Warum das auch mit zivilem Widerstand geht
Gespräch mit Stephan Brües vom BSV*
Der Bund für Soziale Verteidigung wurde 1989 in Minden gegründet. Er ist ein Fachverband für gewaltfreie Politik und konstruktive Konfliktbearbeitung.
Er ist sowohl im Inneren – Streitschlichtung in Schulen, Trainings zur Gewaltfreiheit, Love-Storm gegen Hass im Netz u.a. – als auch international tätig – Koordinator des Balkan Peace Teams in den 90er Jahren, Initiator des Zivilen Friedensdienstes 1999, Mitgründer der Nonviolent Peaceforce 2002, Unterstützer von Nasch Dom in Belarus seit 2005.
www.soziale-verteidigung.de
Der Bund für Soziale Verteidigung tritt dafür ein, dass die Ukrainer sich nicht mit Waffen gegen Putins Aggression wehren sollen, sondern mit zivilem Widerstand. Können Sie das erläutern?
Natürlich können und wollen wir den Ukrainern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Wir können nur andere Wege aufzeigen. Und wir können daran erinnern, dass es vor dem Krieg eine Umfrage gab, bei der Ukrainer gefragt wurden, wie sie sich vorstellen, sich gegen Aggressoren zu verteidigen, ob mit Waffe oder ohne. Immerhin 24 Prozent stellten sich das ohne Waffen vor, 22 Prozent eindeutig mit, die übrigen konnten sich nicht entscheiden. Das zeigt zumindest, dass waffenlose Konzepte nicht gänzlich unbekannt sind. Außerdem haben die Ukrainer in den letzten 20 Jahren zweimal gewaltfreie Revolutionen durchgeführt. Das heißt also, sie kennen bestimmte Bereiche des gewaltfreien Widerstands und haben sie praktiziert.
Können Sie Beispiele nennen?
Es hat Demonstrationen gegen die russischen Bodentruppen gegeben, die einmarschiert sind – denen wurde eindeutig gezeigt, dass sie unerwünscht sind. Es hat Leute gegeben, die sich vor Panzer gestellt haben, einige davon wurden sogar umgedreht. Von gewaltfreiem Widerstand wurde auch aus Cherson berichtet, das jetzt besetzt ist.
Einem Panzer kann ich mich entgegenstellen, den Bomben aus der Luft nicht. Und mit Appellen an die Piloten, sofern ich sie überhaupt erreiche, ist es auch schwer, weil das Bombardieren eine sehr entmenschlichte Form des Tötens ist. Was tue ich dann?
Dann führt kein Weg daran vorbei alles zu tun, damit es Waffenstillstand und Waffenpausen gibt, einen anderen Weg gibt es nicht.
Wie kann das ablaufen?
Zu Verhandlungen über Waffenruhe und Waffenstillstände gibt es doch keine Alternative, oder? Darauf ist alle Kraft zu konzentrieren. Wenn das gelingt, wird auch das Bomben aufhören. Ich finde es z.B. schwierig, wenn ukrainisches Militär Flugabwehrraketen auf dem Dach eines Wohnblocks aufstellt, in dem Zivilist:innen wohnen. Da werden die Zivilist:innen als Schutzschilde verwendet, womit sie der Gegenseite zugleich die Möglichkeit geben zu sagen: Wir haben gar keine Zivilist:innen bombardiert, sondern die Abwehrrakete, dummerweise sind dabei auch Zivliist:innen zu Schaden gekommen. Ich rechtfertige damit kein Bombardement, ich will nur die Problematik aufzeigen, die militärischem Widerstand innewohnt.
Die Frage ist, was ist das oberste Ziel einer Verteidigung: Ist es der Schutz der Bevölkerung oder ist es das Herbeiführen von militärischen Zielen? Es ist ein Dilemma. Wie es zu lösen ist, weiß ich nicht, aber das Problem muss zum Thema gemacht und durchdacht werden. In den Medien ist ja derzeit sehr viel davon die Rede, dass auf alle Fälle militärisch verteidigt werden muss. Ein Hinweis wie der, dass Abwehrraketen in Wohngebieten stehen, kommt nur ganz am Rande vor und wird nicht weiter problematisiert. Das finde ich keine redliche Berichterstattung.
Die Sache ist selbstverständlich schwierig. Pazifistische Friedenspolitik und friedenslogische Politik geht ja vor allem von der Prävention aus, alles Augenmerk ist auf Prävention gerichtet, das heißt Kriegsverhinderung. Soziale Verteidigung ist dann sozusagen der Plan B, wenn Plan A, nämlich die Prävention, nicht funktioniert hat.
An den Erfolg von gewaltfreiem Widerstand werden strenge Maßstäbe angelegt. Es stört mich, dass diese strengen Massstäbe nicht auch für Erfolg oder Nicht-Erfolg von militärischem Widerstand gelten. Das finde ich problematisch. Inzwischen gibt es allerdings in der empirischen Friedensforschung genügend Studien, die eindeutig belegen, dass gewaltfreier Widerstand sehr viel erfolgreicher ist als gewaltsamer Widerstand. Und dafür gibt es gute Gründe.
Auf diesen Befund würde man spontan nicht kommen.
