf der Bühne, sondern hinter den Kulissen. Hauptamtliche sprechen selten in Bereichen, die den Arbeiter:innen vorbehalten sind wie Komiteesitzungen, Schulungen, Verhandlungsrunden und Konfrontationen mit der Geschäftsleitung. Auch für Ehrenamtliche besteht eine der wichtigsten Fähigkeiten darin, sich zurückzuhalten und andere für die Durchführung von Aufgaben zu befähigen.
Leg nicht einfach los
Während der Kampagnentracker dazu dient, die Fortschritte neuer Organisierungskampagnen zu verfolgen, verwenden die ehrenamtlichen Organizer:innen einen persönlichen Zielmarken-Tracker, um das Modell «Lernen, machen, lehren» in ihren eigenen (bereits gewerkschaftlich organisierten) Betrieben umzusetzen.
Dieser Tracker gliedert die Fähigkeiten in Kategorien wie persönliche Gespräche, Beantwortung schwieriger Fragen, Impfung gegen Gewerkschaftsfeindlichkeit, Durchführung einer Organisierungskampagne und Fähigkeiten als Vertrauensperson. Die Mitglieder kreuzen jede Fähigkeit an, wenn sie sie erlernen, durchführen und weitergeben.
Die meisten unserer ehrenamtlichen Aktivist:innen bleiben beim «Machen» stehen – sie lernen Fertigkeiten, machen dann aber einen Großteil der Arbeit selbst. Wir fordern diese Mitglieder auf, darüber nachzudenken, wie sie andere anleiten können. Warum lassen sie sich z.B. nicht von anderen Mitgliedern begleiten und weisen ihnen dann Leute zu, anstatt alle Anrufe für eine Aktion selbst zu machen?
Siege führen zu weiteren Siegen
Wir wollen, dass jede Gewerkschaft so wächst wie die NewsGuild – aber für ein solches Wachstum braucht man viel mehr Organizer:innen, als eine Gewerkschaft Hauptamtliche hat. Das Organizing-Programm für Mitglieder hat unsere Gewerkschaft stärker und demokratischer gemacht, mit aktiven Mitgliedern, die sich gegenseitig zeigen, wie man Macht aufbaut.
Erfolge ziehen weitere Erfolge nach sich. Viele unserer neuen Kampagnen begannen, weil jemand in einer Nachrichtenredaktion die Arbeit eines Mitglieds bei einer Kampagne in einem anderen Betrieb sah und beschloss, die Initiative zu ergreifen. Nachdem sie dann die Gewerkschaftszulassung erhalten haben, werden sie selbst zu ehrenamtlichen Organizern und wiederholen den Prozess von neuem.
Stephanie Basile ist hauptamtliche Organizerin der NewsGuild.
Brittany Carloni organisierte ihre Redaktion bei der Naples Daily News in Florida und arbeitet jetzt beim Indianapolis Star.
Andrew Pantazi arbeitete bei der Florida Times-Union in Jacksonville und leitet jetzt seine eigene gemeinnützige Nachrichtenagentur.
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