Die Räumung des Antikapitalistischen Camps war rechtswidrig
von Gaston Kirsche
Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte am 4.Mai 2022 die Rechtswidrigkeit der Räumung des Antikapitalistischen Camps während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg fest.
«Die Begründung liegt noch nicht vor», sagt Rechtsanwalt Martin Klingner im Gespräch mit dem Autor: «Es ist aber klar, dass das Verwaltungsgericht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hier als verletzt ansieht, das ist ein wichtiger Erfolg.» Martin Klingner vertrat den Kläger, den Anmelder des Antikapitalistischen Camps, bereits im Sommer 2017.
Bereits ein halbes Jahr vor dem G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 begann eine beispiellose Kampagne gegen den zu erwartenden Protest. Die Hamburger Polizeiführung kam auf die Idee, die Zahl der anreisenden Protestierenden dadurch zu reduzieren, dass die geplanten Protestcamps, in denen mehrere tausend Menschen übernachten sollten, verboten wurden. Hamburgs rot-grüner Senat stellte klar, dass er solche Camps nicht zulassen würde. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wurde missachtet.
Höhepunkt war der Polizeieinsatz am 2.Juli 2017, am Sonntag vor dem G20-Gipfel, gegen das Antikapitalistische Camp auf der abgelegenen Elbinsel Entenwerder unter Missachtung zuvor ergangener Gerichtsentscheidungen. Es war der Auftakt zu einem einwöchigen Eskalationskurs seitens der Hamburger Polizeiführung.
Putsch der Polizei gegen die Justiz
Der Rechtsanwalt Martin Klingner sprach seinerzeit vor Ort von einem «Putsch der Polizei gegen die Justiz, gegen Gerichtsentscheide». Denn auf Anordnung des G20-Gesamteinsatzleiters Hartmut Dudde wurde Sonntagmittag mündlich eine weitere Verbotsverfügung durch die Polizeiführung verkündet. Fünf Hundertschaften in Kampfmontur versperrten die Zugänge zur Zeltwiese und verhinderten großenteils den Campaufbau.
Nur der souveränen Hartnäckigkeit der G20-Protestierenden war es zu verdanken, dass 12 kleine Schlafzelte aufgebaut wurden. Bei Anbruch der Dunkelheit räumten die behelmten Hundertschaften unter massivem Einsatz von Pfefferspray sowie Schlagstöcken den Platz: Personalien wurden festgestellt, Zelte beschlagnahmt.
Klagen vor Verwaltungsgerichten dauern lang, aber der Anmelder des Camps gab nicht auf. Am 5.Mai erklärte die Pressestelle des Verwaltungsgerichts Hamburg: Die «Absperrung des Zugangs zu der Elbinsel Entenwerder zur Errichtung eines Protestcamps anlässlich des G20-Gipfeltreffens wie auch die Untersagung des Camps und das Verbot von Schlafzelten waren rechtswidrig». Denn, so die Presseerklärung zum Aktenzeichen 21K264/18: «Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts stellte das angemeldete Protestcamp (jedenfalls in erheblichen Teilen) eine Versammlung im Sinne von Art.8 Abs.1 GG dar.» Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Politische Konsequenzen?
Der rot-grüne Senat schweigt zum Urteil, SPD, Grüne, CDU, AfD und FDP als Parteien und Bürgerschaftsfraktionen ebenfalls. In den Hamburger Medien wird zwar über das Urteil berichtet, aber nur aus Chronistenpflicht. Der Anmelder des Camps und Kläger erklärt dagegen erfreut: «Das Verwaltungsgericht hat die Rechtsbrüche der Polizei klar benannt. Dies ist eine große Genugtuung. Dies muss jetzt auch politische Konsequenzen haben.»
Seine Forderung nach Konsequenzen wird vom Rathaus ignoriert, der Senat schweigt: «Die Verantwortlichen für die rechtswidrigen Polizeieinsätze, namentlich Innensenator Andy Grote sowie der damalige Bürgermeister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz müssen für den rechtswidrigen Einsatz in Entenwerder zur Verantwortung gezogen werden.»
Auf die ausführliche Presseerklärung des Verwaltungsgerichts reagierte nur eine Bürgerschaftsfraktion: «Ein Erfolg ist die Feststellung des Gerichts, dass die Absperrung des Zugangs zur Elbinsel Entenwerder rechtswidrig war», so Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft im Gespräch mit dem Autor: «Dudde hatte sich damit über einen Beschluss des Verwaltungsgerichts hinweggesetzt – das war ein Putsch der Polizei gegen das Gericht, eine Missachtung der Gewaltenteilung.»
Das Verwaltungsgericht habe mit seiner Beurteilung, dass das angemeldete Camp unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fällt, die «Hamburger Linie» in Sachen Camps zurückgewiesen, die ja bestritt, dass die Camps Teil der Versammlungen zu G20 waren.
«Wenn dieses Urteil Bestand hat, d.h. nicht vom Oberverwaltungsgericht kassiert wird, hat es Auswirkungen für die Zukunft», so Sabine Boeddinghaus zum Autor: «Camps könnten dann nicht mehr ohne weiteres verboten werden, das wäre ein wichtiger Erfolg.»
Das Urteil, so Martin Klingner «durchbricht die Erzählung des Senats, es habe keine Rechtsbrüche gegeben beim G20, und zweitens eröffnet es vielen zukünftigen Camps, die sich auf Versammlungsfreiheit berufen, bessere Chancen».
Für die damalige Polizeiführung um deren Leiter Hartmut Dudde hat das Urteil «keine persönlichen Konsequenzen», so die ehemalige Linke-Abgeordnete Christiane Schneider: «Das Verwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns überprüft und festgestellt: Da wurde ein Grundrecht, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, verletzt, Dudde muss aber keine Strafe zahlen.»
Christiane Schneider, die 2017 innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft war, sieht die Bedeutung des Urteils ähnlich wie Anwalt Klingner: «Die Hamburger Polizei müsste sich, wenn das Urteil rechtskräftig wird, zukünftig daran halten.»
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