Ich rede von der Studie zweier US-amerikanischer Professorinnen, Erica Cheonweth und Maria J. Stephan. Cheonweth war ursprünglich Militärforscherin. Die beiden haben über einhundert Konflikte aus der Zeit zwischen 1906 und 2006 untersucht. Sie haben gefragt: Gab es gewaltfreien oder gewaltsamen Widerstand und was ist nach dem Ende des bewaffneten Konflikts daraus geworden? Wie sah die Gesellschaft fünf Jahre später aus, war sie demokratischer als vorher oder nicht? Cheonweth war fest davon ausgegangen, dass die gewaltsamen Widerstandsformen erfolgreicher waren, in dem Sinne, dass autoritäre Regime fallen und die Gesellschaft danach demokratischer sein würde als vorher. Das war das Kriterium für Erfolg. Die Daten wurden statistisch ausgewertet, dabei kam aber heraus, dass der gewaltfreie Widerstand sehr viel erfolgreicher gewesen war als der gewaltsame.
Die Forscherinnen erklären das damit, dass gewaltsamer Widerstand nur von einer bestimmten Gruppe, nämlich in der Regel von Männern im wehrfähigen Alter getragen werden kann, die von der normalen Bevölkerung ein bisschen abgeschottet sind. Gewaltfreier Widerstand kann aber von der gesamten Bevölkerung auf irgendeine Art und Weise durchgeführt werden, und die Beteiligung daran kann sehr hoch sein – sie gehen von 3 Prozent der Bevölkerung aus. Wenn 3 Prozent der Bevölkerung sich am gewaltfreien Widerstand beteiligen, ist die Chance sehr hoch, dass der Widerstand erfolgreich ist. Es gibt auch andere Studien, die in dieselbe Richtung weisen, das ist also ein empirischer Befund. Der Mythos von der erlösenden Gewalt ist sehr brüchig.
Im Zweiten Weltkrieg haben mehreren europäische Länder ihre Städte zu offenen Städten erklärt, d.h. die Stadtregierung hat erklärt, dass sie militärisch keinen Widerstand leisten wird, dafür wird die Stadt nicht bombardiert. Das steht sogar schon der Haager Landkriegsordnung. Können Sie das Konzept näher erläutern?
Dazu kann ich nichts sagen, aber es gibt in verschiedenen Konfliktgebieten Gemeinden, die sich zu Friedensgemeinden erklären, z.B. in Kolumbien, oder aber zivilgesellschaftliche Gruppe wie Bantay Ceasefire, die sich erfolgreich für Waffenruhe und Waffenstillstandsabkommen in ihrem Land eingesetzt und überwacht haben – mit Hilfe der Nonviolent Peaceforce, einer internationalen Friedensorganisation, die der BSV 2002 mitgegründet hat. Die Gemeinden haben gesagt: In Bürgerkriegssituationen, wo sich verschiedene Milizen oder Guerillas gegenüberstehen, möchten wir mit keiner Seite zu tun haben. Natürlich wurden diese Gemeinden bedroht, es wurden auch viele ihrer Bürger:innen ermordet. Sie hatten aber auch internationale Begleiter wie Peace Brigades International, die vor Ort waren und die Gemeinden geschützt haben.
Konnten sie dadurch Zerstörungen in einem größeren Ausmass verhindern, als wenn sie sich auf eine Seite geschlagen hätten?
Zumindest haben sie es geschafft, dass ihre Gemeinde nicht in bewaffnete Kämpfe zwischen feindlichen Milizen hineingezogen werden. Sie konnten sich aus dem Bürgerkrieg weitgehend heraushalten, haben sich geweigert, sich der einen oder anderen Seite unterzuordnen, und sind autonom geblieben.
Haben Sie Partner in der Ukraine, mit dem Sie zusammenarbeiten?
Wir haben Kontakt zur pazifistischen Bewegung der Ukraine. Die ist zugegebenermaßen nicht groß. Sie sitzt hauptsächlich in Kiew und versucht, ihre Sicht der Dinge in die Welt zu tragen. In Deutschland tut sie das zum Teil ganz erfolgreich. Ihr Sprecher, Juri Scheliashenko, war auch schon mal in der Tagesschau.
Mehr Kontakte haben wir nach Belarus. Seit 15 Jahren haben wir dort eine Partnerorganisation, Nasch Dom, Unser Haus. Nach Beginn des Krieges hat die Leiterin, Olga Karatsch, einen Aufruf an die Mütter gestartet, sie sollen ihren Söhnen sagen, dass sie nicht zum Militär gehen und nicht in die Ukraine einmarschieren sollen. Das war am Tag nach dem 24.Februar, der Aufruf ist vielhunderttausendmal angeklickt worden. Sehr viele junge Männer sind untergetaucht, der oberste General ist zurückgetreten, weil er sie nicht davon überzeugen konnte, dass sie bitteschön zur Verfügung zu stehen haben. Ein ganzes Bataillon hat sich geweigert, in die Ukraine zu ziehen. Es gibt inzwischen auch eine Gruppe von Hackern, die Gleisanlagen in Belarus lahmlegen, um Militärtransporte zu verhindern. Das kommt alles der sozialen Verteidigung sehr nahe. Im Grunde wird hier die alte Losung der Friedensbewegung in die Tat umgesetzt: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.
Der Gegensatz zur Ukraine weist schon darauf, dass es bestimmter gesellschaftlicher Voraussetzungen bedarf, damit ein solches Konzept funktioniert.
Grundsätzlich müssen Konflikte auf zivilgesellschaftlicher Ebene gelöst werden. Konfliktlösungsstrategien müssen deshalb auch von dort ausgehen, denn die Zivilbevölkerung ist diejenige, die damit leben muss. Auf lange Sicht funktioniert das nur, wenn sie an den Lösungen auch beteiligt ist. Für Außenstehende kann das nur heißen, solche Gruppen zu unterstützen. Wichtig ist, in Konfliktgebieten durchzusetzen, dass die Leute vor Ort Kontrolle über das Geschehen haben.
*Stephan Brües ist seit 2012 Ko-Vorsitzender des BSV.
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